StartseiteRegionalMecklenburg-VorpommernWer hat Schuld am Herings- und Dorsch-Desaster?

Ende der Küstenfischer

Wer hat Schuld am Herings- und Dorsch-Desaster?

Sassnitz / Lesedauer: 3 min

Viele Küstenfischer wollen ihre Netze an den Nagel hängen. Sie sind selbst schuld am Rückgang der Bestände, behauptet ein SPD-Politiker. Dafür gibt es scharfe Kritik.
Veröffentlicht:02.11.2021, 18:05

Artikel teilen:

„Ich sage halt laut, was Sache ist“, hat Udo Knapp mal gesagt. Der SPD-Veteran, einst oft umstrittener Vize-Landrat von Rügen, der jetzt gelegentlich als Publizist für die grün-linke Tageszeitung „taz“ schreibt, hat angesichts der sich seit Jahren angestauten Fischereikrise weit ausgeholt. Die Politik habe den Fischern freie Hand zum Überfischen eingeräumt, schreibt er.

Zugleich seien ihnen großzügige Stilllegeprämien gezahlt worden sowie Abwrackprämien. „Die Fischer haben trotz der Beschränkungen weiter gefischt. Sie verkaufen ihren Fang touristenattraktiv und augenzwinkernd am Fiskus vorbei über die Kaikante.“ Statt einer wirksamen Fischerei-Kontrolle sei „jedes Jahr ein mediengestütztes Geschrei über die Brüsseler Bürokraten und deren angeblich mutwillige Zerstörung des Berufsstandes“ inszeniert worden.

Mehr lesen: Neue EU-Regeln bedrohen Ostseefischerei und treffen Hobby-Angler

Große Worte von jemandem, der einst von den Grünen zur SPD wechselte, eine Zeit lang als Dezernent in Wolgast tätig war, 1994 als stellvertretender Landrat von Rügen abgewählt worden war und sich jetzt, da immer mehr Fischer ihren Beruf aufgeben, wieder im Szene setzt. „Das Ende der Küstenfischerei haben Politik und Fischer gemeinsam in voller Kenntnis der von ihnen betriebenen Zerstörung der Bestände herbeigeführt – als lukratives Geschäft für die Fischer“, schreibt Knapp. Keiner der Fischer, die schon aufgegeben hätten, seien je bei Hartz IV gelandet, im Gegenteil.

„Wirr, verdreht und wirklichkeitsfremd“

„Herr Knapp hat wenig Ahnung von der Materie, über die er da schwafelt“, entgegnet Norbert Kahlfuss, der viele Jahre lang dem Verband der Küsten- und Kutterfischer Mecklenburg-Vorpommern vorstand, jenem Verband, der nun seine Auflösung beschlossen hat. Der 81-jährige Sassnitzer, der einst als Kapitän auf Frosttrawlern fuhr und Ehrenmitglied des Deutschen Fischereiverbandes ist, hält Knapps Worte für „wirr, verdreht und wirklichkeitsfremd.“ Einen Ruhestand auf Staatskosten, also ein Schmarotzertum gebe es nicht für die Fischer, sagte Kahlfuss dem Nordkurier. „Herr Dr. Knapp mag einige Erfahrungen damit haben.“

Ihm sei nicht bekannt, dass Knapp sich im Interesse der Fischerei oder ihrer Gegner je öffentlich engagiert habe. Weder auf Rügen noch in seiner Tätigkeit in mehreren Ministerien des Landes Mecklenburg-Vorpommern habe er sich für eine nachhaltige bestandserhaltende Küstenfischerei eingesetzt, sagt Kahlfuss. Die Fischer arbeiteten längst mit den Wissenschaftlern zusammen. So seien Fanggeräte selektiver und schonender eingesetzt, Schutzgebiete eingerichtet und Schonzeiten für Fische eingeführt worden.

„Subventionen streichen”

Knapp hingegen plädiert dafür, dass sich die Politik dazu aufraffen müsse, „die Fischer und andere Lobbyisten einer schon lange nicht mehr zukunftsfähigen handwerklichen Fischerei und deren egoistisches Geschrei zu ignorieren, alle Übergangssubventionen für sie zu streichen und so eine neue Fischerei auf den Weg zu bringen.“

Sein SPD-Kollege Till Backhaus, seit 23 Jahren zuständiger Fischereiminister, sagt, die EU-Verordnungen der vergangenen Jahre hätten der kleinen, nachhaltigen Küstenfischerei letztendlich das Genick gebrochen. Die Fangbeschränkungen auf die Hauptfischarten Hering und Dorsch in der westlichen Ostsee, die im Prinzip einem Fangverbot gleichkämen, betreffe hierzulande etwa 100 der 204 verbliebenen Haupterwerbsfischer.

Der Minister plädiert für eine einheitliche Erzeugergenossenschaft statt der bisher vier Vereine in Wismar, Stralsund, Freest und Sassnitz, um das Handwerk zu erhalten und dem Nachwuchs durch freigesetzte Fangquoten eine Chance einzuräumen. Backhaus sieht die Zukunft für die Zunft in Aquakulturen, einer besseren Direktvermarktung und den Erhalt von Verarbeitungsstrukturen an Land.

Mehr lesen: Kormoran für Binnenfischer schlimmer als Bürokratie