Kleines Dorf, viele Flüchtlinge - so schaut die Realität in der Seenplatte aus
Jürgenstorf / Lesedauer: 4 min

Der große Plattenbau für Asylbewerber liegt im idyllischen Jürgenstorf nur wenige Schritte von der kleinen Kirche in der Mitte des Ortes entfernt. Direkt daneben gibt es eine Schule und eine Kita, nur einen Katzensprung entfernt liegt eine gepflegte Siedlung mit Einfamilienhäusern. Mehr als 200 Menschen leben nach Auskunft des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte derzeit in der Gemeinschaftsunterkunft in Jürgenstorf — aus Afghanistan, Syrien, Iran, Irak, Armenien, Somalia oder der Türkei. Wegen der geringen Einwohnerzahl machen die Geflüchteten dort fast 20 Prozent der Bevölkerung aus.
Weder Unmut noch Aufruhr
Dennoch ist hier weder großer Unmut wahrnehmbar, noch gibt es Aufruhr, wie er in anderen Orten des Landes seit kurzem zunimmt. Seenplatten–Landrat Heiko Kärger (CDU) bezeichnete das Dorf jüngst als gutes Beispiel dafür, dass eine Flüchtlingsunterkunft ebenso in einer kleinen Gemeinde Akzeptanz finden kann.
Lesen Sie auch: Wird ein Hotel bei Waren nun Flüchtlings-Unterkunft?
Horst Dokter wohnt direkt gegenüber des Asylbewerberheims. Nie habe er irgendwelche Vorfälle mitbekommen. „Negatives hab ich nicht zu berichten“, sagt er lachend. Vor Jahren hätte das Bolzen von Fußbällen gegen eine Trennwand genervt. Doch inzwischen habe man den Platz auf der freien Fläche auf der anderen Seite eingerichtet. Man treffe und grüße sich gelegentlich beim Einkaufen. Über die Teilnahme einiger Flüchtlinge an Festen habe man sich stets gefreut.
Aber etwas außen vor bleibe die große Mehrheit aus der Unterkunft dann doch. Aus seiner Sicht liegt das unter anderem an der hohen Fluktuation. Es sei ein Kommen und Gehen. Zudem treffe das Dorfangebot selten die Interessen junger Geflüchteter, ist Dokter überzeugt. Einige würden deshalb oft nach Waren an der Müritz pendeln.
Durch die Umstände gefangen
Dass viele Geflüchtete nicht so richtig im Dorfleben ankommen, kann Mohamed aus Somalia bestätigen. Der Nordkurier trifft ihn mit zwei Freunden an einer Sitzbank nahe der Unterkunft. Viel gibt es zum Zeitvertreib in Jürgenstorf augenscheinlich nicht. Einen großen Teil ihrer Zeit verbringen die Männer am Smartphone, wie sie berichten. Der 33–jährige Mohamed fühlt sich durch die Umstände gefangen. Er deutet auf den niedrigen Zaun, der das Gelände mit Wiese, Fußballtoren, Bänken und Kinderrutsche umschließt, um seine Gefühlswelt zu beschreiben.
Alles in seiner Heimat zurückzulassen, sei ein wenig wie zu sterben, erzählt der junge Mann. Seit sechs Monaten sei er in Jürgenstorf untergebracht. Vor rund neun Jahren sei er nach Europa gekommen. Er schätzt das Leben, das er in Jürgenstorf führen darf — in Sicherheit, fast normal. Doch mit den Gedanken ist er meist bei seiner Familie in der Heimat. Arbeiten darf er nach eigener Aussage nicht. Mohamed wartet noch auf nötige Dokumente. Dabei würde er allzu gerne in der Gastronomie arbeiten — auch in der Gegend, zum Beispiel in Stavenhagen.
Amtsvorsteher Johannes Krömer ist überzeugt, dass die hohe Akzeptanz mit dem Auf und Ab in der Geschichte des Flüchtlingsheims langsam gewachsen ist. Dem schließt sich der Bürgermeister von Jürgenstorf, Norbert Köhler (CDU), an. Als das ehemalige Lehrlingswohnheim vor mehr als zehn Jahren zur Unterkunft umgebaut wurde, habe es durchaus Vorbehalte gegeben. Die habe man allerdings entschärfen können. „Wir haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt“, sagt Köhler. Es wurden etwa Veranstaltungen zum Kennenlernen organisiert. An Festen seien Flüchtlinge beteiligt gewesen. 2015 habe die Willkommenskultur Wellen geschlagen. Es seien aus seiner Sicht aber auch Fehler gemacht worden, wie die vorübergehende Schließung.
Neues Feuerwehrauto wegen des Flüchtlingsheims
Köhler räumt zudem ein, dass die Integrationsarbeit zuletzt abgeflaut ist. Projekte wie der Garten der Nationen seien vor Jahren eingestellt worden. Unter anderem sei die Zahl verschiedener Nationalitäten mittlerweile aber auch viel größer geworden. Eine größere Gruppe sei inzwischen schwerer zu fassen. Die Menschen in Jürgenstorf würden aber weiter durchaus den Kontakt suchen und Beschäftigungen anbieten. Zum Beispiel werde sich um Beitritte in Vereine oder in die Feuerwehr bemüht. Am 25. März soll im Dorf ein großer Frühjahrsputz stattfinden. Man hoffe auf rege Beteiligung, auch aus der Gemeinschaftsunterkunft. Köhler kann ebenso benennen, wo er sich noch mehr Unterstützung aufseiten der Behörden wünscht: Eigentlich brauche die Feuerwehr ein neues Fahrzeug, um die speziellen Gefahrenlagen meistern zu können, die mit einer großen Flüchtlingsunterkunft entstehen können.