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Gesundheit

Depression — Gibt es Wege aus dem Dunkel?

Röbel / Lesedauer: 8 min

Carina Göls sprach mit Dr. Thomas Broese, der sich im Müritz-Klinikum Röbel wie auch in der Fachklinik für Psychosomatik Trassenheide als Chefarzt mit dieser Thematik beschäftigt.
Veröffentlicht:01.08.2023, 09:35

Von:
  • Carina Göls
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Spätestens, nachdem sich immer wieder Prominente öffentlich dazu äußern, eine Depression überwunden zu haben, wird anders über diese Krankheit gesprochen. Erleben Sie das in Ihren Einrichtungen in Röbel und Trassenheide auf Usedom auch?

Jeder Mensch kennt dunkle und traurige Phasen in seinem Leben. Unter normalen Umständen gehen diese auch wieder vorüber, wenn die Ereignisse ausreichend und gut verarbeitet wurden. Bei einer Depression ist das jedoch meist nicht der Fall. Betroffene können keine Freude mehr empfinden, ziehen sich mehr und mehr zurück und es gibt eben keine Besserung. Eine Faustformel ist in etwa, wenn dieser Zustand 14 Tage ununterbrochen anhält, also keine hellen Momente da sind, dann sollte man hellhörig werden. Dann kann sich eine Depression anbahnen.

Depressionen machen meist auch die Nacht zur Qual, wenn das Gedankenkarussell sich dreht und man nicht den nötigen Schlaf findet. Dr. Thomas Broese (rechts) kennt sich mit dieser Thematik aus. (Foto: © Dan Race - Fotolia.com, Carina Göls)

Machen das denn tatsächlich mehr Leute als früher?

Durch mehr öffentliche Präsenz des Themas ist die Hemmschwelle deutlich gesunken. Dennoch gibt es nach wie vor gewisse Vorstellungen Nicht-Betroffener wie etwa das banalisierende „Nicht-gut-drauf-sein“ bis hin zum etwas Unheimlichen oder gar schuldbehafteten „Verrücktsein“. Doch da liegt das Problem, denn zwischen Verharmlosung und dieser Art Dämonisierung ist es nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für Angehörige und Freunde schwer, einen Ausweg zu finden. Zu wenige wissen, dass Depression eine häufige und in etlichen Fällen auch schwere und manchmal auch lebensgefährliche Erkrankung ist, wie wir an öffentlich bekannt gewordenen Suiziden immer wieder sehen.

Ist die Zahl der Depressionen bei Ihren Patienten denn gestiegen? Und welche Rolle spielte Corona dabei?

Nein, das kann man so nicht feststellen. Auch nach Corona nicht. Was aber spürbar zugenommen hat, das sind die Angststörungen. Dabei spielte Corona ebenso eine Rolle wie später und anhaltend die Folgen des Ukraine–Krieges, die Klimakrise, die Inflation. Eine Depression ist aber nicht immer leicht zu erkennen, denn gerade depressive Menschen fallen meist nicht auf. Man könnte sagen, sie stören nicht. Daher bleibt ihre Krankheit oft sehr lange verborgen. Man nimmt den Kollegen, der nur noch arbeitet und scheinbar nichts anderes mehr macht, als etwas schrullig und eigenartig hin, obwohl er sich verändert hat. Oder wenn sich jemand mehr und mehr ausgrenzt und immer wieder Ausreden erfindet, warum er nicht zur Party kommen kann, gerät dieser mehr und mehr in Vergessenheit.

Wie lässt sich denn eine Depression von einer Angststörung oder einem Burn–Out unterscheiden?

Im Unterschied zur Angst, der man sich stellen und damit oft überwinden kann, geht das bei Depressionen nicht. Depressive Symptome im Sinne von Traurigkeit, Niedergeschlagenheit, Antriebsstörung gibt es auch bei anderen psychischen Erkrankungen, allerdings nicht so ausgeprägt.

Ich sage ganz gern, dass Depression und Ängste Geschwister sind. Angststörungen, wie zum Beispiel Panikstörungen, die in der Bevölkerung ja auch recht bekannt sind, unterscheiden sich dadurch, dass hier die Ängste ganz im Vordergrund stehen und bei der Depression eben eher Antriebsmangel, Energieverlust und schlechte Stimmung sowie, ganz wichtig, die Freudlosigkeit, dass Dinge, die früher Freude bereitet haben, nun keine Freude mehr machen.

In unseren Breiten kommt noch ein Faktor dazu, der Alkohol. Ich hatte schon Patienten, die meinten, eine Depression zu haben. In den Gesprächen wurde aber deutlich, dass sich eine Alkoholsucht dahinter verbarg. Daraus kann sich eine Depression entwickeln. Umgekehrt kann man auch durch den Alkohol, den man wegen der Stimmung trinkt, in der Alkoholsucht landen. Oft passiert das gerade in bestimmten Lebensphasen, an Lebensschwellen wie etwa der Pensionierung oder in Lebenskrisen wie vielleicht beim Verlust des Arbeitsplatzes oder einer Scheidung.

Burn–Out ist ja nach der internationalen Klassifikation kein Krankheitsbegriff, sondern ein Zustand, der die Gesundheit beeinflussen kann. Die Erschöpfung zu bekämpfen, ist da oberstes Gebot. Zum Beispiel sich ein paar Tage frei zu nehmen, Abstand zum Job zu gewinnen. Denn sonst lauert auch da die Gefahr einer Depression.

