Sprache

Er steht fast jeden Tag vor Gericht

Gotthun / Lesedauer: 5 min

Sprache bestimmt unseren Alltag, unser Leben und nicht selten entscheidet es über Schicksale. Was das bedeutet, weiß Virtyt Danqa ganz genau.
Veröffentlicht:19.03.2023, 07:48

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Das Leben der anderen ist es, was Virtyt Danqa immer wieder ein Stück des Weges mitgeht. Der 52–Jährige, der in einer kleinen Gemeinde nahe Röbel lebt, kam vor knapp 30 Jahren aus dem Kosovo nach Deutschland – die „entsetzlichen Bilder“ des Krieges, in dem er auch Verwandte verlor, vor Augen. „Ich konnte kein Wort Deutsch, nur Englisch, aber das wurde hier nicht so gesprochen“, erinnert er sich. Es sollte sich als Glücksfall herausstellen.

In allen Gerichtssälen von MV unterwegs

Schon bald sei er gefragt worden, ob er nicht dolmetschen wollte. Albanisch sei nicht gerade die Sprache, die an jeder Ecke gesprochen würde. Und so landete Virtyt Danqa vor Gericht — als Übersetzer. Inzwischen sei er in allen Gerichtssälen in Mecklenburg–Vorpommern unterwegs, kennt die Gefängnisse und die Krankenhäuser. Denn auch dort ist sein Sprachmitteln gefragt.

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Wie fühlt sich das an, wenn man Landsleuten begegnet, die im neuen Land offensichtlich gegen Gesetze verstoßen haben? Was tun, wenn er spürt, dass sie nicht die Wahrheit sagen? „Das ist nicht meine Aufgabe, über die Wahrheit zu befinden und zu urteilen. Das ist Sache der Richter. Ich übersetze, was ich höre. Alles andere ist mir gleich, muss mir egal sein.“ Sein erster Fall damals sei eine Asylsache gewesen.

Besuche in der alten Heimat

„Wenn ich helfen kann, dann ist es gut.“ Und das war vor einigen Jahren auch bei einem ganz besonderen Fall so gewesen: „Ich wurde in ein Krankenhaus gerufen, sollte übersetzen. Als ich ankam, hieß es, gehen Sie mal in den Kreißsaal.“ Dort habe eine junge Frau in den Wehen gelegen. Sie kam aus seiner alten Heimat, konnte nichts von dem verstehen, was die Ärzte etwa über Medikamente und ihr Befinden fragten, sie konnte nichts von dem tun, was man von ihr erwartet, um die Geburt gut werden zu lassen. „Ich saß hinter einer spanischen Wand und übersetzte ihr die Fragen und Anweisungen der Hebamme und Ärzte. Ihr Mann war auch dabei und sehr aufgeregt. Letztlich kam ein gesundes Mädchen auf die Welt“, erinnert sich der Familienvater.

Seine beiden Kinder sind inzwischen Studenten. Seine eigene Kindheit sei sehr schön gewesen. Geprägt von Familie, Freunden, dem Klima und der Landschaft. Er hat auch noch Verwandte in Albanien, es gebe Besuche und viele wichtige Erinnerungen, die jüngsten sind vom vergangenen Oktober.

„Kinder brauchen Liebe und Regeln“

Kinder sind Virtyt Danqa auch im Beruf zum Mittelpunkt geraten. Neben der Arbeit als Gerichtsdolmetscher ist er vor allem in der Kinder– und Jugendhilfe engagiert, hat seinen Bachelor als pädagogische Fachkraft abgelegt. Seine Schützlinge kommen aus schwierigen sozialen Verhältnissen und haben Schicksale hinter sich, „die Kinder nicht haben sollten. Kinder brauchen Liebe und Regeln. Das ist das Wichtigste, alles andere kommt da von selbst“, ist sein Credo.

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Dass die vielen selbst gewählten Aufgaben oft mit den Schattenseiten des Lebens zu tun haben, das störe ihn nicht. Eben weil das Leben nichts verspricht, man selbst etwas tun müsse. „Und manche brauchen dabei Hilfe.“

Hilfe habe auch er sich holen müssen, um im neuen deutschen dörflichen Alltag zurecht zu kommen. Und vor allem die Sprache rasch gelernt. Das liege ihm. Welche Bedeutung Worte haben und deren Klang, das werde ihm beim Übersetzen immer wieder bewusst. Dass er sich für Schicksale anderer Menschen, denen die Sprache in diesem Land fehlt, die aber dennoch verstanden werden wollen und müssen, engagiert, das ist wohl ein Gen, ein Helfer–Syndrom, wie manche, die ihn  lange kennen, meinen.

Als 2015/16 die ersten syrischen Flüchtlinge auch in unsere Bereiten kamen, da sei er über das Christliche Jugenddorfwerk (CJD) einer derjenigen gewesen, die Menschen aus Flucht und Vertreibung unter anderem in Rechlin bei dem ersten (behördlichen) Schritt im neuen Land geholfen habe.

An das Wetter noch immer nicht gewöhnt

Und was ist Heimat für den Kosovo–Albaner? „Wo ich geboren bin und meine Kindheit und Jugend verbrachte, da ist Heimat. Aber hier auch, denn ich bin hier gut angekommen.“ Nun gut, das mit dem feuchten Wetter, die dunklen Tage, daran habe er sich nie so recht gewöhnt. Doch an den „deutschen Humor“, dass doch nicht alle so gründlich und pünktlich sind, wie er es damals dachte, das habe er verinnerlicht.

Und wie es anderswo auf der Welt zugeht, das interessiert ihn auch nach wie vor. Darum steht in der Freizeit immer wieder Reisen auf dem Programm. Oder „Tyti“ kocht für Familie und gern auch für Kollegen, wie er sagt. Nicht nur albanisch. Und dann gibt es da noch eine Dame, die seit einiger Zeit immer an seiner Seite ist — Bella. Die siebenjährige Hündin brauchte eine neue Familie. Und „Tyti“ war da.