Energiekrise
▶ Premiere – Flüssiggas aus Lubmin für Deutschland und Europa
Lubmin / Lesedauer: 6 min

Andreas Becker
Erst das niedersächsische Wilhelmshaven, nun Lubmin in Vorpommern – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Samstag das zweite deutsche Terminal zum Import von Flüssigerdgas offiziell eröffnet. Zur Übergabe der letzten ausstehenden Genehmigung an die Betreiber waren auch Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), Landeswirtschaftsminister Reinhard Meyer und Landesumweltminister Till Backhaus (alle SPD) im äußersten nordöstlichen Zipfel Deutschlands vor Ort. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte sein Ankommen angekündigt, musste aber kurzfristig krankheitsbedingt absagen.
Kanzler Scholz besuchte die Brücke der „Neptune”
Nachdem der Kanzler in Lubmin gelandet war, ging es direkt auf das LNG-Schiff „Neptune”. Das 280 Meter Schiff mit seinen gigantischen Aufbauten war vor drei Wochen in den kleinen Hafen geschleppt worden und hat die gesamte Kulisse in dem bisher beschaulichen Hafen verändert. Bei der „Neptune” handelt es sich um eine FSRU (Floating Storage and Regasification Unit). Diese Spezialschiffe können LNG aufnehmen, erwärmen und gasförmig machen.
Sehen Sie hier ein Drohnenvideo von der "Neptune":
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Olaf Scholz ließ es sich nicht nehmen, das Schiff zu inspizieren und stattete der Brücke des Schiffes in luftiger Höhe einen Besuch ab. Dort oben fühlte sich der Kanzler offenbar so wohl und weit weg von den aktuellen innenpolitischen Probleme rund um die offenbar rücktrittswillige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, dass er sich mehr Zeit als ursprünglich eingeplant ließ.
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In ihren Statements betonten sowohl Scholz als auch Schwesig, wie wichtig die LNG-Terminals für Deutschland seien, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Neben dem vor wenigen Tagen im niedersächsischen Wilhelmshaven eröffneten Terminal stehe die Lubminer Anlage für die Bemühungen Deutschlands, Alternativen zu schaffen für ausbleibende russische Gaslieferungen. Die Terminals seien Beweis für das hohe Tempo, das die Verantwortlichen beim Aufbau einer eigenen deutschen Import-Infrastruktur für Flüssigerdgas (LNG) an den Tag gelegt hätten. Innerhalb von Monaten waren die Terminals geplant, genehmigt und gebaut worden.
Demonstranten protestieren gegen Lärm und fossiles Flüssiggas
Das Lubminer Terminal konnte aufgrund des im vergangenen Jahres kurzfristig verabschiedeten LNG-Beschleunigungsgesetzes in Rekordzeit durch die Mühlen der staatlichen Behörden laufen. Die Anlage in Lubmin ist das nach Betreiberangaben bislang einzige komplett privat finanzierte Terminal in Deutschland. Das Unternehmen Deutsche Regas spricht von Kosten in Höhe von etwa 100 Millionen Euro, die aus Eigenkapital und von Investoren stammten. Anfang der vergangenen Woche war im Rahmen eines genehmigten Testbetriebs erstmals Gas ins Gasnetz eingeleitet worden.
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Am Rande der offiziellen Zeremonie im Industriehafen Lubmins hatten sich auch wenige Demonstranten eingefunden. Sie protestierten auf der einen Seite gegen den Einsatz des fossilen Flüssiggases, auf der anderen Seite gegen die aufgetretenen Lärmbelästigungen rund um das Terminal. Um den Protest etwas abzufedern, hatte sich Backhaus am Morgen noch mit betroffenen Bürgern zu einem gemeinsamen Frühstück getroffen. „Wir nehmen die Anliegen der Bürger sehr ernst und werden entsprechende Messungen durchführen”, sagte Backhaus. Der Minister versicherte, dass bei der Genehmigung Rechtsstaatlichkeit vor Schnelligkeit gehe.
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Die Starts der beiden Terminals sind – nicht nur von unmittelbaren Anwohnern – von grundsätzlicher Skepsis begleitet. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat bereits Widerspruch gegen die Betriebsgenehmigung des Terminals in Wilhelmshaven eingelegt und fordert, die Betriebsdauer von 20 Jahren auf höchstens 10 Jahre zu beschränken. Außerdem kritisiert die DUH das Einleiten von mit Bioziden behandeltem Abwasser ins Meer. Und auch die Anlage in Lubmin werde, so heißt es von der DUH, beklagt. Allerdings machte Backhaus bereits deutlich, dass Biozide im Greifswalder Bodden nicht eingesetzt würden.
