Ausstellung
Darf Kunst reife Frauen so zeigen?
Teterow / Lesedauer: 5 min

Silke Voß
Die Liebesgöttin Aphrodite ist der griechischen Mythologie gemäß die aus morgentaufrischem Meeresschaum Geborene. Jung, schön, liebreizend. Wer kennt sie nicht, die wunderbare Darstellung des Renaissance–Malers Boticelli von der entzückenden Dame mit jugendlichen Rundungen, teils verborgen von flammend–roten Locken…
Vor allem Frauen stoßen sich an der Darstellung
„Aphrodite“ heißt auch ein Gemälde des jungen Berliner Malers Matthias Gálvez, derzeit zu sehen in der Galerie Teterow. Viele bleiben lange vor dem Bildnis stehen. Etwas irritiert. Diese „Schaumgeborene“ ist nicht mehr ganz jung. Sie verbirgt ihr Haar unter einer Badekappe, ihr Ausdruck ist abwesend, nachdenklich, auch leicht traurig.
Nicht die einzige Darstellung reifer Aktmodelle in Bildern des Malers, die zum Teil für heftige Diskussionen unter den Besuchern sorgt, wie Galeriemitarbeiterin Antje Danz bemerkt. Erstaunlicherweise seien es vor allem Frauen, die diese Sichtweise als nahezu abstoßend, ja würdelos empfinden würden. Der Urheber bestätigt das. „Oft ist es so, dass die Männer gern ein Bild kaufen möchten, aber die Frauen dagegen sind. Vielleicht, weil sie sich selbst nicht gern altern sehen“, mutmaßt Matthias Gálvez.
Eine Frage der inneren Haltung
Auch bei Ulla Konold aus Alt Gaarz hat die „Aphrodite“ Befremden erzeugt, gibt sie zu. „Dieses Bild hat bereits bei der Vernissage einen großen Schmerz bei mir ausgelöst. Gedanken wie: Menschen lieben die Schönheit und ,die Würde des Menschen ist unantastbar‘ loderten in mir auf“, sinniert sie. „Doch dann erkannte ich, dass es nicht der nackte Körper dieser alternden Frau war, sondern ihr seelischer Ausdruck, der mich so schmerzte. Da war keine Lebensfreude. Keine Lebensbejahung zum Herbst des Lebens, sondern eine spürbare Resignation. Frustration.“

Es gehe also weniger um die Frage, ob man einen alternden Körper so nackt zeigen dürfe, als vielmehr darum, welche innere Haltung, welche Zeitströmung wird hier in den Bildern so schmerzhaft sichtbar. „Die meisterhaft realistisch dargestellten Menschen sind in sich verschlossen, auch in äußerer Gemeinschaft fern voneinander. Doch gerade in diesen herausfordernden Zeiten möchten wir wohl durch Kunst ermutigt werden, dass jede Lebensphase Schönheit in sich birgt“, findet Konold.
Gemälde „gibt reiferen Frauen eine Stimme“
Martina Trümper aus Wendischhagen hingegen findet das Gemälde großartig. „Es gibt reiferen Frauen eine Stimme, die in unserem allgemeinen Jugendwahn untergeht. Ich fühle mich in diesem Bild gesehen, ernst genommen und wertgeschätzt. Solche Bilder und Fotos gehören unbedingt in die Öffentlichkeit.“ Die Diskussion, die sich um das Gemälde entfacht hat, sage sehr viel über den Zustand unserer Gesellschaft und unsere Wahrnehmung über Alter allgemein und bei Frauen im Besonderen aus. Körperlichkeit und Sexualität hätten da offensichtlich nichts mehr zu suchen. Alles, was hilft, den öffentlichen Blick darauf zu verändern, begrüßt Martina Trümper ausdrücklich.
Nicole Andries, die sich gerade schriftstellerisch mit Frauen– und Altersbildern befasst, zeigt sich sogar schockiert über solche Diskussionen. „Ich kann überhaupt nicht glauben, dass 2023 eine solche Frage ernsthaft diskutiert wird“, so die Berlinerin. „Nein, Frauen müssen in allen Lebenslagen gezeigt werden! Der einzige Grund, warum sie bisher so wenig gezeigt wurden, ist, weil sämtliche Diskurse in einer patriarchalischen Gesellschaft von ,alten weißen Männern‘ bestimmt wurden.“
„Ein entfremdetes Verhältnis zum Körper“
Und um einen männlichen Betrachter zu Wort kommen zu lassen: „Diese schöne und reife Frau sollte und wollte Modell stehen. Matthias Gálvez besitzt Mut und Können, großzügige Formate zu wählen und erfüllt seine Aufgabe, mich zu erreichen. Diese Frau lebt und denkt und macht“, findet Detlef Türmer aus Wendischhagen.
„Dass sich die Gemüter an diesem Thema erhitzen, zeigt mir nur, welch entfremdetes Verhältnis die Menschen zum Körper und zu natürlichen Rhythmen haben. Aber alle werden ja auch weichgeklopft und verunsichert durch die schöne neue Medienwelt“, gibt die Künstlerin Sabine Naumann aus Wendischhagen ihre Gedanken dazu preis. „Die Schönheitsideale wechselten ja im Laufe der Kunstgeschichte. Zu Rubens´ Zeiten wurde die Üppigkeit gefeiert, im Jugendstil elegisch–schlanke Gestalten. Wichtig finde ich immer die Haltung, den Blick des Künstlers: ist er voyeuristisch und will gar lächerlich machen oder ist er achtungs– und liebevoll.“ Im letzteren Sinne wirke das Gemälde auf die Malerin. Die dann schlussendlich den Tipp gibt: „Also, liebe Betrachter, entspannt Euch und versöhnt Euch mit Euren Körpern, sie umhüllen und tragen und dienen Euch ein Leben lang und haben Respekt und Zuneigung verdient!“

„Pin–up–Girls gibt es schon genug“
Matthias Gálvez selbst hatte bei der Wahl seiner Modelle nach eigenem Bekunden das rein Künstlerische im Sinn. „Pin–up–Girls gibt es schon genug, und sie interessieren mich nicht. Mich reizt eher, Menschen in ihrer Lebenshärte zu zeigen. Das Schwere, Faltige fordert eine ganz andere Textur. Und schon die spanischen Meister Velazquez und Goya haben nicht die reine, sondern stets eine gebrochene Schönheit gemalt.“