Im Gerichtssaal
Richtig gemessen? Zweifel schützen Raser vor höheren Strafen
Waren / Lesedauer: 3 min

Susann Salzmann
Kaum etwas steht über der richterlichen Unabhängigkeit. Das Beste, was Anwälte vor Gericht tun können, ist indes das Argumentieren. Und das wirkt manchmal Wunder und führt zum Freispruch. So beauftragte ein Raser den Anwalt seines Vertrauens, um gegen einen entsprechenden Bußgeldbescheid vorzugehen. Nach der Schilderung vor dem Warener Amtsgericht preschte der Beschuldigte mit deutlich zu viel auf dem Tacho durch eine kleine Müritzer Ortschaft. Nach Toleranzabzug stellte die Bußgeldbehörde bei erlaubten 50 Stundenkilometern gemessene 78 Stundenkilometer fest. 100 Euro und einen Punkt in Flensburg sollte der Raser für den Vorfall kassieren. Sein Anwalt bog die Sache für ihn zum Besseren.
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Unmengen an Unterlagen angefordert
Seinem Rechtsvertreter lag im Indizienprozess viel an einer Plausibilitätskontrolle. Dafür forderte er Unmengen an Unterlagen zum stationären Blitzer ein. So auch die Messreihe, um zu überprüfen, ob es eine Auslöseverzögerung der Kamera gegeben hat oder Messwerte verfälscht sein könnten. Aus dem Manko unvollständiger Unterlagen machte der Anwalt schließlich eine Tugend: Ohne die komplette Messreihe blieben nach seiner Ansicht Zweifel an der korrekten Funktionsweise und am korrekten Messergebnis.
Niemand bei Gericht konnte gegenteilige Beweise ins Feld führen. Niemand konnte die Zweifel ausräumen. Damit hatte der Anwalt sich einen guten Verhandlungsspielraum geschaffen. Sein Vorschlag: Das Bußgeld wird von 100 auf 55 Euro abgemildert und der Punkt fällt weg. Ein Angebot, auf das sich Richter Roland Traeger einließ.
Bootsführer sollte saftiges Bußgeld zahlen
Noch erfolgreicher war kurze Zeit danach ein weiterer Anwalt, der für seinen Magdeburger Mandanten mit vor das Warener Amtsgericht zog. Mit einem Sportboot war sein Mandant im August 2019 nahe der Halbinsel Werder bei Plau am See von der Wasserschutzpolizei Schwerin erwischt worden. Der Bootsführer sollte ein saftiges Bußgeld zahlen, denn die Beamten machten zwei Alkoholtests. Die Werte lagen bei der ersten Messung bei 1,15, bei der zweiten bei 1,05 Promille. Der Bußgeldkatalog sieht für Promillewerte ab 1,1 Geld- oder Freiheitsstrafen vor, dazu eine Medizinisch-Psychologische Untersuchung (MPU). Unter diesem Grenzwert sind Bußgelder von mindestens 350 bis maximal 2500 Euro vorgesehen.
Das Amtsgericht Waren ist als Binnenschifffahrtsgericht für alle Vorfälle auf den Binnengewässern in MV zuständig. Und vor diesem zog der Anwalt mit Argumenten „in die Schlacht“, die offenbar dazu dienten, Zweifel am Messergebnis – beziehungsweise an der Arbeit der Polizisten – zu schüren. Es sei fraglich, so der Anwalt, ob die Polizisten das Gerät entsprechend der Herstellerangaben bedienten. Der Hersteller gebe nämlich vor, dass das sogenannte Evidentialgerät zum Messen gerichtsverwertbarer Alkoholpegel „mindestens einmal pro Woche ausgeschaltet werden soll“, erklärte der Jurist. Auf die Frage, ob die Polizei das Gerät tatsächlich falsch handhabt beziehungsweise gehandhabt hat, gab es in der Verhandlung keine klare Antwort.
Alkoholpegel wurde auf dem Revier gemessen
Die 44-jährige Zeugin von der Wasserschutzpolizeistation Plau am See erinnerte sich an den Vorfall. Der Mann wurde nach ihren Aussagen „mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit auf seinem Wassermotorrad festgestellt“. Der Alkoholpegel wurde im Revier gemessen. Ob die Kollegen das Gerät regelkonform ein- und ausschalteten oder es immer nur aus dem Stand-by holten, wisse sie nicht, so die Zeugin.
Für den Rechtsanwalt bot die Aussage genügend Raum, um im Interesse seines Mandanten zu handeln. Immerhin könnte es durchaus sein, dass die Beamten das Gerät nicht richtig nutzten und so die Messergebnisse nicht stimmten. Niemand konnte das während des Ordnungswidrigkeitsverfahrens aufklären. Dazu hätte es weitere Termine geben müssen – Ausgang ungewiss. Da auch hier Zweifel am richtigen Messen bestanden, folgte Richter Roland Traeger dem Vorschlag des Anwaltes, das Verfahren einzustellen.