Ungewöhnliche Premiere
Dieses Autokino war schon zu DDR-Zeiten Kult
Zempow / Lesedauer: 7 min

Elke Enders
Unvergessen, als die Autoschlange bei „Otto ‐ Der Film“ in den 80er Jahren bis nach Buschhof reichte oder sich bei „Dirty Dancing“ die halbe Region am Kino-Einlass tummelte. Geschichten, die noch immer gern erzählt werden.
Lange Schlangen am Kiosk
Ganz so ist es heutzutage nicht mehr im Autokino Zempow. Es sind Geschichten aus alten DDR-Tagen, als das idyllische Fleckchen Erde seine Hoch-Zeiten erlebte. Als am Kiosk lange angestanden werden musste, um dann beseelt einen dampfenden Kaffee oder eine heiße Bockwurst zum Trabi, Lada, Wartburg oder Saborosch zu tragen. Oder zu den aufgestellten Bänken zu schlendern ‐ letzteres dann, wenn man mit S 51, Schwalbe oder MZ angereist war.

All das war möglich im legendären Freiluftfilmtheater. Damals, als von umliegenden Zeltplätzen und Bungalowsiedlungen die Urlauber massenhaft einströmten, und ein Herr mit frühzeitig ergrauten Haaren Abend für Abend den Einlass regelte.
Kinomacher treffen auf Kulturliebhaber
Und trotzdem: Das „Autokino Zempow“ gibt es noch, jünger denn je. Und es hat auch von seinem Charme nichts verloren. Dank einer Gruppe begeisterter Kinomacher und Kulturliebhaber aus Zempow, Rheinsberg, Userin, Berlin und vielen weiteren Orten.

Die Mitstreiter rund um Denise Grduszak, sowie weitere Helfer und Sponsoren haben es sich zur Aufgabe gemacht, das kulturelle Erbe zu bewahren und zu entwickeln. Und so haben sich auch an diesem Abend einige Pkw mit Leinwandbegeisterten in das brandenburgische Grenzdorf, kurz vor den Pforten Mecklenburgs, begeben, trotz Nachsaison und trotz ‐ oder auch gerade weil ‐ ein kulturell anspruchsvolles Stück auf dem Spielplan steht.
Nie dagewesene Premiere erwartet Kino-Publikum
„Noch ein Schlückchen Sekt?“ Erika, Margrit, Irmi und Reni lehnen entspannt im Campingstuhl. So ein kleines nettes Prösterchen vor Spielbeginn trägt ungemein zur guten Laune bei. Es ist ein Spätsommerabend wie er im Buche steht. Kein Lüftchen weht. Ideal für eine besondere Aufführung in dem Kult-Autokino, das in der DDR das erste seiner Art war. „Wir haben Spaß“, lässt das Damen-Quartett keinen Zweifel und schwärmt sogleich vom jungen Regisseur Benjamin Zock, den es schon kennt.

„Theater trifft Film“, heißt es an diesem Abend. Eine nie dagewesene Premiere erwartet das Kino-Publikum. Das Stück „Rudimentär I Die Marmeladenesser“ ‐ keine leichte Kost ‐ wird auf die Bühne gebracht. Live gespielt und mit entsprechender Kamerabegleitung auf die Leinwand projiziert, von der man hört, dass sie die größte im Nordosten ist.
Ein ungewöhnliches Vorhaben, das von der Stiftung Landkreis Ostprignitz-Ruppin (OPR) und dem Landkreis selbst gefördert wird. Die Premiere der Neuproduktion der beiden Einakter aus dem 20. Jahrhundert nach Erzählungen von August Stramm und Hans Henny Jahnn ist im „Theater am Rand“ im Oderbruch angesetzt. Die dortige Spielstätte genießt durch ihren Mitbetreiber Thomas Rühmann, Schauspieler der Fernsehserie „In aller Freundschaft“, doch einige Bekanntheit. Im „Autokino Zempow“ nun konnten die Zuschauer schon mal die Vorpremiere erleben ‐ in einer für die Filmleinwand leicht abgewandelten Form.
Abhandlung über Weltfrieden und Europas Rolle darin
„Wir sind einen Tag vorher aufs Gelände gekommen, haben jeweils zwei Durchläufe gemacht, ein bisschen gefeilt, damit die reine Theaterproduktion für den Film passt“, berichtet Benjamin Zock, der selbst mitspielt. Drei Kameras standen bereit, eine stationäre und zwei von Menschenhand gesteuerte. Welche Einstellung schließlich live auf die Bühne ausgestrahlt wurde, entschied die Bildregie, die im Film-Vorführhäuschen das Technikpult bediente.
Und dann kamen sie auch schon, die überdimensionalen Bühnenbilder, der Ton wurde übers Autoradio übertragen: im Fokus Gesichter, ein Kühlschrank, kuriose Gespräche, dann eine Couch, Bettszene und nach der Pause eine schleichend herbeigeführte, tiefgründige Abhandlung über den Weltfrieden und Europas Rolle darin. Welche Aktualität in einem so betagten Stück!

