Awo-Affäre

MV-Ministerin Drese wirft Landkreisen Erpressung vor

Schwerin / Lesedauer: 4 min

Die Awo-Affäre hat die Wohlfahrt in Misskredit gebracht. Jetzt klemmt es in MV gewaltig bei der Umsetzung eines Gesetzes, mit dem sie besser kontrolliert werden sollte.
Veröffentlicht:10.06.2021, 12:09
Aktualisiert:06.01.2022, 21:59

Von:
  • Author ImageAndreas Becker
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Hoppla, wird so mancher Abgeordneter im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern gedacht haben. Eigentlich kommt Sozialministerin Stefanie Drese in ihren Wortbeiträgen im Parlament eher ruhig-freundlich rüber – beim Antrag der Linksfraktion aber, den zweiten Teil des Wohlfahrtsgesetzes um ein weiteres Jahr zu verschieben, zeigte die SPD-Politikerin ihre kompromisslose Seite.

„Ich habe kein Verständnis für die weitere Verzögerung auf den 1. Januar 2023”, betonte Drese in Richtung Opposition. Aber nicht nur die hatte Drese ins Visier genommen, auch große Teile der Landkreise überzog die Sozialministerin mit Kritik. „Wir stellen als Land nach der bereits erfolgten einjährigen Verlängerung im vergangenen Jahr fest, dass die kommunale Ebene die Zeit höchst unterschiedlich genutzt hat”, so Drese.

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„Es wird beim Wohlfahrtsgesetz keine Fristverlängerung geben”

Einige Landkreise hätten sich auf den Weg gemacht, so dass man rasch zum Abschluss einer Zuweisungsvereinbarung kommen könne. Andere Gebietskörperschaften hätten seit Verabschiedung des Gesetzes im November 2019 kaum etwas unternommen, machte die Ministerin deutlich – und nannte Namen.

„Ludwigslust-Parchim und Vorpommern-Greifswald haben gearbeitet und Vereinbarungen getroffen. Alle anderen haben auf stur geschaltet. Doch das Sozialministerium wird bei seiner Linie bleiben. Es wird keine Fristverlängerung geben. Wir lassen uns von den Landkreisen nicht erpressen”, polterte die Sozialministerin.

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Tauziehen zwischen Regierung, Politik und Wohlfahrtsverbänden

Zur Erinnerung: Im Juni 2019 hatte Drese nach zehnjährigem politischen Tauziehen zwischen Regierung, Politik und Wohlfahrtsverbänden einen Entwurf für ein Wohlfahrtsgesetz vorgestellt, im November 2019 wurde der Entwurf vom Landtag als Gesetz verabschiedet, am 1. Januar 2020 trat der erste Teil des Wohlfahrtgesetzes in Kraft, ab 1. Januar 2021 sollte ein zweiter Teil gelten.

Doch aufgrund von Gesprächsverzögerungen und zäher Verhandlungsmasse zwischen Ministerium und Landkreisen sowie der Corona-Pandemie wurde der zweite Teil auf den 1. Januar 2022 verschoben. Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht laut Drese „die Übertragung der Finanzhoheit in der gesundheitlichen und sozialen Beratung an die Landkreise und kreisfreien Städte”.

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Kritik an mangelnder Kontrolle der Fördergelder

Kritiker bewerten diesen zweiten Gesetzteil skeptischer und sprechen davon, dass das Land die Verantwortung und die immer wieder kritisierte mangelnde Steuerung und Kontrolle der Fördergelder einfach eine Ebene weiter nach unten schiebt. „Das Land macht sich einfach einen schlanken Schuh”, sagte beispielsweise der sozialpolitische Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag, Thomas de Jesus Fernandes.

Die Ministerin kündigte derweil an, weiter gezielt auf die Landkreise und kreisfreien Städte zuzugehen, um Zuweisungsvereinbarungen abschließen. „Das ist die Pflicht der Landesregierung, aber auch der kommunalen Ebene. Denn, gibt es keine derartigen vertraglichen Regelungen werden in völlig unverantwortlicher Art und Weise die Träger und Angebote der sozialen und gesundheitlichen Beratung gefährdet. Dahinter stehen Mitarbeiter und dahinter stehen die Rat- und Hilfesuchenden, die auf Angebote, wie die allgemeine soziale Beratung oder die Suchtberatung, angewiesen sind”, sagte Drese.

Millionen von Landesmitteln für Sozialverbände und Landkreise

Die Ministerin hob die steigenden Landesmittel hervor, die zukünftig an die zuständigen Landkreise und kreisfreien Städte ausgereicht werden. „Standen 2019 für die gesundheitliche und soziale Beratung rund 4,67 Millionen Euro zur Verfügung haben wir diese Landesmittel seit 2020 auf ca. 5,26 Millionen Euro jährlich erhöht. Das sind 12,5 Prozent mehr. Ab 2022 erhöhen wir weiter auf fast 5,55 Millionen Euro und 2024 auf über 5,67 Millionen Euro jährlich. Das sind dann über eine Million Euro oder 21 Prozent mehr als 2019”, so die Ministerin.

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Torsten Koplin, Sozialexperte der Linksfraktion, kann die harte Linie Dreses nicht verstehen, sprach von einer „Brechstange”, mit die Landesregierung die Umsetzung des Gesetzes jetzt durchziehen wolle. Dabei sollte doch eigentlich Qualität vor Schnelligkeit gehen.

Koplin drehte den Spieß gegenüber der Ministerin sogar um: „Die Landesregierung hat nicht nur durch monatelange Untätigkeit die Erarbeitung und Abstimmung der Vereinbarungen verzögert. Nun erhebt sie geradezu unerfüllbare Forderungen. So sollen die Standards der Beratungsleistungen deutlich erhöht werden, allerdings weigert sich die Landesregierung, die dafür nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen.”

Linke spricht von „Gutsherrenart” der Sozialministerin

In Gutsherrenart stelle die Landesregierung den Trägern der Beratungsleistungen Ultimaten und versuche in deren Handlungssouveränität einzugreifen, indem vorgeschrieben werden solle, welche Leistungen zur Erbringung der Eigenfinanzierung der Vereine zulässig seien und welche nicht, kritisiert Koplin.

Der Drogen- und Suchtberatung solle beispielsweise landesseitig vorgeschrieben werden, auf Beratungsleistungen im Rahmen der Krankenhausnachbehandlung und Reha zu verzichten. „Das wäre gesundheitspolitisch fatal und ist für die Träger der Beratungsleistung unannehmbar”, meinte Koplin.