StartseiteRegionalMecklenburg-VorpommernVerschwörungsanhänger droht Landesregierung

QAnon in MV

Verschwörungsanhänger droht Landesregierung

Schwerin / Lesedauer: 6 min

In einem YouTube-Video wirft ein Mann der Landesregierung MV vor, an einer Kindes-Entführung beteiligt zu sein. Der Polizei ist der Vermisstenfall nicht bekannt. Sie prüft, welche Gefahren von dieser Bewegung ausgehen.
Veröffentlicht:20.06.2020, 12:30

Von:
Artikel teilen:

Dieser Sturm ist bisher anscheinend ausgeblieben. Derzeit kursiert bei YouTube das Video eines Anhängers der QAnon-Bewegung, in dem er für vergangenen Freitag zu einem „Sturm” für die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern aufgerufen hat. Der Mann fordert darin von der Landesregierung unter Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), dass „sie sich sofort mit dem Kinderraubfall in Greifswald” auseinandersetzen solle.

„Wir stellen das Ultimatum, wenn das Kind nicht binnen drei Tagen wieder gesund in Greifswald ist […], dann werden wir so eine Welle lostreten, dass von eurer Regierung […] nur noch ein großes Gerichtsurteil übrigbleibt.” Er spricht von einem „Sumpf”, springt zwischendurch zum Plural („den ganzen Kindern”), und schließt ab mit der Drohung: „Und Gnade Ihnen Gott, wenn dem Kind außer seelischen Schäden auch noch etwas anderes passiert ist.”

Keine Polizeimeldung zu einem vermissten Kind in Greifswald

Das nicht einmal zweiminütige Video ist am Dienstag hochgeladen worden und wurde bereits mehr als 20.000 Mal aufgerufen. Ein vermisstes Kind suchen? An sich eine noble Sache, dafür gibt es auch Beifall in den mehr als 200 Kommentaren. Dort heißt es etwa: „Endlich jemand, der nicht nur redet, sondern handelt!” Der YouTuber erreicht auf seinem Kanal tausende Menschen. Doch beschäftigt man sich näher mit dem Mann in dem Video, wird der Anlass für seine wütende Rede verwirrender und sogar potentiell bedrohlich.

Derzeit ist kein Kind in Greifswald als vermisst gemeldet. Zuletzt war am 10. März 2020 eine 13-Jährige nach einer Vermisstenmeldung der Polizei wiedergefunden worden. „Tatsächlich strafrechtlich relevante Sachverhalte, auf die der Protagonist im Video eingeht, sind polizeilich nicht bekannt”, bestätigt Dr. Anna Lewerenz, Sprecherin des Landeskriminalamtes (LKA) von Mecklenburg-Vorpommern auf Anfrage.

Xavier Naidoo verbreitet Video mit Drohung an Landesregierung MV

Der Youtube-Kanal, auf dem das Video hochgeladen wurde, bezieht sich auf die sogenannte QAnon-Bewegung. Dies ist ein Verschwörungsglaube, dessen Anhänger unter anderem davon ausgehen, dass weltweit Kinder von reichen Eliten aus Hollywood oder Politik verschleppt, sexuell missbraucht und misshandelt werden, um aus deren Blut eine Droge zu gewinnen. Täter sollen zum Beispiel der Schauspieler Tom Hanks oder Politikerin Hillary Clinton sein. Die Anhänger glauben, dass US-Präsident Donald Trump diese Kinder retten wird. Handfeste Beweise für diese Behauptungen gibt es nicht.

Auf dem auch am Dienstag erstellten Telegram-Kanal des Mannes, den er zusammen mit einer „holistischen Heilerin” betreibt, postet er über diesen gängigen QAnon-Mythos, und teilt dazu Beiträge von Rechtspopulisten oder Verschwörungsideologen wie Eva Hermann, Oliver Janich und Xavier Naidoo. Letzterer verbreitete das besagte Youtube-Video am Mittwoch in seinem eigenen Telegram-Kanal.

Antisemitische und Reichsbürger-Posts auf Facebook

Eine Recherche zeigt, dass der in Nordwestmecklenburg ansässige Mann auf seinem Facebook-Profil bereits seit mindestens 2017 QAnon-Mythen verbreitet hat, und das beinahe täglich.

Dort schrieb er außerdem, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Islamisten ins Land holen würde, „für den Kampf gegen die Deutschen”. Er scheint also die in rechtsextremen Kreisen gängige Theorie der „Umvolkung” zu glauben. Ebenso schreibt er über die antisemitische Verschwörungs-Behauptung, dass „die Zionisten […] z.B. auch mit A. Hitler zusammengearbeitet” hätten. Außerdem hofft er auf seinem Profil, dass die amerikanischen Soldaten in Deutschland „nach 72 Jahren Besatzung […] uns endlich von der faschistischen Regierung befreien” könnten, und outet sich somit zusätzlich als Reichsbürger.

