Coronavirus

„Kinder sind keine Treiber der Pandemie”

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Maskenplicht im Unterricht, Teilschließungen und Lüften sind eher Aktionismus, als ein wirksames Mittel in der Corona-Pandemie. Das schreibt der Chefarzt der Neubrandenburger Kinderklinik Sven Armbrust in einem Gastbeitrag. Er ruft die Politik dazu auf, die Kinder vorerst in Ruhe zu lassen.
Veröffentlicht:03.12.2020, 05:56

Von:
  • Nordkurier
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Die Entscheidung des Landkreises Mecklenburgische Seenplatte nun auch Kinder jenseits des Grundschulalters Masken im Unterricht tragen zu lassen und eine defacto Teilschulschließung der weiterführenden Schulen mit einem Wechselmodell sind in keiner Weise nachvollziehbar. Zu suggerieren, die Schulen sind schuld an der aktuellen Inzidenz und daran, dass sie sich nicht bessert, widerspricht allen wissenschaftlichen Daten, die wir aus Deutschland und der Welt haben und entbehrt damit jeglicher Grundlage.

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Corona-Daten aus Mailand und Wuhan

Diese Daten sind nicht neu. Schon im Frühjahr zeigte sich, dass infizierte Kinder bezogen auf die Gesamtzahl der Kinder deutlich unterrepräsentiert sind. So war das auch in stark betroffenen Gebieten wie Wuhan oder Mailand. Frühe Daten aus Island und Südkorea ließen bereits stark vermuten, dass es nicht zu einer relevanten Verbreitung des Virus über die Kindergärten und Schulen kommt. Damit war bereits damals schon das immer vorgebrachte Argument der fehlenden Hygiene durch Abstandsunterschreitung entkräftet. Diese Daten finden sich nun in immer mehr Studien und vor allem auch in Ländern, die ihre Schulen weitgehend in Ruhe lassen.

Kinder sind weder Treiber noch ein relevantes Problem in der Pandemie!

Die Inzidenz bei Kindern unter 14 Jahren im ganzen Land Mecklenburg-Vorpommern liegt bei 250 pro 100.000 Einwohner. (bezogen auf alle Fälle seit März, Stand 1.12.20). Das Robert-Koch-Institut schreibt in seinem Lagebericht über die Schulen, dass aktuell ca. 0,21 Prozent der Schülerinnen und Schüler positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Das soll nun egal welche Maßnahmen in den Schulen rechtfertigen?

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Hohe Dunkelziffer gibt es vermutlich nicht

In der aktuellen Debatte wird eine vermeintliche Dunkelziffer als Argument herangeführt, dass noch viel mehr in den Schulen durchgesetzt werden müsste. Vergangene Woche wurde dazu eine Studie veröffentlicht von Kollegen, die deutschlandweit eine Abfrage zu getesteten Kindern gestartet hatten (mehr als 117.000 Kinder aus über 100 Kinderkliniken), in die auch Zahlen aus MV und der Seenplatte mit eingeflossen sind.

Diese Zahlen sind nun absolut übereinstimmend mit den schon genannten Daten. Die Inzidenz wird hier mit 53 pro 100.000 Einwohner aller Getesteten angegeben. Daraus folgt, dass es keine relevant hohe Dunkelziffer unter Kindern und Jugendlichen gibt. International als auch national existiert wenig Evidenz, dass – auch bei den aktuell hohen Inzidenzzahlen – eine deutliche Übertragung innerhalb der Schulen stattfindet, die zur allgemeinen Krankheitslast weder bei den Schülern, noch bei den Lehrern oder bei der Allgemeinbevölkerung beiträgt.

Auch für vermeintliche Risikogruppen wie etwa Kindern mit Krebs oder Herzerkrankungen gibt es keinen Hinweis für ein erhöhtes Risiko in Bezug auf COVID.

Jedes Virus kann jeden Menschen krank machen

Jedes Virus kann jeden Menschen in jedem Alter krank und sterbenskrank machen. Dennoch muss man Corona als eine „Alterspandemie“ bezeichnen. Die sogenannte Infection Fatality Rate, also die Sterbensrate, bei Kindern beträgt 0,01 Prozent, steigt dann bis 50 Jahre an auf 0,1 Prozent. Ab einem Alter von 65 beträgt sie 1 Prozent und steigt dann rasch weiter an. Für Menschen über 80 Jahren liegt sie bei auf 8,3 Prozent. Zwei Drittel der in Deutschland an COVID Verstorbenen lag in diesem Alter. Dabei haben die Männer ein noch höheres Risiko. Weltweit sind schwere Verläufe bei Kindern beschrieben, im Allgemeinen sind diese Verläufe aber zumeist milde bis asymptomatisch.

Eine im August erschienene Arbeit im Deutschen Ärzteblatt zieht die Bilanz: „In Settings, in denen die Schulen geöffnet blieben, oder bei der Verwendung von Daten, die vor den Schulschließungen erhoben wurden, finden sich kaum Hinweise auf Ausbrüche oder eine größere Übertragung in die Bevölkerung. [...] Politische Entscheidungen wie beispielsweise die Wiederöffnung von Schulen betreffen mehr als die bloße Frage der Viruslast. Sie fußen vielmehr auf komplexen Überlegungen, um in einem von Angst und Unsicherheit geprägten weiten Kontext Risiken und Nutzen auszubalancieren. Schulschließungen wirken sich negativ auf die geistige, schulische, ernährungsbezogene und soziale Entwicklung aus und unterbrechen Beziehungen zwischen Kindern, Gleichaltrigen und Familien. Am stärksten treffen sie Kinder mit Behinderungen und aus marginalisierten Haushalten, wodurch sich Ungleichheiten weiter verschärfen.”

Kinder sind widerstandsfähig, aber sie leiden unter den ganzen Pandemiemaßnahmen deutlich mehr, als wir anfangs dachten. Die Studie aus Leipzig gibt hier eindeutige Hinweise.

Ängste, Unsicherheit und Polarisierung

Die Kollegen der Süddeutschen Gesellschaft für Kinder und Jugendmedizin und des Verbandes Leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen Deutschlands (VLKKD) schlussfolgern aus der oben genannten aktuellen Untersuchung: „Die öffentliche Diskussion und Darstellung (…) untergräbt das Engagement von Lehrenden, Schülerinnen und Schülern und Eltern, die sich tagtäglich mit Erfolg für einen Schulbetrieb und damit für die Bildung und Zukunft unserer Zivilgesellschaft einsetzen. Darüber hinaus führt es zu Ängsten, Unsicherheiten und Polarisierung, lenkt von einer gezielten Lösungsfindung ab und sollte deshalb unterlassen werden“.

Der Epidemiologe John Ioannidis von der Universität Stanford schrieb: „Wir müssen lernen, mit COVID-19 zu leben und wirksame, präzise und am wenigsten störende Maßnahmen anzuwenden.” Das gilt meines Erachtens im Umkehrschluss auch für alle unwirksamen Maßnahmen, die außer Aktionismus nicht eine belegbare Besserung bringen, egal ob Maskenpflicht, abgesperrte Schulhöfe, Teilschulschließungen oder unsinnige Lüftungsorgien mit frierenden Kindern.

Für Kinder sind Schulen ein in vieler Hinsicht geschützter Raum – wir sollten sie in Ruhe und ungestört ihre Arbeit machen lassen und nur dann aktiv werden, wenn sich echte Cluster herausbilden.

Dr. Sven Armbrust ist Chefarzt der Kinderklinik am Bonhoeffer-Klinikum in Neubrandenburg.