Tourismus in MV – Coronaboom nicht genutzt
MV / Lesedauer: 4 min

Silke Voß
Die Bilanz fällt ernüchternd aus: Im Jahr 2022 ist der Tourismus in der Seenplatte wieder auf seine hausgemachten Probleme wie Personalmangel und unzureichende Servicequalität zurückgeworfen worden. Die Reise-Sperre ins Ausland wegen Corona gilt nicht mehr, die Menschen verreisen wieder zu den Balearen. Das Ausnahme-Phänomen des „Übertourismus“ in Mecklenburg-Vorpommern mit Ballermann-Auswüchsen an der Seenplatte und der Ostseeküste gehört der Vergangenheit an. Die Urlauber nehmen zum großen Teil lieber wieder Pannen an Flughäfen, überfüllte Flieger und mediterrane Hitze in Kauf, als mecklenburgische Gemütlichkeit. Und hiesige Touristiker müssen sich fragen, warum sie den coronabedingten Touristenboom nicht genutzt haben, um Gäste dauerhaft anzulocken.
„Das außergewöhnliche Übermaß an Urlauberströmen liegt nun wieder auf dem üblichen Niveau der Vor-Pandemiezeit – und sogar noch darunter“, räumt Tobias Woitendorf, Chef des Landestourismusverbandes, ein. Zwar weist die Bilanz zum Jahresende stolze 23 Millionen Übernachtungen auf und übersteigt damit die Erwartungen. Die brancheninternen Probleme aber bleiben.
Mehr zur Jahresbilanz:2022 kamen die Urlauber nach MV zurück
Arbeitskräftemangel ist noch größer geworden
Landes-Tourismusminister Reinhard Meyer (SPD) kritisiert in diesem Zusammenhang das mangelhafte Preis-Leistungs-Verhältnis in MV. Starke Preissteigerungen in manchen Hotels stünden oftmals schlechtem, unprofessionellem Service gegenüber.
Doch der Umstand weniger starker Buchungen hat auch seine positive Kehrseite. Jedenfalls sieht die Malchower Gastronomin und Vorstandsmitglied des Regionalverbandes Seenplatte, Manja Wulff, das so: „Es geht entspannter zu. Überall sind noch Kapazitäten frei, sei es im Café, auf dem Campingplatz oder beim Bootsverleih. Ruhesuchende Urlauber sind zufrieden.“
Allerdings nicht, wenn es an Service-Personal fehlt. Und das Problem scheint größer als je zuvor. Während der Pandemie haben sich viele, die ohnehin an der Unstetigkeit des Berufs gelitten haben, gänzlich umorientiert. „Die Folgen von Corona werden uns noch lange zu schaffen machen“, klagt Woitendorf. Der Chef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes in MV (Dehoga), Lars Schwarz, vermutet hinter dem Personalschwund schlichtweg auch den demografischen Trend der Abwanderung junger Leute. Andere, wie der Gewerkschaftsvorsitzende Nahrung-Genuss-Gaststätten, Jörg Dahms, wiederum sehen für die Abwanderung von Arbeitskräften einen Hauptgrund: Das vergleichsweise geringe Gehalt. Und sprechen von Geizmentalität bei vielen Gastronomen.
Mit dem Ukrainekrieg kam die nächste Katastrophe
Ist die eine Krise noch gar nicht ganz überwunden, wirkt sich eine weitere Katastrophe 2022 auch auf die Tourismusbranche aus: Der Ukrainekrieg. Nicht nur die Gäste gucken noch genauer ins Portemonnaie. Aufgrund der immens gestiegenen Energiepreise müssen auch die Wirte prüfen, wie sie Gas- und Stromverbrauch und damit Kosten reduzieren. Einige überlegen eine Umrüstung auf Hackschnitzel und den Einsatz von Methanolbrennstoffzellen wie etwa der Inhaber von Wasserschloss Mellenthin, Jan Fidora. Wer nicht investieren kann, denkt daran, eine Wärmepauschale von den Gästen einzuziehen, die Öffnungszeiten einzuschränken – oder zum Winter ganz zu schließen.
Den Dreh mit der Energie raus hat das Haffhus Bellin, das seit Jahren schon energieautark wirtschaftet. Deshalb erhielt Dirk Klein als Hotelinhaber auch den Landestourismuspreis 2022, übrigens neben dem verdienten Teterower Medizin-Professor Horst Klinkmann.
Zu den Energieproblemen nicht nur in der Branche kommt das eingefrorene Kurzarbeitergeld als vormaliges Krisenhilfsinstrument: Kürzlich hat etwa der Betreiber der attraktiv in der Teterower Altstadt gelegenen Stadtmühle, Helge Apelt, angekündigt, deshalb vorübergehend ganz dicht zu machen.
Besucher kommen immer spontaner
Die Buchungslage im Herbst jedenfalls bleibt mau, trotz spezieller Aktionen wie Kranichtouren und Schlösserherbst. Die Besucher reisen nun außergewöhnlich spontan und kurzfristig an. Zeitweise aber kommen sie wieder in Massen: Das Neun-Euro-Ticket sorgte für übervolle Züge an die Küste.
Das Land beging 2022 auch viele Jubiläen und besondere Events, unter anderem den 200. Geburtstag Heinrich Schliemanns. Das New York Philharmonic Orchestra gastierte auf Usedom, ein klangreicher Sommer der Festspiele MV begann im Juni in der Konzertkirche Neubrandenburg. Rund ging es auch auf dem Teterower Bergring, der übrigens noch dazu sein 100. Jubiläum nachholt.
Erholung:An die Seenplatte kommen wieder mehr Urlauber
Ein Abgang, eine Doppelfunktion und ein Gerichtsprozess
Im Land und in der Region drehte sich auch das Personalkarussell. Zum einen wurde Tobias Woitendorf Tourismusbeauftragter der Landesregierung. Seine künftige Doppelfunktion – zugleich bleibt er Chef des Landestourismusverbandes – wurde in der Öffentlichkeit nicht kritiklos wahrgenommen. Kritik gab es auch an Bert Balke, dem Geschäftsführer des Regionalverbandes Mecklenburgische Seenplatte. Ihm wurde vorgeworfen, die teils eklatante Erhöhung von Mitgliederbeiträgen nicht genügend kommuniziert zu haben. Nicht wenige Kommunen und Regionen verließen darauf den Tourismusverband Mecklenburgische Seenplatte. Im September gab Balke seinen Posten ab.
Für Aufsehen sorgte zum Jahresende dann, dass sich ausgerechnet der Dehoga-Chef vor dem Rostocker Amtsgericht wegen vermeintlichen Diebstahl-Verdachts verantworten musste. Der Gnoiener Gastronom soll vor dem Grandhotel Heiligendamm 2000 Euro aus einer gefundenen Geldbörse genommen haben – dafür fehlten jedoch die Beweise, so gab es einen Freispruch.