Urteile zu "Corona-Info-Tour"

Wie quer muss man denken, um dieses Hickhack zu verstehen?

Schwerin / Lesedauer: 3 min

Zwei gleichrangige Gerichte fällten in MV gegensätzliche Urteile um Querdenker Bodo Schiffmann und sein Team. Innenminister Caffier (CDU) ist verärgert.
Veröffentlicht:12.11.2020, 06:25
Aktualisiert:06.01.2022, 21:16

Von:
  • Author ImageSimone Schamann
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Er kam, wurde rausgeworfen und gleich wieder reingelassen: Zwei Tage nach dem großen Bohei um Querdenker Dr. Bodo Schiffmann sieht es fast danach aus, als habe man es sich mit dessen Ausweisung aus MV eventuell ein bisschen zu einfach gemacht. Die juristische Aufarbeitung der Angelegenheit gestaltet sich jedenfalls alles andere als einfach.

Schwesig jubelt auf Twitter

Der umstrittene Querdenker war am Montag mit seinem Team nach MV gereist, um am Abend und Folgetag in verschiedenen Städten – Neubrandenburg, Greifswald und Güstrow – gegen die Corona-Politik der Bundesregierung zu protestieren. Unter Berufung auf die aktuelle Corona-Landesverordnung, die Reisen nach MV zurzeit untersagt, waren die Aktivisten allerdings mittels polizeilicher Maßnahmen davon abgehalten und des Landes verwiesen worden.

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Das Verwaltungsgericht Greifswald entschied Dienstagmittag im Eilverfahren: zurecht! Und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bejubelte auf Twitter den Neubrandenburger Polizeichef Torsten Rusch, der die Maßnahme umgesetzt hatte: „Es ist richtig, dass unsere Polizei souverän eingegriffen hat. Die Corona-Regeln gelten für alle.“

Kernargument Versammlungsfreiheit

Im Verwaltungsgericht Schwerin sah man das allerdings deutlich differenzierter, um nicht zu sagen vollkommen anders als die Landeschefin! Nur wenige Stunden später, ebenfalls am Dienstag, urteilten die dortigen Richter, die ebenfalls einen Eilantrag der Schiffmann-Crew vorliegen hatten: Die Querdenker, es ging um insgesamt vier Akteure, dürfen sich zwecks Protest-Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen sehr wohl in MV aufhalten.

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Kernpunkt des Urteils, erklärte Gerichtssprecherin Stefanie Wendt dem Nordkurier: Die Corona-Verordnung sei auch im Lichte des Rechts auf Versammlungsfreiheit auszulegen.

Grundrecht gilt auch im Lockdown

In der aktuell geltenden Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern heißt es nämlich unter anderem: Das Einreiseverbot gelte nicht „für Anlässe, bei denen die Anwesenheit der reisenden Person aus rechtlichen Gründen (...) erforderlich ist.“ Und ein rechtlicher Grund, so die Schweriner Richter, sei auch die Ausübung der im Grundgesetz verankerten Versammlungsfreiheit.

Diese gelte in MV noch immer für alle Bürger – und nicht nur jene, die hier leben, heißt es sinngemäß im Urteil. Schiffmann und Crew reisten also, unmittelbar nachdem die Polizei sie hinter der Landesgrenze auf Brandenburger Boden abgesetzt hatte, sogleich wieder nach und durch MV und traten auf einer Veranstaltung in Schwerin auf.

Strahlkraft auf zukünftige Entscheidungen

Am Tag danach der große Paragraphen-Kater: Welches Gericht hatte denn nun Recht – und wessen Auslegung gilt für zukünftige Fälle? Wichtig, um die Juristen zu verstehen: Die Eilanträge der Querdenker befassten sich mit zwei verschiedenen Sachverhalten.

Kurzversion Greifswald: War die Ausweisung rechtmäßig? Kurzversion Schwerin: Durften die Querdenker für eine Demo einreisen? „Deshalb können die Urteile durchaus unterschiedlich sein“, erklärte Gerd Stratmann, Sprecher des Verwaltungsgerichts Greifswald, dem Nordkurier.

Caffier will einheitliche Entscheidung

Fakt ist aber auch: Obgleich es Einzelentscheidungen sind, werden die Urteile Strahlkraft auf ähnliche Fälle unter der aktuellen Corona-Landesverordnung entfalten. An welcher Entscheidung sollen sich Polizei und Verwaltung in MV dann aber orientieren? Innenminister Lorenz Caffier äußerste sich am Mittwoch verärgert über das Justiz-Wirrwarr: „Am einen Ende des Landes kann man die Leute abweisen, am anderen Ende nicht – das verstehen die Bürger nicht.“

Er hoffe auf eine übergreifende Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts in Greifswald, vor dem die Stadt Schwerin noch rückwirkend gegen Entscheidung zugunsten der Querdenker vorgehen könnte. Entsprechende Schritte werden derzeit geprüft.