Hungerstreik

So ticken die beiden Greifswalder Hungerstreiker

Greifswald / Lesedauer: 4 min

Die Aktivisten erklären, warum sie so verzweifelt sind, dass sie in den Hungerstreik getreten sind. Die Männer befürchten offenbar ernsthaft, dass die Erde bald lebensfeindlich wird.
Veröffentlicht:17.09.2021, 18:30
Aktualisiert:06.01.2022, 22:13

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19 Tage schon harren die sechs Klimaaktivisten ohne Essen in Berlin aus. Mit dabei sind auch die beiden Greifswalder Henning Jeschke (21) und Rumen Grabow (20). Sie hungern, um ein Gespräch mit den drei Kanzlerkandidaten zu erzwingen. Davon erhoffen sie sich ehrliche Aussagen über die Klimakrise und ein Versprechen für die Einführung eines Bürgerrats. Dieser soll verbindlich die Wahlversprechen der Politiker kontrollieren und auf die Erfüllung des Pariser Klimaabkommens pochen.

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Was sind das für Menschen, in deren Leben sich Vieles um Protestaktionen dreht und die jetzt mit ihrem lebensgefährlichen Hungerstreik zum Äußersten gehen? Henning Jeschke und Rumen Grabow haben ihr Abitur in der Greifswalder Martinschule abgelegt. Eine Schule, die bekannt ist für ihre alternativen Lehrmethoden und die individuelle Förderung von Schülern. Wenn Rumen Grabow von seiner alten Schule erzählt, gerät er ins Schwärmen: „Ich hatte das Gefühl, dort ich selbst sein zu können. Freies Denken und eine eigene Meinung entwickeln wurde dort stark gefördert.” Von seinen Lehrern fühlte er sich ernst genommen, auch wenn er mal anderer Meinung war als sie.

Mitschüler glauben an Entschlossenheit der Streikenden

Auch die Lehrer haben eine hohe Meinung von ihren einstigen Schülern. „Ich habe sie als sehr ernste, intelligente und nachdenkliche Schüler wahrgenommen”, erinnert sich Lehrerin Katja Danter. Insbesondere die Themen Umwelt und Gerechtigkeit standen bei den beiden stets im Vordergrund. Schulfreunde von früher glauben, dass die beiden den Streik noch lange durchhalten können: „Das ist den beiden nicht aus einer spontanen Laune heraus eingefallen, jetzt mal bockig zu streiken. Die haben sich intensiv darauf vorbereitet und wenn es sein muss, können sie mit ihrer Willensstärke noch lange durchhalten.”

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In einer von der Martinschule organisierten Andacht im Greifswalder Dom kamen rund 200 Schüler am Donnerstag zusammen, um an ihre ehemaligen Mitschüler zu denken. Auch Greifswald Oberbürgermeister Stefan Fassbinder (Die Grünen) sowie der evangelische Bischof Tilman Jeremias nahmen daran teil.

Ob der Hungerstreik ein legitimes Mittel ist, um ihre Forderungen durchzusetzen, das wird auch auf dem Schulhof diskutiert. „Wenn alles andere nichts hilft, dann muss auch mal eine drastische Maßnahme ausprobiert werden”, finden die einen. „Ne, das ist zu krass und finde ich nicht richtig”, finden die anderen.

Schulleiter Benjamin Skladny drückte sich neutral aus: „Wenn sie den Hungerstreik als Mittel auswählen, dann ist das ein Akt ihrer puren Verzweiflung und dann steht mir das überhaupt nicht zu, das irgendwie zu werten.”

Ab wann ist ziviler Ungehorsam okay?

Das radikale Mittel des Hungerstreiks haben die Klimaaktivisten gewählt, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen. „Wir waren bei Demos und haben immer wieder versucht, den Politikern klar zu machen, dass jetzt gehandelt werden muss, aber es half alles nicht”, sagt Henning Jeschke. Die beiden Greifswalder haben sich im Frühjahr und Sommer viel mit dem Thema „ziviler Ungehorsam” beschäftigt. „Wann ist es legitim Grenzen zu überschreiten und ungehorsam zu werden”, fragte sich Rumen Grabow immer wieder. „Wann rechtfertigt unsere Not auch krassere Mittel, als nur demonstrieren zu gehen?”

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Als dann die Wahlprogramme der Parteien zur aktuellen Bundestagswahl herauskamen, waren die Aktivisten geschockt. „Nicht eine einzige Partei unternimmt genug, um die Klimakrise wirksam zu bekämpfen. Das finden wir unfassbar, wo doch die Wissenschaft seit Jahren vor dem warnt, was uns erwartet”, heißt es aus dem Hungerstreik-Camp.

Deshalb beschlossen die sechs Aktivisten, noch vor der Wahl in den Hungerstreik zu treten. „Diese Wahl wird für die junge Generation eine Schicksalswahl. Jetzt ist der letztmögliche Zeitpunkt noch einer Katastrophe entgegenzusteuern, und trotzdem enthalten die Wahlprogramme nicht im Ansatz genug Maßnahmen, um diese Katastrophe abzuwenden”, erklärt Henning Jeschke. Deshalb begreifen sie die aktuelle Politik als „Mord an der jungen Generation”, wie sie sagen. Damit ihnen und anderen jungen Menschen nicht die Lebensgrundlage genommen wird, sei es jetzt Zeit zum Handeln und die Politiker zum Umdenken zu bewegen. Deshalb sind die jungen Leute in den Hungerstreik getreten.