Stress bei der Arbeit: Zwischen Burn-out und einer Depression ist es oft nur ein schmaler Grat der Erkrankung. (Foto: DAK, ZVG)

Kann Depression vererbt werden?

Depression ist keine „echte“ Erbkrankheit, das heißt, es gibt keine definierten Depressions–Gene, die von einem Elternteil auf ein Kind weitergegeben werden. Gleichwohl kann man sagen, dass eine Depression ansteckend ist.

Wie bitte?

Ja, es bedeutet nichts anderes, als dass man in gewisser Weis gefährdeter ist, sie zu bekommen, wenn man in seinem Umfeld quasi mit Ursachen dafür konfrontiert ist. Der cholerische Chef, der melancholische Ehemann – und das alles tagein tagaus: Das macht was mit einem.

Das würde ja bedeuten, dass man durchaus die Chance hat, aus einer Depression allein wieder herauszufinden?

Die hat man, aber es kommt auf die Form der Depression an. Wie eingangs gesagt, es darf sich nicht normal anfühlen, keine Freude mehr zu empfinden, etwas zu unternehmen, das Selbstwertgefühl zu verlieren, anhaltend keinen guten Schlaf zu finden und so weiter. Wenn man dieses Gefühl nicht mehr dauerhaft hat, wieder optimistischer wird, dann kann man allein aus der Depression kommen. Aber man sollte sehr ehrlich zu sich sein und nicht auf eventuelle nötige Hilfe verzichten.

Frauen gehen öfter in Behandlung mit einer Depression, betroffen sind aber auch viele Männer. (Foto: Fabian Sommer (Symbolbild))

Denn es gehört ja zum Alltag in Einrichtungen wie Ihren, diese Krankheit zu behandeln, ja gar zu heilen. Geht Letzteres überhaupt?

Es wird nach einem ersten intensiven therapeutischen Gespräch geschaut, welches der beiden klassischen Mittel angewandt wird oder ob sie kombiniert werden. Das ist zum einen die Psychotherapie, zum anderen sind das Medikamente. Therapie kann vielfältig sein. Es kann Psychotherapie sein, es können unterstützende Gespräche sein, es können Gruppengespräche sein oder eine Kombination aus all dem. Die Therapie kann ambulant gemacht werden. In schweren Fällen kann eine stationäre Therapie der richtige Weg sein. Zwischen 40 und 60 Jahren ist der Beginn an depressiven Erkrankungen am häufigsten.

Das ist erstaunlich, denn gerade mit 40 steht man ja voll im Leben. Hat man da quasi Zeit, an einer Depression zu erkranken? Und sind Männer und Frauen gleichermaßen betroffen?

Durchaus. Das kommt eben auf den Menschen an, seine Resilienz, also seine Fähigkeit, aus Krisen gestärkt zu gehen oder eben nicht. Und schwere Lebensphasen kann man in jedem Alter haben. Allerdings kommen im Alter zusätzliche Risikofaktoren dazu, wie etwa Einsamkeit und Isolation, aber auch körperliche Erkrankungen, die den Menschen den Alltag erschweren und Unterschiede zum früheren Leben zeigen. Zunehmende Einschränkung der Beweglichkeit, Schmerzen können eine Depression begünstigen oder eine vorhandene verschärfen. Das Problem: Rückzug und traurige Stimmung werden einem alternden Menschen als unter Umständen fast natürlicher Zustand zugeschrieben. Das heißt: Man hält die Symptome der Depression fälschlicherweise für Folgen des Alters. Darum wird bei dieser Gruppe die Krankheit seltener erkannt wird. Dennoch: Vor 30, 40 Jahren ist man wegen einer Depression eher nicht zum Arzt gegangen. Das heißt: Die Dunkelziffer war höher. Heute kommen auch ältere Menschen, um sich Hilfe zu holen in die Therapie.

Noch einmal zurück zu den jüngeren Erkrankten. Wenn ich mit 40 oder 50 eine Depression bekomme, wird das auch ein Problem für meine Familie und den Job, oder?

Das ist ein großes, auch gesellschaftliches Problem, bei dem wir Ärzte auch immer wieder an Grenzen stoßen. Immer mehr Menschen werden wegen der Depression über Monate krankgeschrieben und auch früh verrentet. Ziel der Medizin ist es aber auch, dass es dazu nicht kommen muss, denn die Menschen fehlen ja in der Gesellschaft, auf dem Arbeitsmarkt, in Zeiten des Fachkräftemangels. Doch da sind wir nicht auf dem richtigen Weg.

Und wie ist bei den Jugendlichen in der Pubertät?

Da ist es in der Tat mitunter oft schwer auszugrenzen, ob es sich um mögliche Stimmungsschwankungen in der Lebensphase handelt oder sich eine Depression anbahnt. Da muss viel ineinandergreifen wie etwa Schule, Freunde, Elternhaus, um das rechtzeitig zu erkennen und zu behandeln. Generell stehen die Chancen für eine erfolgreiche Therapie in allen Altersgruppen gerade bei leichten und mittleren Formen der Depression wirklich gut. Neben den besagten Methoden können auch Sport, Lichttherapien wie auch Aufenthalt in der Sonne sowie Kontakt zu anderen Menschen helfen. Und eine Botschaft wäre, auch wenn sich das einfach anhört und meist schwer zu machen ist - seine Lebensumstände oder zumindest einen davon zu ändern. Denn auch nach erfolgreicher Therapie etwa ist die Chance, nicht erneut zu erkranken, gleichsam höher, wenn ich eben nicht wieder auf den gleichen cholerischen Chef stoße. Tag für Tag.