Awo-Prozess

Legt das Gericht den Awo-Sumpf trocken?

Rostock / Lesedauer: 5 min

Fünf Stunden Verhandlung, vier Zeugen, drei Sitzungsunterbrechungen und zwei Anwälte, die am Ende eines langen Tages vor dem Oberlandesgericht in Rostock sicher waren, einen der brisantesten Prozesse in der Awo-Affäre gewonnen zu haben. Entschieden ist aber noch nichts.
Veröffentlicht:31.01.2019, 06:00
Aktualisiert:06.01.2022, 14:17

Von:
  • Author ImageAndreas Becker
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Laut Satzung des Awo-Kreisverbandes Müritz ist der Fall eigentlich klar: Der Vertrag mit dem jeweiligen Geschäftsführer muss vom geschäftsführenden Vorstand unterzeichnet werden. Konkret: Die jeweiligen Änderungsverträge, die mit dem ehemaligen Geschäftsführer Peter Olijnyk in den Jahren 2004, 2005 und 2012 geschlossen worden waren, müssten somit die Unterschriften des seinerzeitigen Vorstandsvorsitzenden Götz-Peter Lohmann, dessen Stellvertreterin Ursula Müller und Schatzmeister Heiner Dittrich tragen.

Tun sie aber nicht – lediglich Vorstandschef Lohmann unterzeichnete die lukrativen Verträge, die enorme Gehaltssteigerungen, Tantiemen und sonstige Vergünstigungen für den Geschäftsführer vorsahen.

Und genau wegen dieser einen Unterschrift wird jetzt juristisch mit harten Bandagen gerungen – schließlich geht es um viel Geld, sehr viel Geld. Reicht eine Unterschrift, wenn die geschäftsführenden Vorstandsmitglieder zumindest vom Vertrag wussten – ohne ihn zu unterschreiben?

Und wussten überhaupt alle Vorstandsmitglieder über die Inhalte der Verträge Bescheid? Oder wurde alles vom kongenialen Duo Olijnyk/Lohmann geregelt, die der ehemalige Awo-Landeschef Rudolf Borchert nach Bekanntwerden der Awo-Affäre mit einem „perfiden System“ verglichen hatte?

Kronzeuge weigerte sich zu antworten

Rückblende: In der ersten Verhandlung vor dem Landgericht Neubrandenburg im Herbst 2017 hatte Richterin Gabriele Memmel geurteilt, dass es keinen Beschluss des Kreisvorstandes gegeben habe, mit dem Olijnyks Verträge hätten legitimiert beziehungsweise genehmigt werden können.

Vor diesem Hintergrund hatte das Gericht der Widerklage der Awo Müritz entsprochen, wonach Olijnyk zu viel kassierte Gehälter aus den vergangenen Jahren zurückzahlen muss. In Zahlen: Das Landgericht wies Olijnyk an, 390 000 Euro an die Awo Müritz zu zahlen. Dem folgte Olijnyk nicht, ging in die Berufung – und die wird nun seit Mittwoch vor dem Oberlandesgericht in Rostock verhandelt.

Und wäre fast nach wenigen Minuten geplatzt – Kronzeuge Götz-Peter Lohmann weigerte sich standhaft, auf die Fragen des Vorsitzenden Richters zu antworten. Lohmann verwies auf die staatsanwaltlichen Ermittlungen, die gegen ihn – und Olijnyk – wegen des Verdachts der Untreue seit knapp drei Jahren laufen. „Ich möchte mich in keinster Form belasten und die Fragen des Oberlandesgerichts nicht beantworten“, machte Lohmann unmissverständlich deutlich.

Bis ans Lebensende 2000 Euro Betriebsrente

„Da Lohmann unser wichtigster Zeuge ist, beantrage ich die Aussetzung des Verfahrens, solange bis die Ermittlungen gegen Lohmann abgeschlossen sind und er hier unbedrängt aussagen kann“, sagte Olijnyks Anwalt Peter-Michael Diestel. Das Gericht aber widersprach Diestels Antrag – setzte die Verhandlung mit anderen Zeugenvernehmungen fort. Ohne Lohmann darauf hinzuweisen, dass ihm wegen seiner Aussageverweigerung nun die Zahlung eines Ordnungsgeldes drohe.