Rechtsradikale Facebook-Freunde und Sympathien für verurteilten Reichsbürger

Reichsbürger-Sympathien scheint der Mann schon seit mindestens 2016 zu hegen. In dem Jahr hat er ein Facebook-Profilbild zur Schau gestellt, dass sich offenbar mit Adrian Ursache solidarisiert. Es zeigt die Flagge von dem erfundenen Staat „Ur” des Reichsbürgers Ursache. Dazu steht „Für Adrian Ein Mensch der die Wahrheit spricht”. Ursache gründete „Ur” 2014 auf dem Grundstück seiner Schwiegereltern in Sachsen-Anhalt. Er ist 2019 zu sieben Jahren Haft wegen versuchten Mordes verurteilt worden, weil er 2016 bei einem Schusswechsel einen Polizisten verletzte. Die Beamten wollten damals wegen Ursaches unbezahlter Rechnungen das Grundstück zwangsräumen.

In der Freundesliste des Youtubers sind etliche Reichsbürger zu finden, außerdem QAnon-Anhänger und offene Rechtsradikale, die zum Beispiel Profilbilder zur Schau stellen, auf denen das Wort „Nationalist” auf einer Reichsflagge prangt. Ob sie teil der Welle gegen die Landesregierung sein werden, nachdem das angeblich vermisste Kind aus Greifswald am Freitag nicht wieder aufgetaucht war?

Bewegung auch schon in MV aufgefallen

„Die QAnon-Bewegung ist dem Landeskriminalamt bekannt. Sie wurde aus den USA auch in Deutschland durch Anhänger von Verschwörungstheorien übernommen”, sagt Anja Lewerenz vom LKA. Mehrere zehntausend Personen würden entsprechenden deutschsprachigen Facebook-Gruppen folgen. „Nach hiesigen Erkenntnissen werden in diesen Gruppen 'Sachverhalte', Presseberichte und Themen mit Bezug ins gesamte Bundesgebiet und somit auch MV thematisiert”, so Lewerenz. Eines der besonders viel diskutierten Themen sei die vermeintliche Entführung von Kindern durch Regierungsstellen und Politiker weltweit.

In Mecklenburg-Vorpommern ist die QAnon-Bewegung nach Informationen des LKA bislang durch zwei Graffitis polizeilich in Erscheinung getreten. „Hinsichtlich des betreffenden Videos wird derzeit geprüft, ob durch das Video strafrechtliche oder gefahrenabwehrrechtliche Belange tangiert werden.”

Klare Feindbilder machen Verschwörungsanhänger zum „ultimativ Guten”

Die Autorin und Psychologin Pia Lamberty forscht zu Verschwörungsglauben. Sie sagt dem Nordkurier: „Die Anhänger kommen mit diesen Mythen einem Bedürfnis der Einzigartigkeit, der Selbsterhöhung nach.” Außerdem würden sie damit meistens einen Kontrollverlust oder eine stressvolle Erfahrung kompensieren und nach simplen Erklärungsmustern suchen.

Klare Feindbilder, das absolut Böse werden erschaffen. Die Verschwörungsanhänger repräsentieren so das ultimativ Gute. Es sei laut Lamberty nicht verwunderlich, dass in der Corona-Krise Verschwörungsmythen viel Zulauf erhalten hätten. „Insgesamt geht das aber einher mit einer größeren Gewaltbereitschaft, haben wir festgestellt. Die letzten rechtsextremen Anschläge, zum Beispiel in Halle oder Hanau, wurden von den Tätern auch mit dem QAnon-Glauben legitimiert.”

Landesverfassungsschutz spricht von „besonderer Aufmerksamkeit” in Corona-Krise

Der Landesverfassungsschutz weiß ebenfalls von dem QAnon-Glauben. Aber: „Verschwörungstheorien und Verschwörungstheoretiker unterfallen nicht generell dem gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes”, so Marion Schlender, Sprecherin des Innenministeriums MV. Sie seien nur dann von Bedeutung, wenn sie Bestandteil extremistischer Bestrebungen sind.

Angesichts der Corona-Krise bedürfe „die gegenwärtige Entwicklung hier allerdings besonderer Aufmerksamkeit, um rechtzeitig Radikalisierungstendenzen zu erkennen und um extremistische Beeinflussungsstrategien zu entlarven.”

Der Nordkurier hat den YouTuber am Freitag um eine Stellungnahme gebeten. Diese blieb bisher aus. Es stellt sich die Frage, ob der Mann im Video nur einen Sturm im Wasserglas herbeiredet, oder ob seine Zuschauer tatsächlich aktiv werden.