Fledermauszählung

Besuch bei Batman im Bunker

Malchow / Lesedauer: 5 min

Viel geben die schlafenden geflügelten Tiere nicht von sich preis. Fledermausexperten wie Ralf Koch hatten dagegen bei der Bunker-Führung keine Mühe.
Veröffentlicht:23.01.2019, 10:21

Von:
  • Helga Wagner
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Sie schlafen. Und eigentlich sollte sie dabei keiner stören. Aber Ralf Koch macht da eine Ausnahme – zur Fledermauszählung. Dazu lud der Naturparkchef Nossentiner/Schwinzer Heide auch Interessierte ein. Mit so vielen hatte er allerdings nicht gerechnet. 45 kamen, auch von weiter her. Jung und Alt. Mit Dackel und ohne. Die kleine Anne freute sich schon. „O ja, Fledermäuse!“ Ob sie dabei an Batman dachte?! Ein großer Sympathieträger für die Flieger der Nacht, der Dracula den Rang ablief. Selbst Bösewicht, verleumdete der die Tiere als Blutsauger und Gefährten des Teufels.

„Viel werden Sie von den Fledermäusen aber nicht sehen können“, bat Koch gleich um Verständnis. „Vielleicht einen Fuß oder ein Ohr oder ein bisschen Bauch.“ In der Regel seien die Tiere auch sehr gut versteckt. Riesenansammlungen etwa, die von den Decken hängen, seien also nicht zu erwarten.

Über Stock und Stein, morastige Wege und durch Nieselregen ging es zu den Bunkern im Biestorfer Wald. Koch hatte fürsorglich auch vor den Beton- und Metallstücken gewarnt und den tiefen Gräben, die hier von Gras und Gesträuch überwuchert sind. Alles Zeugen der Sprengung auf dem Gelände des ehemaligen Munitionswerkes der Nazis in Malchow, das sich über 3,6 Quadratkilometer erstreckte. Es war 1938 gebaut worden. Fünfeinhalbtausend Menschen arbeiteten darin. Vor allem Zwangsarbeiter und KZ-Häftlingsfrauen schufteten in den unterirdischen Bunkeranlagen, um den Sprengstoff Nitropenta herzustellen.

„Nach 20 Minuten alle wieder raus!”

Heute gehören 25 Bunker allein den Fledermäusen. Umgebaut und gut gesichert „vor Mensch und Fuchs und anderen Räubern“, wie es heißt. Mit einem raffinierten Schließmechanismus wehren die Türen unbefugtem Eintritt. Für Ralf Koch jedoch kein Problem. Er war denn auch der Schlüsselgewaltige an diesem Tag. Zwei, drei Umdrehungen, und klack – der enge Weg ins gespenstische Innere war frei. Mann, Frau und Kind krochen hinein. Bei etwas Fülligeren dauerte es länger. Aber nichts hielt auch sie davon ab!

Und dann: Dunkelheit. Es wirkte schon ein bisschen gespenstisch. Der Schein der Taschenlampen glitt über Schutt und Abgründiges, bis in die Mauerspalten. Wie Ralf Koch vorausgesagt hatte, war für den Ungeübten kaum etwas zu sehen. Dennoch ließ sich niemand davon abbringen. Einer zeigte besondere Geduld, auf jeden Fall zudem Geschick: Thomas Münzberger. Kein Unbekannter in Sachen Natur und Fotografie. Tief versteckt in einer Röhre entdeckte er ein Braunes Langohr.

„Nicht lange leuchten, nicht laut reden und nach 20 Minuten wieder alle raus aus dem Bunker!“, hatte Koch allen eingeschärft. Weiß er doch nur zu genau, es gibt immer die Gefahr, dass die munter Gewordenen so schnell nicht wieder einschlafen. „Während des Winterschlafs sind alle Körperfunktionen auf ein Minimum reduziert und der Energieverbrauch ist sehr gering“, erklärte er.

„Normalerweise reichen die im Herbst angelegten Fettreserven als Vorrat bis zum Aufwachen im nächsten Frühjahr aus. Aber mehrfache Störungen oder lange Frostperioden in den Winterquartieren können zum Tod der Tiere führen, denn jedes Aufwachen ist mit einem hohen Energieverbrauch verbunden.“

Tiere haben als Zaubermittel ausgedient

Der Fledermausexperte beschäftigt sich nun schon ein Vierteljahrhundert mit diesen streng geschützten Tieren. Doch warum ausgerechnet Fledermäuse? „Warum denn nicht?!“, fragte er zurück. 1994 hatte er ein Forschungsprojekt einer Thüringer Spezialisten-Gruppe im Wooster Teerofen betreut und dabei wohl für diese besondere Spezies Feuer gefangen. „Bei Spinnen und Käfern gibt es zig Tausende, bei Fledermäusen in Deutschland nur 25 Arten und in Mecklenburg gar nur 17 – die kann man sich schneller alle einprägen.“ Das war es wohl auch, was ihn besonders reizte.

Hässlich, böse, grauselig – den ganzen Zinnober, der über Fledermäuse erzählt wird, den kenne er auch, winkt Koch ab. Sie machen Dreck, pullern auf die Wäsche, krabbeln des Nachts gruselig im Gebälk herum. Sie fliegen den Frauen in die Haare. Auch dieser alte Quatsch werde ständig wieder aufgewärmt.

Gottlob haben die Tiere wenigstens als Zaubermittel ausgedient. Empfiehlt doch ein Rezept aus dem Jahre 1581, dass zerstoßene Fledermaus in Sirup und Essig ein Allheilmittel sei. Auch zieht man heute andere Liebesmittel vor, als Fledermausherzen in Getränke zu bröseln. Ganz Absurdes ist in alten Aufzeichnungen zu lesen: dass Hexen Flugvermögen erwerben würden, wenn sie sich mit Fledermausfett einrieben. Oder eine Voraussetzung, sich unsichtbar zu machen: Das rechte Auge einer Fledermaus mit sich tragen. Heute wäre da schon jeder Versuch äußerst strafbar.

In die schmalen Bunker führte Koch die Leute aber nicht – zu gefährlich. Er musste ja selbst so manches Lehrgeld bezahlen, erzählte er und lachte. Bei Lärz zum Beispiel, als er sich mit dem Seil in den vier Meter tiefen Bunker ließ, das Seil riss und er in der Falle saß. Gottlob, dass da allerlei Gerümpel herumlag, wovon er sich ein Podest in die Freiheit baute. Einmal sei er auch in einem Spitzbunker stecken geblieben. „Kein Vor und Zurück. Nichts ging mehr.“ Dann müsse man nur lange genug warten, um wieder raus zu kommen, sagte er und lachte. Makabrer Scherz eines Optimisten. Natürlich schaffte er es auch ohne Abmagerungskur.

Die Exkursion war auch ohne schmale Bunker ein Erfolg. Alle zeigten sich zufrieden. Die kleine Anne hatte denn doch mehrere Fledermäuse entdeckt oder wenigstens ein Häutchen oder ein Beinchen. Natürlich war Batman nicht dabei. Den gibt es doch nur im Kino oder im Buch, das weiß sie auch.

Auch Ralf Koch war zufrieden. Hatte er doch in den fünf Bunkern allein schon 47 Fledermäuse gezählt. Es könne wieder ein gutes Jahr werden. Mit 94 Tieren der Arten Großes Mausohr, Breitflügelfledermaus, Zwergfledermaus, Wasserfledermaus, Fransenfledermaus und Braunes Langohr gab es 2018 einen Rekord.