Anschließend sagten die ehemaligen geschäftsführenden Vorstandsmitglieder Heiner Dittrich und Ursula Müller aus. Beide gewährten einen Einblick in die Tiefen des Awo-Sumpfes: Kaum Kontrolle der Geschäftsführung, keine Protokolle von Gesellschafterversammlungen, kurzfristige adhoc-Treffen ohne Tagesordnung, wenig bis kein Detailwissen zur Arbeit der Geschäftsführung.

Und, das dürfte entscheidend bei der Wahrheitsfindung sein: Erst im Mai 2016 erhielten die Vorstandsmitglieder nach Aussage Dittrichs und Müllers Kenntnis von den Arbeitsverträgen Olijnyks aus den Jahren 2004, 2005 und 2012. Dabei stolperten die Vorstandsmitglieder vor allem über die monatliche Betriebsrente in Höhe von 2000 Euro, die Olijnyk nach Antreten seines Ruhestandes bis an sein Lebensende kassieren sollte. Zitat von Ursula Müller vor dem Oberlandesgericht: „Ich traf nie eine Entscheidung über einen der Anstellungsverträge.“

Ehrenamtliche Vorstandsposten mit privatwirtschaftlichen Interessen verquickt?

Die dem ehemaligen Awo-Geschäftsführer Olijnyk „freundschaftlich sehr verbundene“ Heike Daut, die selbst jahrelang Mitglied im Vorstand war, versuchte am Mittwoch in ihrer Zeugenvernehmung mit einer Lobeshymne auf Olijnyk zu retten, was vielleicht nicht mehr zu retten ist.

„Es hat im Oktober 2017 ein Gespräch zwischen Olijnyk, Dittrich und mir gegeben, in dem Dittrich eingeräumt habe, dass es möglicherweise im Juli 2012 eine Gesellschafterversammlung gegeben habe könnte, in dem es um einen Arbeitsvertrag gegangen sein könnte“, warf sich Daut für Olijnyk in die Bresche. Dieser Aussage widersprach Heiner Dittrich: „In meinem Kalender gibt es keinen Eintrag einer solchen Versammlung, ich kenne die Verträge erst seit dem Mai 2016.“

Die Aussagen Dittrichs und Olijnyks sind auch insofern brisant, als dass beide im November 2016 von ihren Ämtern zurückgetreten waren – und bis heute für ihre Vorstandsarbeit nicht entlastet worden sind. Sowohl Dittrich als auch Daut sollen ihre ehrenamtlichen Vorstandsposten mit ihren privatwirtschaftlichen Interessen verquickt haben.

5100 Euro monatlich für ein Ehrenamt

Während Dittrich als hauptberuflicher Architekt bei Awo-Bauprojekten regelmäßig mit seiner Firma berücksichtigt worden war und Aufträge erhalten hatte, versorgte Daut mit ihrer Apotheke flächendeckend die Awo-Einrichtungen. Entwickelte sich als Dankeschön für die wirtschaftlich reizvollen Aufträge beim Vorstand eine Mentalität des Wegschauens und Schweigens, wenn es um die Kontrolle der operativ tätigen Awo-Geschäftsführung ging?

Während Olijnyk als hauptamtlicher Geschäftsführer seit 2012 rund 150.000 Euro plus Tantiemen im Jahr bekam, kassierte Lohmann als „ehrenamtlicher“ Kreisvorsitzender 5100 Euro monatlich. Lohmann wurde über neun Jahre als Mitarbeiter einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Awo Müritz geführt.

Außer Lohmann waren bei dieser Tochtergesellschaft überwiegend Service- und Reinigungskräfte angestellt. Während Olijnyk die üppige Entlohnung Lohmanns mit dessen Tätigkeit als Psychologe für die Awo begründete, fehlte laut interner Awo-Kreise jeglicher Tätigkeitsnachweis von Lohmann.

Tätig muss jetzt noch das Oberlandesgericht werden – am Mittwochabend fällte das Gericht noch kein Urteil, dieses soll am 6. März verkündet werden. Bis dahin machen beide Parteien in Optimismus. „Unsere Auffassung ist durch die Zeugen voll bestätigt worden“, sagte Awo-Anwalt Matthias Mück. Im Gegenzug sprach Olijnyk-Anwalt Diestel von einem „offenen Rennen“ – und ließ ein kleines Siegerlächeln über seine Lippen huschen.