Bluttat aus Heimtücke
Pfleger musste bei Mord in Wittenburg zusehen
Schwerin / Lesedauer: 4 min

Marlis Tautz
Wenn Polizei und Justiz über Verbrechen informieren, sind emotionale Worte selten. Doch in diesem Fall stehen sie im Raum. Der Mann, der am Sonnabend, 2.21 Uhr, in der Einsatzleitstelle der Polizei in Rostock um Hilfe ruft, muss „panische Angst“ gehabt haben, wie ein leitender Kriminalist am Sonntag schildert. Mehrmals sei das Gespräch unterbrochen worden, mehrmals habe der Anrufer neu gewählt.
Am Ende steht der Verdacht: Der bosnische Haushaltshelfer, der in einem Eigenheim in Wittenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) bei einem 85-jährigen Rentner wohnt, muss Augenzeuge eines Tötungsverbrechens geworden sein. Sein Arbeitgeber liegt mit durchtrennter Kehle im Bett.
Tatverdächtige auf der Flucht
Die Ermittlungsmaschinerie läuft an. Streifenwagen rücken aus, Kriminaltechniker, Polizisten, zwei Staatsanwältinnen, Notarzt und Gerichtsmediziner. Sie stellen den Tod fest, untersuchen Leiche und Tatort, hören Zeugen, durchkämmen die Nachbarschaft auf der Suche nach dem mutmaßlichen Täter, einem 20-Jährigen aus Afghanistan. Er ist auf der Flucht und wird wegen des dringenden Tatverdachts zur Fahndung ausgeschrieben.
„Es geht um Mord aus Heimtücke“, sagt Claudia Lange. Die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Schwerin, zuständig für Kapitalverbrechen, hat selbst rund 17 Stunden am Tatort verbracht. „Der Tatverdächtige hat die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers ausgenutzt.“ Mitten in der Nacht, gegen 2 Uhr, habe der alte Mann geschlafen. Er sei zwar nicht bettlägerig, wohl aber hilfsbedürftig gewesen.
Verdächtiger hat sich noch nicht zur Tat geäußert
Nach bisherigen Erkenntnissen hatte die Tochter des Rentners die Männer miteinander bekannt gemacht. Sie arbeitet in Sachsen, im Raum Zwickau, in der Flüchtlingshilfe. Dort lebte der Afghane in einer Gemeinschaftsunterunterkunft. Sein Asylantrag wurde abgelehnt, Ende Januar 2019 endet die Duldung, die eine sächsische Behörde erteilt hat.
Im Sommer soll er einige Wochen in Wittenburg gewesen sein, um den alten Mann zu versorgen. Weil er Garten und Garage aufräumen sollte, kommt er am vergangenen Freitag nochmal ins Haus. Dort wohnt mittlerweile ein Bosnier mit Touristenvisum, der Haushalts- und Pflegearbeiten erledigt. Er hat ein Babyphon mit Kamera im Zimmer, falls nachts Hilfe not tut.
„Gegen zwei Uhr hat der Haushaltshelfer beobachtet, wie der junge Mann aus Afghanistan ans Bett trat und sich über den 85-Jährigen gebeugt hat“, sagt Claudia Lange. „Er hat das zunächst nicht als Straftat wahrgenommen.“ Vielmehr habe er gedacht, dass womöglich nur die Bettdecke gerade gerückt werden musste. Dann kommt ihm die schreckliche Vermutung. Denn der Afghane versucht, mit dem Auto des Opfers zu fliehen, kommt aber nicht weit. „Der Versuch endete in einer Hecke nahe des Hauses“, so die Staatsanwältin. Der Verdächtige entkommt zu Fuß. Spürhunde verlieren die Fährte unweit des Tatorts.
Ermittler schließen Habgier und politische Motive aus
Unterdessen trägt eine siebenköpfige Ermittlergruppe so viele Indizien zusammen, sodass schon wenige Stunden später Haftbefehl erlassen wird. Nahezu zeitgleich, am Samstagnachmittag, fällt rund 50 Kilometer weiter westlich der Autobahnpolizei an der A24 ein nur leicht bekleideter, junger Mann auf. Er ist unterkühlt, die Ordnungshüter bringen ihn ins Krankenhaus. Kurz darauf steht die Identität fest, noch in Geesthacht in Schleswig-Holstein wird der Tatverdächtige in Haft genommen. Derzeit sitzt er in der Jugendanstalt Neustrelitz. „Ihm wurde ein Pflichtverteidiger zur Seite gestellt“, sagt Oberstaatsanwältin Lange.
Noch habe er sich nicht zur Tat oder zum Motiv geäußert, die Tatwaffe ist bislang nicht gefunden. Aufgrund von Aussagen des Bosniers und der Tochter des Opfers schließen die Ermittler einen politischen oder religiösen Hintergrund aus. Auch Habgier komme nicht in Betracht, da dem Verdächtigen bekannt gewesen sei, dass es im Haus keine Wertgegenstände gab und zudem nichts fehlte.
Obduktion angeordnet
Ob sich der Mann in einer psychischen Ausnahmesituation befand und aus Angst vor Abschiebung gehandelt haben könnte, sei bislang nur Spekulation. Der Tatverdächtige schweigt zu den Vorwürfen. Ungeachtet der bisherigen Erkenntnisse soll der Tote obduziert werden, um die genaue Todesursache festzustellen.
Innenminister Lorenz Caffier (CDU) lobte am Sonntag die Arbeit von Polizei und Justiz. Er warnte davor, „die Tat für politische Zwecke zu instrumentalisierten und sie dafür zu missbrauchen, zu Hass und Gewalt aufzurufen“. Laut Innenministerium ereigneten sich 2017 in Mecklenburg-Vorpommern 56 versuchte oder vollendete Tötungsdelikte. Von den Tatverdächtigen seien acht nichtdeutscher Herkunft gewesen.