Manche Zuschauer blieben lange draußen neben ihren Autos sitzen. Der lauschige Spätsommerabend verleitete dazu. Dass alles so pannenfrei klappte, war nicht wirklich vorauszusehen. Die Kunst bestand bei der Kameracrew darin, immer die richtige Einstellung auf die Leinwand zu holen, die zum Text und auch zu den Erwartungen des Publikums passte.
Strahler durften Leinwand nicht ausleuchten
Dabei musste kurz vor den Proben nochmal umdisponiert werden. „Wir hatten eigentlich geplant, dass der Zuschauer beides sieht, die Bühne und die Leinwand“, erläutert der Regisseur. Die hügelige Wiese neben der Filmwand verhinderte aber, die Bühne dort aufzustellen. „Wir brauchen ein 8 mal 6 Meter ebenes Areal“, nannte er die Herausforderung.
Die Fläche noch aufzufüllen, hätte den Rahmen des Machbaren gesprengt. Auch durften die fürs Theater notwendigen Strahler nicht die Leinwand ausleuchten. Deshalb ging man mit der Bühne in den Hintergrund. Gewünscht hätte er sich, dass noch mehr Zuschauer den Weg gefunden hätten. Aber: „Sowas muss wachsen“, ist Benjamin Zock überzeugt.

Das gilt übrigens generell für die Aufführungen des Kulturellen Autokinos Zempow e.V., das in dieser neuen Form seit 2020 existiert und das immer auf der Suche nach aktiven Mitstreitern, egal ob auf Mecklenburger oder auf Brandenburgischer Seite, ist. Zu viele Aufgaben seien an nur einem Filmabend zu stemmen. „Aber wir sind zufrieden, in dieser Saison hatten wir schon mehr Zuschauer als in den Jahren davor“, berichten Jan und Arnim vom Verein. Gerade auch die Blockbuster bzw. Kultfilme, wie „Manta Manta“, würden eine wachsende Zuschauerzahl anlocken.
Flair hat sich bis heute nicht geändert
Ansonsten gibt es ein ausgewähltes Programm, mit oder ohne Bratwurst, bei gutem und bei schlechtem Wetter, stets mit guter Laune und Musik und einer Atmosphäre, die Autokino-Kenner auf beiden Seiten der Landesgrenze noch immer an ihre Jugend erinnert. Denn das Flair des Kino-Kleinods hat sich glücklicherweise bis heute nicht geändert. Die Naturbelassenheit ist Alleinstellungsmerkmal und macht den Unterschied zu manchem neuzeitlichen, meist komplett durchbetonierten Autokino aus.
Und wie war es nun, das erste Film-Theater-Crossover im Autokino Zempow? Schauspielerisch brillant, technisch versiert und zur Nachahmung freigegeben. Auf großen Applaus brauchten die Darsteller Susanne Jansen, Michael Rothmann, Carla-Frieda Nettelnbreker und Marie Golüke sowie ihr Regisseur und all die Helfer hinterm Rampenlicht allerdings nicht zu hoffen. Denn der fand zu später Stunde fast ausnahmslos in den Autos statt. „Sonst hört man schon mal einen Lacher oder ein Husten und natürlich am Ende das Klatschen. Das ist schon sehr eigentümlich“, resümiert Benjamin Zock. Aber seinen Reiz hätte das Ganze trotzdem gehabt.