Messer–Bedrohung

Polizei–Schüsse in Rostock – 57-Jähriger weiter im Krankenhaus

Rostock / Lesedauer: 5 min

Ein 57–Jähriger mit einem Messer in der Hand wurde vor einem Wohnblock in Rostock–Evershagen von Polizisten gestellt und dann angeschossen. Was geschah genau am Tatort?
Veröffentlicht:08.06.2023, 05:32

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Am 30. Mai wurde zur Mittagszeit vor einem Plattenbau in Rostock–Evershagen ein 57–jähriger Mann mit einem Messer in der Hand von mehreren Polizisten gestellt — und angeschossen. Die Kugeln trafen ihn in Oberkörper und Bein. Er erlitt schwere aber nicht lebensbedrohliche Verletzungen; Polizisten versorgten den Mann bis Rettungskräfte eintrafen und ihn ins Krankenhaus brachten.

57–Jähriger im Krankenhaus

Der Mann aus Syrien soll vorher mit einem Messer in dem 19–Etagen–Wohnblock zwischen der Henrik–Ibsen–Straße und Bertolt–Brecht–Straße Anwohner bedroht haben. Auch der gerufenen Polizei soll er laut deren Angaben aggressiv gegenüber aufgetreten sein. Obwohl er laut Polizei sich erst in seiner Wohnung aufgehalten habe, gelang er dann mit einem Messer in der Hand an den eingetroffenen Beamten vorbei auf den Vorplatz. Wo die Konfrontation dann eskaliert sei. 

Auf Ansprachen durch die Polizisten hätte er nicht reagiert, auch nicht auf die Rufe, das Messer abzulegen. Der 57–Jährige habe sich in einem „psychischen Ausnahmezustand“ befunden, teilte die Staatsanwaltschaft kurz nach dem Vorfall mit.  

Der 57–jährige Syrer liegt eine Woche nach dem Vorfall weiterhin im Krankenhaus zur Behandlung, so die zuständige Staatsanwaltschaft Rostock auf Nordkurier–Anfrage. Über seinen Zustand könne aus datenschutzrechtlichen Gründen keine weiteren Angaben gemacht werden, so Manuela Merkel von der Rostocker Staatsanwaltschaft. Der Mann war bereits vor dem Einsatz am 30. Mai polizeilich in Erscheinung getreten, heißt es es gegenüber dem Nordkurier. 

Gegen 57–Jährigen und Polizisten wird ermittelt

Es laufen Ermittlungsverfahren gegen den 57–Jährigen wegen der mutmaßlichen Bedrohung mit dem Messer sowie gegen die Polizisten, die geschossen haben. Gegen sie Die Kriminalpolizei ermittelt nun, was genau am 30. Mai bei dem Polizeieinsatz in Rostock geschah. Am Tatort wurden Spuren gesichert und Zeugen befragt. Die Ermittler setzten dabei unter anderem einen 3D–Scanner ein, der eine spätere digitale Rekonstruktion und Prüfung des Tatortes ermöglicht. Auch werden Videoaufnahmen von den Ermittlern ausgewertet. Zu möglichen Bodycam–Aufnahmen der beteiligten Polizisten könne laut der Staatsanwaltschaft wegen laufender Ermittlungen keine Auskunft gegeben werden.

Auch das von einem Anwohner aufgezeichnete Video ist Teil der Ermittlungen. Dieses wurde von einem Wohnblock aus der Entfernung über die Kreuzung Ehm–Welk–Straße/Bertolt–Brecht–Straße gefilmt, und zeigt teilweise, wie mutmaßlich sechs Polizisten einen Mann am helllichten Tage vor dem Wohnblock im Halbkreis stellen und dann Schüsse fallen. Mindestens drei Polizisten zielten dabei auf den ihnen zugewandten Mann mit ihren Dienstwaffen. Die im Internet hochgeladene, nur wenige Sekunden kurze Videoaufnahme schwenkt während der Schießerei teils weg, zeigt dann nach drei Schüssen, wie der 57–Jährige getroffen zu Boden fällt.

