Freispruch
Spektakuläres Urteil - Können Rotlicht-Sünder jetzt aufatmen?
Rostock / Lesedauer: 4 min

Stefan Tretropp
Ein Gerichtsurteil mit möglicherweise weitreichenden Folgen hat das Amtsgericht Rostock am Donnerstag gefällt. Es sprach eine 44-jährige Frau frei, die vor knapp zwei Jahren nach dem Überfahren einer roten Ampel geblitzt worden war. Die Betroffene profitierte davon, dass in der Blitzersäule am Werftdreieck eine fehlerhafte Software verbaut ist. Das Urteil könnte Auswirkungen auf zahlreiche Autofahrer haben, die in der Vergangenheit ebenfalls von der 2016 in Betrieb genommenen Anlage fotografiert wurden.
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Die Vorgeschichte: Eine heute 44 Jahre alte Autofahrerin aus dem Landkreis Rostock ist mit ihrem Wagen am 25. Oktober 2019 auf der Werftstraße unterwegs und biegt trotz der umspringenden Ampel noch schnell nach links in Richtung Lübecker Straße ab. Dabei passiert es: Die Ampel schaltet auf Rot, die Säule blitzt die Autofahrerin. Sie bekommt später Post, soll eine Geldstrafe zahlen und zudem einen Punkt in Flensburg erhalten. Die Frau legt Einspruch ein, nimmt sich mit Straf- und Verkehrsrechts-Anwalt Maximilian Rakow rechtlichen Beistand. Ihr Veto hat Erfolg.
Die Gutachter waren sich einig
Der Grund: Das Gericht stellt eine im Blitzer verbaute fehlerhafte Software, die für den Standort nicht geeignet ist, fest. Somit konnte an diesem Ort „nicht entsprechend der Bauartzulassung“ gemessen werden. Gleich zwei Gutachter der Dekra, einer aus Rostock und einer aus Berlin, werden in der Verhandlung im Amtsgericht gehört. Beide sagen übereinstimmend aus, dass die Software nicht kompatibel für den Blitzer-Standort ist. Im Klartext heißt das: Die Haltelinien, die im Messgerät virtuell hinterlegt sind, passen nicht zu den tatsächlichen Linien auf der Fahrbahn. Am 22. Juli treffen sich dann Vertreter von Polizei, Dekra, Amtsgericht und Stadtamt an der Blitzersäule, begutachten diese und führen eine Eichung durch.
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Das Ergebnis: Keine Beanstandungen. Rechtsanwalt Rakow bemängelt, dass er über diesen Termin nicht in Kenntnis gesetzt wurde. „Dieses Gerät ist nicht tauglich und müsste umgehend außer Betrieb genommen werden“, erklärt der 37-Jährige. Er stützt seine These dabei auch auf ein bereits vorliegendes Gutachten. Denn vor knapp drei Jahren weist Verkehrsmesstechniker Gunar Miers auf mögliche technische Fehler in genau dieser Anlage hin. „Ich habe 2018 ein Gutachten geschrieben und festgestellt, dass die virtuelle, im Blitzer hinterlegte und gespeicherte, Haltelinie um 24 Zentimeter im Vergleich zu der tatsächlichen Linie abweicht“, erklärt der 46-jährige Sachverständige von Kfz-Natzius.
Aufnahmen waren rechtlich nicht verwertbar
„Die Dekra hat das damals abgebügelt. Ich habe das Gefühl, dass man sich schützend vor das Gerät gestellt hat“, vermutet Miers. Nun aber die Kehrtwende. Der Sachverständige geht ins Detail. Die Software erlaube nicht, dass negative Winkel eingegeben werden. Dadurch ist die Haltelinie der linken Abbiegespur vom Messgerät aus nach hinten versetzt, was 24 Zentimeter von dem abweicht, wie die reelle Linie verläuft. Man könne nur, so der Gutachter, einen Winkel von null Grad, aber eben keinen negativen eingeben. Diese erheblichen Abweichungen und der nicht einstellbare Negativwinkel sorgen dafür, dass die Aufnahmen rechtlich nicht verwertbar sind.
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Dies bestätigt auch Gabriele Krüger, Pressesprecherin beim Rostocker Amtsgericht: „Das Verfahren endete mit einem Freispruch, weil das Messgerät über eine fehlerhafte Software verfügt, die nicht für diesen Standort ausgelegt ist.“ Das für Verkehrsangelegenheiten zuständige Verkehrsamt der Stadt Rostock werde nun „Abhilfe“ schaffen, sagte die Gerichtssprecherin. Heißt: Die Blitzersäule soll schnellstmöglich auf den technischen Stand gebracht werden, dass die Fotos auch gerichtsverwertbar und rechtlich sauber sind. Die Antwort zu einer an die Hansestadt Rostock gerichteten Anfrage steht noch aus. Inwieweit nun Bußgeldbescheide ungültig und wie viele Betroffen sind, ist derzeit noch unklar. Für Städte und Kommunen sind Blitzer eine wichtige Einnahmequelle. Jährlich erzielen Hansestadt und Landkreis Rostock mehrere Millionen Euro durch Temposünder.