#allesdichtmachen

Schützenhilfe aus MV für Schauspieler im Shitstorm

Berlin / Lesedauer: 4 min

Heißes Eisen Corona-Kritik: Ein Rundfunkrat forderte die mediale Kaltstellung von mehr als 50 Schauspielern, die Protestvideos gedreht hatten. Teilnehmerin Meret Becker erhielt Morddrohungen.
Veröffentlicht:26.04.2021, 06:33
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Von:
  • Author ImageJürgen Mladek
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Dutzende Film- und Fernsehschauspieler – darunter Stars wie Jan Josef Liefers, Heike Makatsch, Ulrich Tukur und Volker Bruch – hatten am Donnerstag unter dem Schlagwort „allesdichtmachen“ mit ironisch-satirischen Video-Clips die Corona-Politik der Bundesregierung kommentiert. Die Videos nehmen eine als einseitig empfundene Fixierung auf Lockdowns in den Fokus, aber auch Autoritätshörigkeit und Konformitätsdruck aufs Korn.

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Heftiger Shitstorm ließ Promis zurückrudern

Die Kritik an der Aktion ließ nicht lange auf sich warten und war heftig. Die Schauspielerin Meret Becker – so berichtete es ihr Bruder Ben der Bild-Zeitung – erhielt sogar Morddrohungen. Sie löschte in der Folge des Erregungssturmes wie einige andere Künstler ihr Video und distanzierte sich von der Aktion.

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Druck auf die Künstlergruppe wurde auf vielen Ebenen ausgeübt. So forderte der SPD-Politiker und WDR-Rundfunkrat Garrelt Duin, dass die öffentlichen-rechtlichen Sender die Zusammenarbeit mit den betroffenen Schauspielern umgehend einstellen müssten.

CDU-Landrat Sack: „Als Kind der DDR sträuben sich alle Nackenhaare”

Viele Akteure in Politik und Medien empfanden das als Dammbruch und verteidigten die Meinungsfreiheit der Künstler. Der CDU-Landesvorsitzende und Spitzenkandidat für die MV-Landtagswahlen im September, Michael Sack, sagte dem Nordkurier: „Bei solchen Berufsverbots-Phantasien sträuben sich mir nicht nur als Kind der DDR alle Nackenhaare. Gerade in dieser besonderen Situation mit den vielen leider notwendigen Einschränkungen ist Kritik an einzelnen Corona-Maßnahmen nicht nur verständlich, sondern auch immens wichtig, damit wir als Gesellschaft immer wieder hinterfragen können, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind und niemanden zurücklassen.“

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Als Rundfunkrat, so Sack weiter, müsse man Garant gegen jede Art von Zensur sein. Gesehen habe man jetzt aber einen „totalitären Denk-Reflex, der Vertrauen in unsere demokratische Werteordnung“ zerstöre. „Das ist kein Ausrutscher und mit einem Zurückrudern auch nicht aus der Welt“, so Sack.

Hagen Reinhold (FDP): „Eine offene Gesellschaft braucht kritische Künstler”

Klare Ansage auch vom FDP-Bundestagsabgeordneten Hagen Reinhold: „Wer Kunstfreiheit nicht akzeptieren kann, hat in einem Rundfunkrat nichts zu suchen. Eine offene Gesellschaft braucht kritische Künstler, das muss man aushalten. Egal, welcher Meinung man ist.“

Aus Berlin meldete sich Antje Kapek, Fraktions-Chefin der Berliner Grünen, zu Wort. Kapek schrieb bei Twitter: „Ich bin auch Rundfunkrätin und Politikerin und halte die Kritik von #allesdichtmachen sehr gut aus. Es ist gesund, auch mal den satirischen Spiegel vorgehalten zu bekommen. Aber als Konsequenz den Rausschmiss zu fordern, ist das genaue Gegenteil von Pressefreiheit.“

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Zwar löschte Duin, der einige Jahre SPD-Landesvorsitzender in Niedersachsen und später Energieminister in NRW war, seine Aufforderung zum öffentlich-rechtlichen Boykott der protestierenden Schauspieler, stellte aber klar, dass er die Aktion nach wie vor für falsch halte. Der Präsident der Deutschen Filmakademie, Schauspieler Ulrich Matthes, sagte, er habe sich sehr gewundert über die Unterstellung in den meisten der Videos, es gäbe keinen Diskurs darüber, ob die Maßnahmen in der Pandemie berechtigt seien.“ Das sei indirekt Schützenhilfe für die Querdenkerszene und die AfD.

„Von diesen 50 ist keiner AfD, ist keiner rechts“

Ähnlich äußerte sich der Daten- und Politikwissenschaftler Josef Holnburger. „Leider bedienen viele der Prominenten hämisch Narrative, welche Bestandteil vieler Verschwörungserzählungen sind“, sagte er. „Etwa vermeintlich gleichgeschaltete Medien oder ein Kritikverbot an der Regierung. Es wundert mich deshalb nicht, dass der Applaus aus dieser Szene besonders laut ist.“

Gegen solche Einordnungen wandte sich dann in einer Talkshow der CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet. Selbstverständlich dürften die Künstler ihre Meinung frei äußern. Es sei aber ganz schlimm, immer gleich zu sagen, „das ist rechts“. „Von diesen 50 ist keiner AfD, ist keiner rechts. Die haben einfach eine andere Meinung als die Mehrheit.“

Der Versuch, die ganze Aktion in die rechte Ecke zu schieben, veranlasste inzwischen auch Dietrich Brüggemann zu einer wütenden Stellungnahme. Er hatte bei mehreren der Protestfilme Regie geführt und die Aktion maßgeblich mit ins Leben gerufen. „Wenn Kritik an den Maßnahmen rechts ist, dann ist es meine linke Hand auch”, zitiert ihn die Berliner Zeitung. Zu Hassattacken aus dem Netz gegen die Schauspieler und ihn schreibt er: „Ihr merkt gar nicht, was für Reflexen ihr hier nachgebt, aber das ist Teil des Problems. An einer Medienelite, die den immer härteren Lockdown fordert und jeden Kritiker mit Verweis auf volle Intensivstationen zum Abschuss freigibt, gibt es jede Menge zu kritisieren.“