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Während die Schüsse fallen, sind in dem Video ein unbeteiligte Fußgänger, teils auf dem Weg zur Straßenbahn-Haltestelle sowie mehrere fahrende Pkws und ein Lkw auf der angrenzenden Straße ganz in der Nähe der Schießerei zu sehen. Auch ein Polizeifahrzeug nähert sich dem Tatort und fährt nach den Schüssen auf einem Bürgersteig zu dem Geschehen. Die Polizisten eilen nach den Schüssen zu dem am Boden liegenden Getroffenen, bevor die Aufnahme endet.

Lief der Mann mit dem Messer auf die Polizisten zu?

Zu klären ist, ob und wie der Mann seine Nachbarn und die Polizisten bedrohte, wie der Mann mit dem Messer aus seiner Wohnung an den Beamten vorbei, vor das Wohnhaus kam. Ob die Sprachbarriere zwischen dem Syrer und den deutschen Polizisten eventuell zu einer Eskalation beitrug. Und ob er, wie laut erster Polizeimeldung mit dem Messer auf Polizeibeamte zugelaufen war — und der mutmaßliche Angriff nur durch Schüsse gestoppt werden konnte und als Notwehr gelte. Und damit auch die Frage, ob eine unmittelbare Gefahr für die Polizisten durch den mit einem Messer Bewaffneten bestand, welche die Schüsse am helllichten Tag mit Unbeteiligten in der Nähe des Tatortes rechtfertigten.

Der Opferverband „Lobbi“ aus Mecklenburg–Vorpommern fordert eine gründliche Aufklärung des Einsatzes und einen professionellen Umgang der Polizei mit Bewaffneten und Personen in psychischen Ausnahmezuständen. Die Bilder des Vorfalles und der Aussagen der Staatsanwaltschaft wirke auf „viele Menschen verstörend“, schreibt der Verein für Opferberatung bei Twitter. Auch eine „rassismussensible Ausbildung“ wird für Polizisten gefordert. Dies „schützte zugleich mögliche Betroffene vor Polizeigewalt sowie unbeteiligte Dritte“, heißt es. Dazu wurde auf einen Polizeieinsatz in Dortmund verwiesen, bei der ein 16-Jähriger durch Schüsse eines Polizisten getötet wurde.

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AfD fordert Elektroschocker für solche Fälle

Der AfD–Fraktionsvorsitzende im Schweriner Landtag und ehemalige Polizist aus Greifswald, Nikolaus Kramer, nahm den aktuellen Polizeieinsatz in Evershagen zum Anlass, um erneut die Ausrüstung der Polizei in MV mit „Tasern“, also Distanz–Elektroschockern, zu fordern. Da der AfD–Vorschlag für die Taser–Ausrüstung schon mehrfach von den anderen Fraktion abgelehnt wurde, solle nun auch „niemand von den anderen Fraktionen Schusswaffeneinsatz verurteilen oder sich über diesen überrascht zeigen“, so Nikolaus Kramer.

Bisher verfügen in Mecklenburg–Vorpommern nur Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) über Taser, mit denen Angreifer mittels eines Stromstoßes für kurze Zeit handlungsunfähig gemacht werden können. Ihr Einsatz ist umstritten. Kritiker sehen gesundheitliche Gefahren, wenn etwa der Getroffene an einer Krankheit leidet oder unter Drogeneinfluss steht.

Mecklenburg–Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) schließt die Anschaffung von Tasern für weitere Teile der Polizei im Nordosten nicht aus. Er wolle aber zunächst die Erfahrungen anderer Bundesländer auswerten, sagte Pegel im Januar im Landtag. Zum damaligen Zeitpunkt lehnte er die von der AfD geforderte Ausstattung der Einsatzbeamten in MV mit den Distanz–Elektroschockgeräten ab.

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