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Gesundheitswesen

So schätzen große MV-Kliniken die geplante Krankenhausreform ein

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Selbst der Bundesgesundheitsminister hat die Fehler der Krankenhauspolitik erkannt und will nun eine Reform. Der Nordkurier hat die Kliniken der Region dazu befragt.
Veröffentlicht:10.04.2023, 15:51

Von:
  • Nordkurier
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„So wie jetzt kann es nicht weitergehen. Wir haben es mit der Ökonomisierung der Medizin übertrieben. Das müssen wir zurückdrehen“, sagt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und gibt dabei nicht nur Systemfehler, sondern auch höchst eigene Fehler zu. Beim deutschen Krankenhausgipfel hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft ihn mit diesen Fehlern einmal mehr konfrontiert und eine echte Reform gefordert.

Kreiskrankenhaus Demmin

Auch das Kreiskrankenhaus Demmin befindet sich, wie viele Krankenhäuser derzeit in Deutschland, in einer wirtschaftlich angespannten Situation. „Wir kämpfen mit sinkenden Erlösen und hohen, zum Teil inflationsbedingten Sachkostensteigerungen, die nicht durch andere Erlösarten unmittelbar kompensiert werden können“, erklärt der Geschäftsführer Kai Firneisen auf Nachfrage. Sollte die Politik jetzt nicht handeln, sei eine Insolvenzwelle von Krankenhäusern und Fachkliniken nicht auszuschließen.

Er nennt drei Faktoren, welche die Klinikkasse derzeit besonders belasten: „Die hohen, teils durch Fachkräftemangel entstehenden, Honorararztkosten zum Beispiel. Auch das Patientenaufkommen, welches derzeit noch nicht wieder Vorpandemieniveau erreicht“, sagt Firneisen. Hinzu komme eine voraussichtliche Tarifsteigerung und weiter inflationsbedingte Kostensteigerungen in allen Bereichen.

Was erwartet der Chef des Demminer Krankenhauses von der Reform? „Je nach nachdem wie sich Krankenhäuser im neuen Versorgungsstufenmodell wiederfinden, werden Häuser von der Vorhaltungsfinanzierung (60/40) profitieren und der wirtschaftliche Druck dürfte etwas nachlassen“, gibt er sich optimistisch. Da durch die Reform keinesfalls mehr Geld ins System komme, müssten Krankenhäuser in anderen Bundesländern geschlossen werden, vorzugsweise sollte das nicht in Mecklenburg-Vorpommern geschehen. „Da hier eine Reform bereits vor 15 Jahren die Strukturen bereinigt hat“, erklärt er. Außerdem hoffe er, dass nicht vergessen werde, dass  Kliniken in ländlichen Räumen anders kalkulieren müssen als in Ballungsgebieten.

Unimedizin Greifswald

Von einer aktuellen Finanz-Notlage der Greifswalder Unimedizin will Toralf Giebe, Kaufmännischer Vorstand, noch nicht sprechen. Wie angespannt das Krankenhaussystem ist, sei allen bewusst, auch in den Ministerien und im Landtag. „Unser Haushaltsplan sieht daher für dieses Jahr bereits ein Defizit vor. Alles andere wäre unrealistisch gewesen“, sagt Giebe.

Obwohl die Uni-Kliniken eine Sonderstellung im Gesundheitssystem einnehmen, zeigen auch hier gestiegenen Kosten ihr Folgen. Zudem seien die Folgen der Pandemie im Haushalt zu erkennen. „Denn gerade für die Universitätsmedizinen hat sie enorme Zusatzkosten gebracht hat, die extrem gestiegenen Energiepreise und die deutlich höheren Kosten für Verbrauchsmaterial und Arzneimittel obendrein“, fasst Giebe zusammen.

Deshalb erwartet er ein klares Bekenntnis zu den Universitätsmedizinen mit ihren besonderen Leistungen und Herausforderungen. „Wer Spitzenmedizin vorhalten soll, muss entsprechend finanziert werden“, fordert er. „Unter Fachleuten ist völlig unstrittig, dass unser Gesundheitssystem an verschiedenen Stellen nachjustiert werden muss. Ein Weiter-so kann sich die Gesellschaft überhaupt nicht erlauben, daher bin ich sicher, dass sich etwas bewegen wird.“

Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum Neubrandenburg

Im Neubrandenburg Dietrich-Bonhoeffer-Klinikum mit mehr als 1000 Betten spricht spricht die Klinikleitung von Kostensteigerungen von mehr als zehn Prozent in verschiedenen Bereichen. Energie gehöre ebenso zu den belastenden Kostenfaktoren wie Medizinprodukte, Medikamente und viele andere Sachkosten. „Diese enormen Mehrkosten können bei einem zuvor ausgeglichenen Haushalt nicht abgefedert werden, denn wir haben nicht die Möglichkeit, höhere Erlöse zu erzielen“, erklärt Geschäftsführerin Gudrun Kappich auf Nachfrage. Das wäre selbst bei einer höheren  Anzahl von Patienten angesichts der angespannten Personalsituation auch nicht zu leisten. Es müsse deshalb einen Inflationsausgleich geben, fordert sie. Die Krankenhäuser in Deutschland seien mit dieser Forderung keine Bittsteller, sondern haben einen gesetzlichen Anspruch auf eine auskömmliche Finanzierung.

„Zur Krankenhausreform gibt es bisher nur Vorschläge, keinen Gesetzesentwurf“, merkt sie an. Wenn Lauterbach seine Reform in der jetzigen Form durchführe, rechnet die Expertin mit erheblichen Verwerfungen in der Krankenhauslandschaft. Kurzfristig bräuchten alle Krankenhäuser einen zeitnahen Inflationsausgleich und langfristig Planungssicherheit. „Bezogen auf die Notfallversorgung brauchen wir dringend die Unterstützung des Landes für einen Neubau einer Zentralen Notaufnahme. Das ist seit Jahren unser wichtigstes Investitionsvorhaben, denn unsere ZNA ist 25 Jahre alt und für ganz andere Patientenzahlen konzipiert“, sagt Kappich.