Hilfe

„Sind da, wenn die Menschen sprachlos sind“ — Seelsorger im Einsatz

Waren / Lesedauer: 5 min

Wenn Menschen aufgerichtet werden müssen, rücken sie aus. Egal, wann und wohin. Die Seelsorger von der Müritz sind Helden im Stillen.
Veröffentlicht:03.06.2023, 08:46

Von:
  • Ingmar Nehls
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Karl–Martin Schabow findet klare Worte. „Unsere Klienten oder die Angehörigen sind auf die Schnauze gefallen, brauchen Ermutigung, Hilfe zum Aufstehen“, sagte Schabow. Das Osterfest lag zwar schon eine Weile zurück. Aber dennoch eröffnete Karl–Martin Schabow das Treffen der Notfallseelsorger kürzlich mit Gedanken zu Ostern, weil es doch Parallelen gibt zu der ehrenamtlichen Tätigkeit. Auch Ostern fing mit einem Schrecken an und dann war dort ein großer schwerer Stein vor dem Grab, den man allein nicht wegrollen konnte. Doch hinter dem Stein geschah etwas.

Jeder übernimmt immer eine Woche Bereitschaft

Auch wenn das Team der Müritzer Notfallseelsorger von den Johannitern getragen wird, spielt der kirchliche Hintergrund keine Rolle bei der Betreuung von Menschen in Not. „Wir sind da, wenn Menschen sprachlos sind, und helfen ihnen dabei, wieder die Sprache zu finden“, beschreibt Karl–Martin Schabow die Tätigkeit. Alle in der Runde haben Menschen in Ausnahmesituationen betreut. Zu der Gruppe gehören aktuell Karl–Martin Schabow (Waren), Jessica Dahnke (Malchow), Peter Piletzki (Waren), Stephan Handy (Waren), Ramona Stein (Malchow), Carolin Naumann (Mallin), Carmen Dietrich (Grabowhöfe) und Anja Iwanski (Groß Gievitz). Jeder übernimmt immer eine Woche Bereitschaft und hat noch einen Vertreter als Absicherung, falls es beruflich oder privat nicht möglich ist, auszurücken.

Manchmal bleiben sie mehrere Stunden

Wie lange diese Zuwendung braucht, ist ganz unterschiedlich. Manchmal bleiben sie mehrere Stunden, kommen sogar wieder, wenn sie Tage später angerufen werden. Es geschieht aber auch, dass die Notfallseelsorger ausrücken und dann nach zehn Minuten gleich wieder verschwinden, weil die Angehörigen lieber ihre Ruhe wollen, so wie es kürzlich Stephan Handy passiert ist. 
Neu in dem Team ist Jessica Dahnke. Die junge Frau ist aktive Kameradin bei der Freiwilligen Feuerwehr in Göhren–Lebbin. Bei den Einsätzen hat sie gemerkt, wie wichtig es ist, dass die Menschen gestützt werden. Manchmal sind es auch die Retter selbst, die Hilfe brauchen. „Leider wissen zu wenige Menschen, dass es uns gibt“, sagt Jessica Dahnke. Sie hat sich im vergangenen Jahr ausbilden lassen in über 80 Stunden.

Nach dem Umzug mit dabei

Wer diese Aufgabe übernehmen möchte, müsse innerlich stabil sein, Lebenserfahrung mitbringen, kommunikativ sein und dürfe im Nahfeld keine traumatischen Erfahrungen gemacht haben, fasst Stephan Handy zusammen. „Man muss empathisch sein, zuhören und muss nicht auf alles Antworten haben“, sagt Stephan Handy, der auch als Polizeiseelsorger aktiv war und nach seinem Umzug nach Waren sich hier der Gruppe anschloss. 
Das Ehrenamt fordert allen viel ab, denn es ist nicht planbar, wann sich Menschen in Not an sie wenden. Das geschieht über die Rettungskräfte vor Ort, die sich bei der Leitstelle melden und Notfallseelsorger anfordern. Dann bekommt der Diensthabende aus dem Team einen Anruf und rückt dann aus. Manchmal sogar mit mehreren, wenn die Situation es erfordert. „Ich kann mich an einen schlimmen Badeunfall einer Schülergruppe erinnern, wo wir uns parallel um die Jugendlichen, die Betreuer und auch die Rettungskräfte gekümmert haben. Da waren wir dann zu viert im Einsatz“, erzählt Stephan Handy. 

Eine Anleitung zum Helfen gibt es nicht

Wie man dann die Situation gestaltet, sei ganz unterschiedlich. Karl–Martin Schabow hat schon Schüler begleitet, die miterleben mussten, wie ihre Lehrerin im Klassenraum zusammenbrach und tot war. Da half es, eine Kerze anzuzünden und die Schüler brachten dann persönliche Dinge mit und erzählten sich, woran sie sich gerne erinnern. „Ich war auch bei einem Einsatz, wo ein Ehepaar an der Ostsee ertrunken ist und die jungen Rettungsschwimmer Hilfe brauchten. Ich habe dann alle in einem Raum versammelt und wir haben besprochen, was passiert ist. Man muss die Menschen zum Sprechen bringen. Eine Anleitung, wie man das macht, gibt es nicht. Routine wäre das Schlimmste. Ich habe bis heute eine gewisse Unsicherheit nicht ablegen können“, sagt Karl–Martin Schabow.

Zunehmende Vereinsamung als Problem erkannt

Eine Herausforderung für die Seelsorger ist auch die Begleitung von Menschen aus anderen Kulturkreisen, wo es andere Rituale gibt und auch mit Trauer anders umgegangen wird.
Was die Seelsorger beschäftigt, ist die zunehmende Vereinsamung vieler Menschen. Gerade in den Städten sei die nicht so sichtbar. „Es ist schwer, die Menschen zu erreichen“, sagt Peter Piletzki, der sich auch im Kreisbehindertenbeirat und im Seniorenbeirat engagiert. Tritt dann ein schlimmes Ereignis ein, seien die Menschen blockiert. Ihnen aber alles abzunehmen, sei auch nicht richtig. „Wir geben Hinweise, sortieren, was gemacht werden muss. Aber die Menschen müssen für den Verstorbenen aktiv werden. Das ist wichtig im Trauerprozess und eine Entlastung“, sagt Stephan Handy. 
Was sie auch alle lernen mussten, ist, wie man das Ehrenamt mit der Familie abstimmt. Schließlich verlassen sie oft mitten in der Nacht das Haus und sind erst Stunden später zurück. Einige hinterlassen dann kleine Zettel, bevor sie aufbrechen und für andere da sind.