Schreiben vom Landrat
Muss Waren demnächst 120 neue Flüchtlinge aufnehmen?
Waren / Lesedauer: 5 min

Ingmar Nehls
Waren. Wenn sich Warens Stadtvertreter am Mittwoch um 18 Uhr im Bürgersaal der Müritzstadt zu ihrer 31. Sitzung in der laufenden Legislaturperiode treffen, dann steht auch ein überraschendes Thema an. Denn in einem Schreiben an die Stadtvertreter, das dem Nordkurier vorliegt, hat Warens Bürgermeister Norbert Möller (SPD) kurz vor dem Wochenende mitgeteilt, dass er über eine städtische Fläche zur Errichtung einer temporären Flüchtlingsunterkunft beraten möchte. Möller will dazu eine Vorlage einbringen, die „keine zeitliche Verschiebung bis zur nächsten Stadtvertretersitzung duldet“, wie er den Stadtpolitikern mitteilt. Die nächste reguläre Stadtvertretersitzung ist für den 6. Dezember angesetzt.
Schreiben des Landrats vom 12. September
Auslöser für die Dringlichkeitsvorlage ist ein Schreiben des Landrats Heiko Kärger, der die Stadt Waren aufgrund steigendender Flüchtlingszahlen um Unterstützung bei der Unterbringung von 120 Flüchtlingen im Bereich Waren bittet. „Zum Jahresende wird ein starker Zuwachs an Flüchtlingen erwartet. Die steigenden Zahlen sind bereits jetzt spürbar und es bedarf weiterer Unterbringungsmöglichkeiten für die noch kommenden Asylsuchenden. Mit Blick auf die aktuellen Standorte der Gemeinschaftsunterkünfte im Kreisgebiet, im Rahmen einer gleichmäßigen Verteilung der Hilfesuchenden, wird um schnellstmögliche Benennung einer geeigneten Liegenschaft oder eines Grundstückes im Stadtgebiet Waren gebeten“, heißt es in dem Schreiben.
Das wurde allerdings schon am 12. September von Heiko Kärger verfasst, dann erst am 20. September von Norbert Möller im Eingang bestätigt, um dann noch einmal neu Tagen später an die Entscheider vor Ort weitergeleitet zu werden. Dabei gab es am 14. September bereits eine Hauptausschusssitzung, am 20. September tagte das Präsidium, am 26. September der Stadtentwicklungsausschuss. Möglichkeiten, das laut Möller so dringliche Thema, bereits zuvor anzusprechen, hätte es also gegeben. Auch im monatlichen Pressegespräch am 28. September, bei dem Warens Bürgermeister über wichtige Themen der Stadt informiert, verlor Norbert Möller kein Wort dazu, um dann nur einen Tag später, vor einem Wochenende mit Brückentag und Feiertag, das Thema mit politischem Sprengstoff in die Welt zu schicken.
Dringlichkeit wird nicht gesehen
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Toralf Schnur, Vorsitzender der FDP/MUG-Fraktion, kündigte bereits an, dass er vor dem Hintergrund der rechtlichen Rahmenbedingungen und unter Berücksichtigung der Schweriner Kommentierung den Vertretern seiner Fraktion empfehlen werde, das Thema nicht auf die Tagesordnung zu setzen.

Die formellen Voraussetzungen für die Dringlichkeit würden nicht vorliegen. Es müsse mit der Bereitstellung von Flächen für Flüchtlingsunterkünfte kein Schaden von der Stadt abgewendet werden, und es sei auch keine Gefahr im Verzuge. „Somit ist die Vorlage des Bürgermeisters gegenstandslos und die Diskussion zu etwaigen Flüchtlingsunterkünften gegenwärtig unangebracht und nicht notwendig“, so Schnur.
Konträre Positionen von AfD und SPD
Auch die AfD-Fraktion sieht die Dringlichkeit nicht gegeben. Der Bürgermeister habe die Aufforderung des Landrats seit dem 12. September „unter dem Kopfkissen“ gehabt und „plötzlich sollen hektisch und in Eile derart grundlegende Entscheidungen getroffen werden“, kritisiert Fraktions-Chef Frank Müller. Ohne die Klarheit, um welche Menschen es sich handele, lehne die AfD-Fraktion die Bereitstellung von Flächen für das Aufstellen von temporären Flüchtlingsunterkünften ab.

Als Partei mache man zudem deutlich, „dass wir eine Einwanderung meist nordafrikanischer oder arabischer junger Männer, meist ohne Ausbildung, kulturell inkompatibel zur deutschen Gesellschaft und statistisch erwiesen überproportional oft in Kriminalität und Gewalt verwickelt, in unser Sozialsystem kategorisch ablehnen“, teilte Müller weiter mit. Die städtische Bildungsinfrastruktur sei bereits jetzt über ein vertretbares Maß hinaus beansprucht, die Stadtverwaltung habe bereits jetzt personelle Engpässe und der städtische Haushalt lebe seit Jahren von der Substanz mit absehbarem bösen Ende.
Vom SPD-Ortsverein hieß es, dass man überzeugt sei, dass die Aufnahme von Flüchtlingen eine wichtige und humanitäre Verantwortung sei und auch Waren seinen Beitrag leisten sollte und könne. „Wir nehmen die Sorgen der Bürger sehr ernst und sind uns bewusst, dass die erfolgreiche Integration eine gemeinsame Aufgabe ist. Wir sind aber auch davon überzeugt, dass eine positive Integration von Geflüchteten, unsere Stadt noch weltoffener, vielfältiger und stärker machen kann“, sagte der neue Ortsvorsitzende Matthias Lippert.

Natürlich spiele die Fragen zur Ressourcenverteilung und sozialen Struktur in der Stadt eine wichtige Rolle. „Wir sind fest entschlossen, transparente Informationen bereitzustellen und die Warener aktive über Entscheidungsprozesse der Stadt zu informieren.“ Lippert lud die Bürger dazu ein, sich aktiv an diesem Prozess zu beteiligen „und ihre Ideen und Bedenken mit uns zu teilen“.
Jugendherberge oder Hotel?
Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurden 100 Geflüchtete in der damals leer stehenden Jugendherberge und etwa 50 Menschen in Zimmern des Hotels in Amsee untergebracht. Die Jugendherberge hatte während der Corona-Pandemie Probleme, Gruppen unterzubringen. Beide Objekte wurden zum 31. Dezember 2022 leer gezogen.
Seit März 2023 herrscht in der Jugendherbere wieder touristischer Betrieb. Das Hotel Amsee hatte dem Landkreis eine Verlängerung des Vertrags angeboten. Diese Option wurde nicht genutzt. Im Gespräch war stattdessen die Unterbringung in einem Wogewa-Gebäude in der Witzlebenstraße. Das Gebäude, das einige Zeit von einem Bildungsträger genutzt wurde, sollte Platz für etwa 60 bis 65 Geflüchtete bieten.
Im Frühjahr zogen dann auch Geflüchtete in den leer stehenden „Alten Landsitz“ in Sommerstorf, das der Gemeinde Grabowhöfe angehört. Das hatte im Vorfeld für Unmut in der Bevölkerung gesorgt, unter anderem, weil dieses Objekt schon seit vergangenem Jahr vom Landkreis angemietet war.