Medizin

Zahnarzt–Versorgung in MV hat immer größere Löcher

Stavenhagen / Lesedauer: 4 min

Vor allem in ländlichen Gegenden fehlen immer mehr Zahnmediziner. Prof. Dietmar Oesterreich aus Stavenhagen weiß nicht nur aus eigener Praxis um dieses Problem.
Veröffentlicht:03.06.2023, 11:30

Von:
  • Susanne Schulz
Artikel teilen:

Zum Glück hört Professor Dietmar Oesterreich so schnell nicht auf zu bohren. Nicht in seiner Zahnarztpraxis in Stavenhagen (wobei das Bohren hier natürlich nur klischeehaft seine Arbeit beschreibt) und schon gar nicht beim Drängen auf Aufmerksamkeit für ein unaufhaltsam wachsendes Problem: den Mangel an Zahnmedizinern vor allem in ländlichen Gegenden Mecklenburg–Vorpommerns. Denn bei der zahnärztlichen Versorgung sieht es nicht besser aus als bei der hausärztlichen, die geprägt ist durch immer mehr Lücken, weil es für frei werdende Praxen an Nachfolgern mangelt. 

Initiativen für junge Ärzte gibt es für Zahnärzte nicht

Initiativen wie die „Landarztquote“, die angehenden Medizinstudenten eine Zukunft außerhalb der Ballungszentren schmackhaft machen soll, gibt es jedoch im zahnmedizinischen Bereich ebenso wenig wie eine Zulassungssteuerung, wie sie die Kassenärztliche Vereinigung für Haus– und Fachärzte je nach Bevölkerungsentwicklung vornimmt. Die Folge, wie sie Dietmar Oesterreich nur zu gut kennt und als damaliger Präsident der Zahnärztekammer MV auch schon 2019 bei der Debatte um ein Landarztgesetz beschrieb, ist eine Überversorgung in den größeren Städten, während in ländlichen Gegenden Zahnärzte fehlen. 

Bei Förderprogramm außen vor gelassen

Und zwar mit steigender Tendenz: Die Prognosen wiesen für 2025 für die sechs größten Städte des Landes einen Versorgungsgrad von mehr als 100 Prozent, am anderen Ende der Skala jedoch zum Beispiel für Nordvorpommern bereits unter
70 und bis 2030 sogar unter 50 Prozent aus. Beim Anteil der Über–58–jährigen Zahnärzte wirkten die 30 Prozent von Stralsund direkt komfortabel sowie die rund 60 Prozent in den Regionen Woldegk, Friedland, Altentreptow, Teterow fast noch gemäßigt gegenüber den 100 Prozent in Strasburg. Trotz dieser Aussichten allerdings sei die Zahnmedizin nicht in die Fördermöglichkeiten des 2019 verabschiedeten Landarztgesetzes aufgenommen worden, und auch die Enquêtekommission zur „Zukunft der medizinischen Versorgung“ habe keine politischen Initiativen in dieser Richtung hervorgebracht. 

Viele arbeiten noch über das Rentenalter hinaus

Aktuell würden zum Beispiel im Amtsbereich Stavenhagen drei der vier noch bestehenden Praxen von Zahnmedizinern geführt, die älter als 66 sind, weiß Oesterreich. Er selbst, Jahrgang 1956, ist einer davon; wenngleich ihm noch längst nicht nach Aufhören zumute ist, solange die eigene Gesundheit mitspielt. Patienten bereits geschlossener Praxen zu übernehmen, schafft sein mit einem weiteren Zahnarzt sowie sieben Mitarbeitern besetztes Team allerdings nicht. 

Der gegenwärtige Mangel kommt indes keineswegs unerwartet, weiß der 66–Jährige: Schon seit Jahren sinke die Zahl niedergelassener Zahnärzte. Führte der übliche Werdegang einst nach dem Studium und einigen Jahren Assistenz in die eigene Niederlassung, sei die Selbstständigkeit immer weniger attraktiv. Mittlerweile sei etwa ein Viertel der berufstätigen Zahnärzte als Angestellte tätig, lege Wert auf die Vereinbarkeit von Beruf, Freizeit und Familie — zumal gut 70 Prozent der Studierenden Frauen seien.

Viele wollten auch ihre fachliche Entwicklung durch Erfahrungen in verschiedenen Arbeitsfeldern stärken und örtlich flexibel bleiben, statt sich mit einer eigenen Praxis festzulegen und sich unternehmerische Verantwortung aufzuhalsen. Daran nämlich schrecke neben dem wirtschaftlichen Risiko auch der „exorbitant zunehmende Anteil“ bürokratischer Aufgaben, stellt der Stavenhagener fest und fragt sich, „ob dieses Immer–Mehr an Dokumentationspflichten auch ein Mehr für die Patienten bringt“.

Enorm gewachsen sieht er daher die Bedeutung eines guten Teams — was das nächste Problem anreißt: Nicht nur der Mangel an Zahnärzten verschärft sich, sondern auch der an Fachkräften für den Praxisbetrieb. Die Stellenbörse der Zahnärztekammer ist voll von Gesuchen nach Zahnmedizinischen Fachangestellten, Zahntechnikern und Auszubildenden. Fachkräfte für alle Branchen indessen erreiche man nur, wenn in der Region Bildungs– und kulturelle Angebote sowie natürlich medizinische Versorgung gewährleistet würden. 

Mahnung an Bund, Land und eigenen Berufsstand

Viel zu lange allerdings habe nicht nur die Politik, sondern auch der eigene Berufsstand die demografische Entwicklung ignoriert, mahnt Oesterreich. So seien Einflussmöglichkeiten über eine bedarfsgerechte Zulassungssteuerung verschenkt worden. Doch auch die könne nur ein Weg zur Abhilfe sein: „Wir brauchen Angebote, damit Zahnärzte überhaupt in die Region kommen“, fordert er. Gefördert werden müssten sowohl Niederlassungs– als auch Anstellungsmöglichkeiten — zum Beispiel in Medizinischen Versorgungszentren, auch in Trägerkombinationen unter Einbeziehung der Kommunen. 

Gefordert sieht der Zahnmediziner dabei die Bundes– ebenso wie die Landespolitik und eben auch die Berufsorganisation, Defizite wahrzunehmen und ihnen entgegen zu wirken. „Da muss mehr Drive rein“, mahnt er, „warum muss die Not immer erst ‚Oberkante Unterlippe‘ stehen?“