Schiedsleute

So richtig gestritten haben sie sich wohl noch nie

Stavenhagen / Lesedauer: 4 min

Karin und Rainer Plötz wissen, wie man festgefahrenen Konflikten beikommen kann. Beide gehören zu den erfahrensten und erfolgreichsten Schiedsleuten Mecklenburg-Vorpommerns.
Veröffentlicht:12.01.2023, 12:13
Aktualisiert:12.01.2023, 12:15

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So richtig gestritten haben Karin und Rainer Plötz wohl noch nie. Kein Wunder: Schließlich sind beide nicht nur für ihr ausgleichendes Naturell bekannt – „ich wohl noch mehr als er“, merkt Karin Plötz verschmitzt an –, sondern auch für ihr Wirken als Schiedspersonen. Durch dieses Ehrenamt haben sie sich vor 22 Jahren sogar kennen und wenig später, wie es Rainer Plötz respektvoll ausdrückt, achten und lieben gelernt.

Beide gehören zu den Aktivsten unter den rund 250 Schiedspersonen in Mecklenburg-Vorpommern, die sich in ihren jeweiligen Wirkungsbereichen – gegliedert nach Städten, Ämtern und amtsfreien Gemeinden – vor allem festgefahrener Nachbarschaftsstreitigkeiten annehmen. Durch ihren Einsatz können Konflikte gütlich beigelegt und juristische Auseinandersetzungen vermieden werden – was die Gerichte entlastet und den Streitenden nicht nur Gerichtskosten, sondern auch unwiderrufliche Zerwürfnisse erspart. Denn im Schiedsverfahren gibt es kein Urteil und keinen Schuldspruch, sondern idealerweise eine Einigung, indem beide Streitparteien sich aufeinander zu bewegen.

Den „typischen” Streithahn gibt es nicht

Eine Erfolgsquote von mehr als 75 Prozent wird dabei Karin Plötz bescheinigt, die dafür 2022 beim Tag der Justiz in Schwerin ausgezeichnet wurde. 30 Jahre ist sie schon als Schiedsfrau im heutigen Amtsbereich Seenlandschaft Waren tätig, bis zum vorigen Sommer neben ihrem Beruf als Außendienstlerin im Futtermittelhandel. Ihr Mann wiederum – der im Bund Deutscher Schiedsmänner und Schiedsfrauen der Bezirksvereinigung Neubrandenburg vorsteht und dem Vorstand des Landesverbands angehört – war viele Jahre Ordnungsamtsleiter im Altkreis Demmin und dann der Mecklenburgischen Seenplatte. Beides Berufe, in denen Lebenserfahrung und Fingerspitzengefühl im Umgang mit Menschen eine ebenso große Rolle spielen wie beim Schiedsamt.

Ob Männer streitfreudiger sind als Frauen, Ältere mehr als Jüngere? Nein, die „typischen“ Streithähne gibt es ebenso wenig wie den „typischen“ Schiedsfall, betonen die erfahrenen Schlichter. Jeder Konflikt ist anders, vom Ärger über ausuferndes Baum- oder Heckenwachstum auf dem Nachbargrundstück über den zu laut bellenden oder fremdes Revier verdreckenden Hund bis zum Unmut über grelle Bewegungsmelder, die schon durch flinkes Getier ausgelöst werden, oder Überwachungskameras, deren Sichtfeld möglicherweise mehr erfasst, als zulässig wäre.

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Und dann spricht man endlich miteinander

Gemeinsam ist allen Fällen die Hemmschwelle, sich an die Schiedsstelle zu wenden – und sei es, weil das wütend angerufene Gericht erst mal zum gütlichen Versuch gemahnt hat. „Und dann passiert es, dass man endlich miteinander spricht“, schildert Rainer Plötz einen oft erlebten Effekt, nachdem sich oft über Jahre nachbarschaftliche Fronten verhärtet haben. „Hättest ja mal mit mir reden können“, heißt es dann, wenn Antrag und Gründe für das Schiedsverfahren im Raum stehen. Häufig gibt‘s erst mal Gegenvorwürfe. Dann setzen die Schiedsleute alles daran, dass sich beide Seiten über den Kern des Konflikts klar werden.

„Beide müssen sich einigen wollen“, sagt Karin Plötz. Partei ergreifen dürfen die Schiedsleute natürlich nicht, auch nicht jemandem eine Lösung in den Mund legen. Ihre Kunst besteht darin, zu erreichen, dass die Streitenden selbst zu einem Kompromiss finden. Was sie dann vereinbaren – im Fall wuchernder Hecken zum Beispiel, wer sie bis wann auf welches Maß zurechtschneidet –, hat wiederum Rechtskraft. Gibt es trotz aller Bemühungen keine Einigung, wird eine „Erfolglosigkeitsbescheinigung“ ausgestellt. Sie ist Voraussetzung für die Option, dann doch noch sein „Glück“ vor Gericht zu suchen. „Wenn ein Konflikt sich bereits über Jahre hinzieht, womöglich auch schon Anwälte eingeschaltet wurden, dann wird es sehr schwer“, weiß Karin Plötz.

Erscheinen ist Pflicht, sonst droht Ordnungsgeld

Mit fünf Fällen übrigens war 2022 das bislang bewegteste Jahr ihres Engagements als Schiedsfrau. Meist gehen jährlich nur ein, zwei Anträge ein. Doch ein Schiedsverfahren erschöpft sich keineswegs darin, Streithähne an einen Tisch zu bringen und, lax ausgedrückt, „Nun vertragt euch mal“ zu sagen. Von der Antragsformulierung und Einladung der gegnerischen Seite (Erscheinen ist Pflicht, sonst droht ein Ordnungsgeld) über Ortstermin und Verhandlung (oft auf neutralem, aber doch vertrautem Boden in Gemeindehäusern) bis zur Dokumentation der getroffenen Vereinbarungen sind präzise geregelte Formalien zu absolvieren.

Die Gebühr übrigens, von der die Hälfte ans Amt geht, bleibt allermeistens unter 100 Euro – kein Vergleich zu einem Rechtsstreit. Ganz zu schweigen von der Aussicht, dass verstrittene Nachbarn einander wieder in die Augen schauen können, ohne dass sich einer verurteilt und unterlegen fühlen muss. Auch die Schiedsleute übrigens lernen aus ihrem Wirken: „Man lernt seine Ansichten diplomatischer zu verpacken“, sagt Rainer Plötz, „und Lappalien nicht zum Streit werden zu lassen.“ Kein Wunder