StartseiteRegionalMecklenburg-VorpommernVier Jahre nach dem Leonie–Mord — was hat sich geändert?

Totgeprügelt

Vier Jahre nach dem Leonie–Mord — was hat sich geändert?

Schwerin/Greifswald / Lesedauer: 4 min

Der Tod von Leonie hatte für Entsetzen gesorgt und Fragen aufgeworfen. Kann es sich wiederholen, dass ein Kind in der Familie totgeprügelt wird – und keiner merkt es? 
Veröffentlicht:24.05.2023, 06:05

Von:
  • Andreas Becker
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Am Ende war es ein brutaler Mord. Über Monate war die sechsjährige Leonie von ihrem Stiefvater David H. in der eigenen Wohnung in Torgelow (Landkreis Vorpommern–Greifswald) geprügelt, misshandelt und malträtiert worden.

Nach einem langen Martyrium war das Mädchen im Januar 2019 jämmerlich verstorben, nachdem weder der Stiefvater noch die Mutter Janine Z. Hilfe geholt hatten. Beide sind mittlerweile rechtskräftig verurteilt – der Stiefvater wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe, die leibliche Mutter wegen fahrlässiger Tötung zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung.

Doch welche Konsequenzen haben der zuständige Landkreis Vorpommern–Greifswald und das dort angesiedelte Jugendamt und die Landesregierung aus dem schockierenden Fall gezogen? Kann sich ein solches Verbrechen, bei dem ein Kind über Monate entsetzliche Qualen erleidet und kein Nachbar, kein Verwandter, kein Kinderarzt, kein Erzieher im Kindergarten und kein Mitarbeiter eines Jugendamtes oder eines Sozialdienstes reagiert und hilft, wiederholen?

Sicherheit wird es nie geben können

„Eine 100–prozentige Sicherheit wird es nie geben können“, räumt der Landkreis Vorpommern–Greifswald auf Nordkurier–Nachfrage ein. Es sei beim Landkreis nach dem Vorfall alles auf den Prüfstand gestellt worden, versichert die Pressestelle von Landrat Michael Sack (CDU). „Es wurden und werden stetig die Abläufe und Informationsflüsse optimiert. Ebenso werden diese und Standards der Prüfung von Kindeswohlgefährdungen ständig reflektiert“, heißt es in der Antwort. 

Was bedeutet das konkret? Der Landkreis habe unter anderem die Prüfung der Kindeswohlgefährdung außerhalb der Dienstzeiten des Jugendamtes und an den Wochenenden optimiert. Die Prüfungen fänden durch die geschulten Mitarbeiter des Sozialpädagogischen Dienstes unter Hinzuziehung eines Mitarbeiters eines freien Trägers der Jugendhilfe statt, betont die Behörde.

Jeder Kindeswohlgefährdungsmeldung werde umgehend nachgegangen und durch zwei Sozialarbeiter eine Einschätzung der Gefährdungssituation vorgenommen. Die Ergebnisse würden umfassend dokumentiert und daraus Festlegungen für das weitere Verfahren getroffen.

Landkreis hätte besser hinschauen können

Und noch etwas rückt der Landkreis in den Mittelpunkt: „Besteht eine dringende Gefahr und kann eine Entscheidung des Familiengerichtes nicht abgewartet werden, so ist das Jugendamt verpflichtet, das Kind oder den Jugendlichen in Obhut zu nehmen.“

Mit anderen Worten: Hätte der Landkreis die zwischenzeitlich grün und blau geschlagene Leonie sowie ihren ebenfalls malträtierten kleinen Bruder womöglich eher persönlich in Augenschein genommen, hätte man die Kinder vor Stiefvater und Mutter besser schützen können. 

Landkreis wehrt sich gegen Vorwürfe

In dem Zusammenhang wehrt sich der Landkreis im Nordosten Mecklenburg–Vorpommerns dagegen, mit seinem Jugendamt weggeschaut beziehungsweise gegen das Kindeswohl agiert zu haben. „Im abgeschlossenen Verfahren konnte den Mitarbeitern des Jugendamtes seitens der Staatanwaltschaft kein schuldhaftes Verhalten nachgewiesen werden“, meint der Landkreis.

So bedauerlich die Ereignisse auch gewesen seien, hätten in unserem Staat die Eltern die vorrangige Erziehungspflicht und das damit verbundene Erziehungsrecht. Laut Landkreis gehe es um eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit und um einen gesicherten Informationsfluss zwischen allen Beteiligten. Dabei stehe der Datenschutz vor dem Kinderschutz. 

"Fall Leonie" beeinflusst auch Arbeit der Regierung

Und die Landesregierung? Die stellt klar, dass der „Fall Leonie“ weiterhin Auswirkungen auf die Arbeit der Regierung habe. „So arbeitet seither unter der Federführung des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport eine gesonderte AG Kinderschutz“, sagt die zuständige Ministerin Stefanie Drese (SPD).

Diese AG habe eine gefestigte Grundlage etabliert, auf Basis derer sich alle am Thema beteiligten Akteure regelmäßig und verbindlich zu Verbesserungen im Kinderschutz auf operativer und gegebenenfalls auch auf legislativer Ebene austauschen. 

Gleichzeitig heißt es aber auch aus der Landesregierung, dass das Sozialministerium insbesondere gegenüber den örtlichen Jugendämtern über keine Rechts–, Fach– oder Dienstaufsicht verfüge. Landkreise, Gemeinden und Städte träfen ihre Entscheidungen im Rahmen der verfassungsrechtlich garantierten kommunalen Selbstverwaltung ausschließlich in eigener rechtlicher Verantwortung — ohne an Weisungen des Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Sport gebunden zu sein.

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