Gerichtsbericht

Raser hatte angeblich Angst vor Rache der Bandidos-Rocker

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Mit 120 durch die Innenstadt. Ein junger Mann aus der Müritz-Region stand in dieser Woche vor Gericht. Seine Raserei erklärte er mit der Angst vor seinen Ex-Kollegen aus der Rocker-Szene. Die Polizei hält das für eine Ausrede.
Veröffentlicht:02.05.2021, 05:42
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  • Author ImageThomas Beigang
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Die „Bandidos“ spielen eine wichtige Rolle in dem Prozess am Neubrandenburger Amtsgericht. Dabei muss keiner der motorradfahrenden Rocker als Zeuge auftauchen und schon gar nicht sitzt einer der „Banditen“ auf der Anklagebank. Jedenfalls keiner, der den „Brüdern“ noch anhängt. Der 28-Jährige, der sich am Freitag wegen Betrügereien und vor allem für ein illegales Autorennen verantworten muss, hat den harten Jungs den Rücken gekehrt. Sagt er.

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Rennen oder Verfolgungsjagd?

Aber weil die „Bandidos“ einen freiwilligen Austritt nicht akzeptieren, müsse er höllisch aufpassen. Auf sich und auf die Freundin, denn die ehemaligen Brüder würden ihn regelmäßig verfolgen und ihm auflauern. In Rockow, einem kleinen Nest zwischen Möllenhagen und Waren, sei es schon mal zum Eklat gekommen. Bandidos sollen ihn gnadenlos verprügelt und die Frontscheibe seines Autos zerstört haben.

Seitdem gibt der Abtrünnige acht. Und darum, so seine Version, ist er jetzt auch auf der Anklagebank gelandet. Denn nur deshalb sei er an jenem späten Novemberabend mit so atemberaubender Geschwindigkeit durch Neubrandenburgs Süden gerauscht. „Ich dachte“, sagt er, „die sind wieder hinter mir her.“ Wer ihn aber verfolgte, war ein Videowagen der Polizei, konstruiert und im Einsatz, um Rasern auf die Schliche zu kommen. Noch immer gilt auch in Mecklenburg-Vorpommern überhöhtes Tempo als Unfallursache Nummer eins, allein im Jahr 2019 sind mehr als 55 000 Geschwindigkeitsüberschreitungen gemessen und geahndet worden.

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Polizei glaubt nicht an die Ausrede

Der Videowagen hatte sich an der B 96 in Richtung Neustrelitz postiert, Anwohner melden hier regelmäßig verdächtige Autorennen. „Und dann haben wir den Angeklagten entdeckt“, sagt einer der beiden Polizisten, die im Videowagen saßen, vor Gericht aus. Zunächst sei der auffallend langsam gefahren, um dann richtig Gas zu geben. In der Straße Am Gartenbau, hier sind 30 Stundenkilometer erlaubt, seien es bis zu 120 Sachen gewesen, immerhin. Das Gericht sieht sich die Raserei auf dem von den Beamten gedrehten Video an.

Die Polizisten erzählen, dass sie bei Kontrollen immer wieder die Geschichte von der vermeintlichen Verfolgung hören müssen. Eine reine „Schutzbehauptung“, sagen sie. Viel hätte nicht gefehlt und die Beamten hätten damals im November die Fahrt abgebrochen – um nicht sich selbst, den Autofahrer oder gar Unbeteiligte zu gefährden.

Bewährung reicht nicht mehr aus

Richterin Birgit Hensellek glaubt dem Angeklagten kein Wort. Und widerspricht auch dem Verteidiger Uwe Pagel, der sich auf einen Paragrafen beruft, in dem sich alles um „rechtfertigenden Notstand“ dreht. Vereinfacht heißt es dort, man darf ungestraft Gesetze brechen, um das Leben oder die Gesundheit zu schützen. Dafür hätte es andere Möglichkeiten gegeben, sagt die Richterin, wenn tatsächlich die Bandidos am Werk gewesen wären – und verurteilt den jungen Mann, der auch eine Autowerkstatt um eine hohe Reparaturrechnung geprellt hat, zu acht Monaten hinter Gittern. Eine Bewährung komme für den Bekannten der hiesigen Justiz nicht mehr in Frage. Erst recht nicht angesichts der zahlreichen Eintragungen im Verkehrsregister, hohe Geldstrafen und längere Fahrverbote sind aus immer dem gleichen Grund verhängt worden: wegen Raserei.

Bittere Bilanz der Bandidos

Der Rockerclub Bandidos steht nicht nur in Deutschland unter verschärfter Beobachtung der Justiz. Mehrfach wurden Unterorganisationen in einzelnen Bundesländern verboten, weil die Rocker eng mit der organisierten Kriminalität verstrickt waren. Bei den aktiven Bandidos reicht die angebliche Brüderlichkeit über den Tod hinaus. Im Neubrandenburger Clubhaus wird verstorbener Mitglieder gedacht, vor ihren Bildern warten die früheren Lieblingsgetränke. Milchkaffee steht dort nirgends. Von den Neubrandenburger Gründungsmitgliedern, die hier vor 18 Jahren das hiesige Chapter aus der Taufe hoben, gehört niemand mehr den Bandidos an. Alle tot oder ausgetreten. Die Toten starben meist bei Verkehrsunfällen.