Großteil des Gases bisher über Nord Stream 1
Der Verband kritisiert die aus seiner Sicht überstürzte Genehmigung durch das Land Mecklenburg-Vorpommern und verweist darauf, dass derzeit kein Gasmangel drohe. Nach Einschätzung der Umwelthilfe wurden etwa Auswirkungen auf den geschützten Greifswalder Bodden, durch den die Tanker das LNG transportieren, nicht ausreichend berücksichtigt.
In den vergangenen Jahren hatte Deutschland einen Großteil seines Erdgases über die deutsch-russische Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 bezogen. Nach vorhergehenden Drosselungen kommt gar nichts mehr über diesen Weg. Außerdem ist die Leitung wie die nie in Betrieb gegangene Schwesterleitung Nord Stream 2 durch mutmaßliche Sabotage stark beschädigt.
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Flüssigerdgas (LNG) wird aus mehreren Regionen der Welt per Schiff geliefert, wieder in Gas umgewandelt und in das Gasnetz eingespeist. Neben einem stärkeren Bezug etwa von Pipeline-Gas aus Norwegen soll LNG ausbleibende russische Lieferungen ersetzen. Wie in Wilhelmshaven nimmt in Lubmin ein Spezialschiff das LNG auf, wandelt es um und speist es ein. Diese schwimmenden Terminals konnten schneller in Stellung gebracht werden als feste Anlagen, die auch geplant sind. Der Bund hat mehrere schwimmende Terminals gechartert. Ein weiteres soll in Kürze in Brunsbüttel in Schleswig-Holstein an den Start gehen. Insgesamt wird der Bund in die LNG-Terminals fast zehn Milliarden Euro investieren.
Schafft der Gasimport Überkapazitäten?
Die bereits eingesetzten oder eingeplanten schwimmenden Terminals haben je nach örtlichen Gegebenheit eine Einspeisekapazität von etwa fünf Milliarden Kubikmeter Erdgas jährlich. Allein über Nord Stream 1 kamen 2021 fast 60 Milliarden Kubikmeter. Nach früheren Angaben will Deutschland im Winter 2023/24 etwa ein Drittel des bisherigen Gasbedarfs über die schwimmenden LNG-Terminals decken. Dafür sollen bis dahin weitere an den Start gehen – etwa in Stade in Niedersachsen und auch in Lubmin.
An dieser Energiestrategie gibt es aber auch Kritik. Zuletzt wurde etwa von Umweltverbänden bemängelt, dass Deutschland langfristig Überkapazitäten für den Gasimport schafft und so auch den angestrebten Ausstieg aus fossilen Energieträgern behindert. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte darauf verwiesen, dass es bei geplanten Projekten auch Unsicherheiten gebe und man Sicherheitspuffer für mögliche Ausfälle schaffen wolle. Zudem gehe es auch um eine Erweiterung der Infrastruktur auf europäischer Ebene, von der auch andere Länder profitieren könnten.
Gasspeicher zuletzt zu rund 90 Prozent gefüllt
War vergangenes Jahr noch vor einer Gasmangellage in diesem Winter gewarnt worden, erscheint das Szenario derzeit unwahrscheinlich. Zuletzt waren die Gasspeicher in Deutschland noch zu über 90 Prozent gefüllt. Unter anderem haben Privathaushalte und Wirtschaft ihren Verbrauch gesenkt.
Die Füllstände nehmen nach Beginn der Heizperiode im Herbst üblicherweise ab. Am Morgen des 14. November wurde ein Füllstand von 100 Prozent verzeichnet. Am 1. Februar sollen die Speicher laut Energiewirtschaftsgesetz noch zu 40 Prozent gefüllt sein. Im vergangenen Jahr spielten zumindest zeitweise auch direkte russische Gasimporte noch eine Rolle. Diese dürfte es bis zum nächsten Winter nicht mehr geben. Auch das Wetter ist ein Einflussfaktor. Ein strenger Winter lässt den Gasverbrauch steigen. Zuletzt waren die Temperaturen vergleichsweise mild.