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Nord Stream 2

Von der Gaspipeline zum Pulverfass unter der Ostsee

Schwerin / Lesedauer: 4 min

Rund 12 Milliarden Euro hat die Nord Stream 2 AG an Baukosten in die Pipeline unter der Ostsee gesteckt – doch jetzt scheint nicht nur das Geld versenkt zu sein.
Veröffentlicht:22.03.2022, 05:30

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Da liegt die Pipeline nun: 1230 Kilometer lang, mit rund 330 Millionen Kubikmeter Erdgas befüllt – genug, um damit 100.000 Einfamilienhäuser ein Jahr lang zu versorgen. Doch da die Nord Stream 2 AG als Betreibergesellschaft aufgrund der Sanktionen gegen Russland handlungsunfähig ist, liegt das monströse Bauwerk brach.

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Das Problem: Die Gaspipeline steht nach Informationen des Nordkurier unter einem Druck von 103 Bar, an Start- und Endpunkten ist sie mit schweren Ventilen verschlossen. Ausgelegt ist die Pipeline auf einen maximalen Druck von 177 Bar. Fakt aber ist: Die Technik muss gewartet und gesichert werden.

Dies sei noch gewährleistet, heißt es aus dem Umfeld der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Mitarbeitern der offenbar extrem Insolvenz gefährdeten Nord Stream 2 AG sei zwar gekündigt worden, deren Verträge würden aber bis in den Sommer hinein laufen. Auch entsprechende Abfindungen seien den Mitarbeiter zugesichert worden.

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Eine Bestätigung eines Konkurs der Betreibergesellschaft mit Sitz im schweizerischen Zug gibt es derzeit noch nicht – sowohl das Landes- als auch das Bundeswirtschaftsministerium halten sich in dieser angespannten Lage bedeckt. Offizielle Aussagen gibt es kaum – die Unwissenheit ist greifbar.

Laut Handelsblatt herrscht in deutschen Behörden sogar komplette Ratlosigkeit, wie mit der Pipeline umgegangen werden soll – der Grund: Es gibt schlicht keine vergleichbaren Fälle. Anfallende erforderliche Arbeiten könne man aufgrund mangelnder Expertise aber auch nicht einfach selber übernehmen, heißt es.

Es könnte auch eine Auseinandersetzung zwischen Bund und Land hinsichtlich der Zuständigkeit und Verantwortlichkeit im Falle einer Insolvenz der Nord Stream AG geben. Und: Wer trägt im Falle einer Insolvenz die Kosten für die Bewirtschaftung des Stahlkolosses auf dem Meeresgrund?

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Die ersten Pflöcke hat das Bundeswirtschaftsministerium schon einmal eingeschlagen. „Für die Fragen der Sicherheit sind die Landesbehörden zuständig. Laut Energiewirtschaftsgesetz ist für die Überwachung der Anlandestation und des Streckenabschnitts im Küstenmeer das Bergamt in Stralsund zuständig. Für die ausschließliche Wirtschaftszone ist das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie in Hamburg uind Rostock zuständig”, teilte das Ministerium von Robert Habeck (Grüne) auf Anfrage des Nordkurier mit. Ursprünglich war die Pipeline für eine Betriebsdauer von 50 Jahren ausgelegt worden.

Die Pipeline selbst gehört dem staatlichen russischen Gaskonzern Gazprom. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben mit einem Anteil von 15 Prozent an der globalen Gasproduktion der größte Gaslieferant der Welt. Gazprom wurde 1993 als Aktiengesellschaft gegründet, der russische Staat hält als Mehrheitsgesellschafter 50,002 Prozent.

Nord Stream 2 war zur Hälfte von den europäischen Energie- und Ölriesen Shell, OMV, Engie, Uniper und Wintershall DEA finanziert worden. Russland wollte mit der Pipeline durch die Ostsee die Kapazität der Erdgas-Lieferungen nach Deutschland verdoppeln. Nord Stream 2 war im Herbst vergangenen Jahres fertiggestellt worden, die Bundesregierung hatte aber die Inbetriebnahme der Pipeline wegen des russischen Überfalls auf die Ukraine auf Eis gelegt.

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Mittlerweile hat Shell entschieden, sich aus Nord Stream 2 zurückzuziehen, wohl auch wegen der von den USA verhängten Sanktionen gegen die Gazprom-Tochter. Auch die mehrheitlich dem Chemiekonzern BASF gehörende Wintershall DEA hat bekannt gegeben, ihren Anteil an dem Projekt vollständig abzuschreiben. Gleiches gilt für Uniper und OMV – alle haben wahrscheinlich hunderte von Millionen Euro, vielleicht sogar Milliarden, bei ihren Investments in die Gaspipeline verloren.

Trotz aller derzeitigen Unwägbarkeiten – eines ist offenbar klar: Auf dem Grund der Ostsee liegt ein brisantes Gemisch – wirtschaftlich, politisch und auch technisch. Ein Pulverfass.