Gesundheit
Portal übersetzt ärztliche Fachsprache für Patienten
Greifswald / Lesedauer: 4 min

Susanne Schulz
Ist eine „regelrechte Artikulation im Acromioclaviculargelenk“ gefährlich? Was bedeutet „corticale Imprimierung des Humeruskopfes an der ventralen Zirkumferenz“? Und was kann überhaupt eine Kernspintomografie? Klar, Patienten möchten wissen, was mit ihnen passiert und was eine Untersuchung für Ergebnisse zeigt. Doch das Fachvokabular medizinischer Befunde kann gehörig verunsichern, wenn im Arztgespräch die Zeit oder auch der Mut fehlt, offene Fragen anzusprechen.
Mittlerweile mehr als 58.000 „Übersetzungen“
Statt mit Dr. Suchmaschine mühselig Wort für Wort ergründen zu müssen, können Ratsuchende auf Fachleute wie Fabian Wilken bauen. Der junge Mann, der gerade sein Medizinstudium an der Universität Greifswald beendet hat, gehört zum ehrenamtlichen Übersetzerteam von www.washabich.de, einem Internetportal, auf dem Patienten ihre Befunde einreichen und dafür eine allgemeinverständliche Übersetzung bekommen.
Aktuell sind 162 Mediziner und Medizinstudenten in ganz Deutschland, einige gar an Universität in Rumänien, Tschechien und der Schweiz, für die Plattform tätig. Seit deren Gründung 2011 waren es bereits 1600 Ehrenamtler, die mittlerweile mehr als 58 000 Übersetzungen erstellten.

Fabian Wilken war 2020 durch eine Kommilitonin auf das Portal aufmerksam geworden — passenderweise zu einer Zeit, als die Corona–Pandemie zu Einschränkungen im Studienbetrieb führte. „Ich war total begeistert von der Idee, zumal ich schon oft gedacht hatte, so etwas müsste es geben, um Patienten in verständlichen Worten eine Diagnose näherzubringen“, erzählt er. Das könne den Betroffenen vielfach Sorgen nehmen und dazu beitragen, dass sie sich vertrauensvoller, weil kundiger auf die Behandlung einlassen.
Angstbesetzte Begriffe sorgen für Verunsicherung
Denn nicht nur das Medizinerlatein – unabdingbar als einheitliche Basis für eine klare Kommunikation unter den Fachkollegen – mache es den Laien schwer. Für Verunsicherung sorgen vor allem angstbesetzte Begriffe wie „Tumor“, der oft als Krebs gedeutet wird, aber zunächst mal eine Schwellung bezeichnet, ohne schon zu wissen, ob sie gut– oder bösartig ist.
Ein häufiges Missverständnis gilt, wie Fabian Wilken weiß, auch dem Unterschied zwischen Geschwulst, einer Gewebebildung, und Geschwür, einem Schaden in der Schleimhaut.
Erklärung meist deutlich länger als Originalbefund
Sich so auszudrücken, dass die Erklärung auch richtig verstanden wird, ist für den jungen Greifswalder denn auch „die große Kunst und die große Schwierigkeit“ beim Befund-Übersetzen. Was Wunder, dass die Übersetzung um einiges länger ist als das Original: Darin wird zum Beispiel beschrieben, was bei der vollzogenen Methode wie etwa einem EKG oder MRT eigentlich geschieht, wie das untersuchte Organ oder Gelenk beschaffen ist und welche Ergebnisse im Befund formuliert sind.
Natürlich gilt für die Übersetzer die ärztliche Schweigepflicht, betont Wilken. Patienten werden gebeten, in den übermittelten Befunden alle persönlichen Daten zu schwärzen. Zu den erhaltenen Übersetzungen sind Rückmeldungen allemal willkommen. Oft wird Dank kundgetan, manchmal gibt es noch Nachfragen; dann und wann muss auch verdeutlicht werden, dass die Übersetzung nicht in eine Interpretation der Ergebnisse münden darf, schon gar nicht in Behandlungsempfehlungen.
Bei seltenen Erkrankungen helfen erfahrene Fachärzte
Mit Abstand am häufigsten werden Befunde von Röntgen– oder computertomografischen Untersuchungen eingereicht, erzählt der junge Mediziner. Auch Gutachten für Gewebeproben, OP–Berichte nach Gelenkoperationen oder — sein „Lieblingsfach“ — neurologische Befunde hat er schon bearbeitet. Wenn es um sehr seltene Erkrankungen geht, die schon den jeweiligen Behandlern nicht alle Tage begegnen, gibt es erst recht für die Übersetzer viel zu recherchieren. Rat einholen können sie bei erfahrenen Fachärzten, mit denen washabich.de zusammenarbeitet.
Gemeinsam mit zwei Medizinstudenten hatte der Informatiker Ansgar Jonietz das Webportal 2011 innerhalb weniger Tage entwickelt. Heute ist er Geschäftsführer eines kleinen hauptamtlichen Teams, das vom Dresdner Firmensitz aus ein wachsendes Netzwerk von ehrenamtlichen Befund-Übersetzern und weiteren artverwandten Formaten betreut. Denn zum Profil gehören mittlerweile auch Kommunikationskurse für Medizinstudenten und Ärzte, außerdem die gemeinsam mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe entwickelte Website www.selbst–verstehen.de und eine Software zur KI–gestützten Erstellung leichtverständlicher Patientenbriefe.
Aufgeklärte Patienten und zufriedene Ärzte als Ziel
Was es mit dem eingangs beschriebenen „Medizinerlatein“ auf sich hat, geht übrigens aus einer Beispielübersetzung auf www.washabich.de hervor: dass bei einer Kernspintomografie scheibenförmige Bilder des Körpers ausgewertet werden und im beschriebenen Fall am oberen Ende des Oberarmknochens die äußere harte Schicht eingedrückt, aber das Schultereckgelenk normal zusammengefügt ist.
„Wer die eigene Erkrankung verstanden hat, kann ihr bewusster begegnen“, lautet das Credo der washabich–Macher. Je aufgeklärter, desto gesundheitsbewusster seien die Patienten und desto zufriedener auch die Ärzte. Fabian Wilken übrigens will auch im Berufsleben als Arzt weiterhin für das Übersetzer–Portal tätig sein und außerdem, so sein Ehrgeiz, „irgendwann vielleicht selbst mal zu den Experten gehören, die das Team bei speziellen Fragen unterstützen“.