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Riesenpfusch verursachte A20-Desaster bei Tribsees

Tribsees / Lesedauer: 3 min

Ein Gutachten, das nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist, lässt tief blicken. Grobe Mängel beim Autobahnbau und bei wichtigen Messungen haben zum Zusammenbruch der A20 geführt.
Veröffentlicht:14.06.2022, 11:54

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Vor drei Wochen – und damit knapp fünf Jahre nach dem spektakulären Verschwinden eines Abschnitts der A20 bei Tribsees (Kreis Vorpommern-Rügen) – hatte das Bundesverkehrsministerium erstmals Ergebnisse eines Gutachtens zu den Ursachen öffentlich gemacht. Demnach soll das Autobahn-Debakel auf gebrochene Trockenmörtelsäulen im Untergrund zurückzuführen sein.

Laut Gutachten der Technischen Universität Berlin seien die zur Untergrundstabilisierung eingebauten Trockenmörtel-Säulen überbeansprucht worden und hätten deshalb versagt, hatte das Bundesverkehrsministeriums mitgeteilt. Verbaut wurden an der A20 sogenannte CSV-Säulen (Combined soil stabilisation with vertical Columns). Die Untersuchung habe gezeigt, „dass die Ursache für das Gesamtversagen letztlich der Bruch mehrerer Säulenreihen” war.

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Doch das ist nur die halbe Wahrheit – das Gutachten, das laut Verkehrsministerium nicht für die Öffentlichkeit bestimmt sei, nennt noch ganz andere und wesentlich schwerer wiegende Ursachen, die offenbar unter Verschluss gehalten werden sollen. Und diese Ursachen betreffen vor allem die Bauausführung selbst und auch die anschließenden Kontrollen. So heißt es beispielsweise wörtlich in dem Gutachten, das dem Nordkurier vorliegt: „Der Aufbau und die Dammgeometrie (einschließlich der CSV-Säulen) im Schadenbereich wurden mit Abweichungen zur Planung hergestellt, die auf größere Setzungen bei der Herstellung der CSV-Säulen deuten.”

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Weiter steht in dem Gutachten: „Bestandteil der Konstruktion ist eine bindemittelverbessernde Schicht (mit Last verteilender Funktion), die nach den Angaben der Dokumentation beim Dammrückbau im Bereich der Schadstelle mit zu geringer Mächtigkeit eingebaut wurde (eine lückenlose Feststellung der tatsächlichen Dicke ist nicht möglich). Der Gutachter stellt fest, dass geringere Festigkeiten und/oder Schichtdicken der bindemittelverbessernden Schicht Auswirkungen auf die Größe der Horizontalverschiebungen der Säulenköpfe haben und damit die Beanspruchung der CSV-Säulen erhöht wird.”

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Geradezu unglaublich klingt dann das, was das Gutachten zu Kontrollen und Messungen ausführt. „Die Messungen von Horizontalverschiebungen im Dammkörper wurden entgegen des ursprünglichen Messkonzeptes auf Empfehlung des beauftragten Sachverständigen bereits nach zwei Jahren Liegezeit des Dammes (geplant waren sechs Jahre) und noch vor Inbetriebnahme der Autobahn im Jahr 2005 mit Zustimmung des Auftraggebers eingestellt.” Planung und Baudurchführung lagen laut Gutachten bei der Deges – dahinter verbirgt sich die 1991 gegründete Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH. Sie ist für wichtige Infrastrukturprojekte zuständig.

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Unmittelbar vor dem Zusammenbruch der A20 sei ein weiterer fataler Fehler passiert. Im August 2017 war an der späteren Schadensstelle ein Baggerschurf zur Erkundung des Bodens durchgeführt worden. Dieser Bodenaushub habe zu einer Entlastung der Säulen in vertikaler Richtung geführt – aber: Der Gutachter geht davon aus, dass hierdurch die aufnehmbaren Biegemomente der Säulen reduziert wurden und das Tragsystem in der Folge beschleunigt versagt haben könnte.

Damit nicht genug – eine weitere Passage im Gutachten lässt ebenfalls aufhorchen: „Eine weitere initiale Ursache könnte auch das Überfahren der Säulen im Bauzustand (vor dem Abbinden des Zements) gewesen sein. Das heißt: Schwere Fahrzeuge sind im Bauzustand über die frischen Säulen gekurvt, noch bevor der Beton hart war.