Scientists for Future
„Wir leben über unsere Verhältnisse”
Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Susanne Schulz
Die „For Future“-Bewegung begann mit Schulstreiks junger Leute, um auf bedrohlichen Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen. Welchen Weg nahm sie dann in die Wissenschaft, wo sich „Scientists for Future“ formierten, und an die Hochschule Neubrandenburg?
Ich hatte mich schon seit Jahren mit diesen Problemen unserer Zeit auseinandergesetzt. Wie ein Leben aussehen könnte mit weniger Ressourcenverbrauch, ist ein Steckenpferd von mir. Als die „Fridays for Future“-Bewegung so stark wurde, wunderte mich, dass ich an der Hochschule so wenig davon merkte.
Zu einem sehr beeindruckenden Vortrag über Wege aus der Klimakrise hatten wir dann Jochen Gruber zu Gast, der unter anderem die Erde als atmendes Lebewesen auffasst und auf Modellrechnungen über den Kohlendioxid-Ausstoß verweist. Zuvor hatte ich schon mal Formate angeregt wie das „Kino Tacheles“, mit zeitkritischen Filmen und Diskussionen darüber. Aber das hatte noch nicht eine solche Regelmäßigkeit erreicht. Daher suchte ich Leute, die ähnlich ticken.
Bei uns heißt die Gruppe übrigens nur „For Future“, weil „Scientists“, also Wissenschaftler, die Studierenden und einen ganzen Teil der Mitarbeiter ausschließen würde.
Um welche Problematik und Denkrichtungen geht es Ihnen dabei, was wollen Sie konkret erreichen?
Es gibt viele Themenfelder, auf denen vor allem die westlichen Industrienationen in ihrer Entwicklung mächtig überzogen haben. Die Klimakrise ist nur eins davon; auch bei der Flächennutzung oder der Mobilität leben wir über unsere Verhältnisse. In die Zukunft und an die nächsten Generationen zu denken, wie es für unsere Großeltern selbstverständlich war, ist völlig verlorengegangen. Und das Wort „Nachhaltigkeit“ mag man kaum mehr sagen, weil es so abgenutzt ist. Niemand vermag zu sagen, WANN die Situation kippt. Wenn man etwas ändern will, wird das nicht mit technologischem Fortschritt zu lösen sein. Es muss einen grundlegenden Wandel geben. Dafür wollen wir ein Bewusstsein schaffen.
Wie ist Ihre Initiative aufgenommen worden?
Die Hochschulleitung hat uns ideelle Unterstützung zugesagt und ein gewisses Budget gewährt, um Vortragende einladen zu können. Wir waren anfangs rund 25 Leute, es gab ein paar Aktionen, etwa zum Bäumepflanzen, und die Sache begann gerade mehr Fahrt aufzunehmen, als mit Corona erst mal fast alles zusammenbrach. Es gab viele Ideen, nur an der Umsetzung hapert es. Zum Beispiel dabei, die angesprochenen Themen in die Lehre zu integrieren. Die Studierenden kommen doch aus jener Generation, die das alles ausbaden muss – mit wem, wenn nicht mit denen, muss man das diskutieren, was da ökonomisch und politisch im Argen liegt?
Es ist die Generation, die sich vehement mahnend zu Wort meldet, deren Angehörige aber zugleich im Ressourcenverbrauch schwelgen, vom neuesten Handy bis zum Billigflug. Lässt sich diese Generation nicht ebenso wenig über einen Kamm scheren wie die, sagen wir, ihrer Eltern? Es ist doch nicht eine ganze Generation gleichermaßen sensibilisiert oder gleichermaßen ignorant.
Das ist ja das Widersprüchliche. Vielfach nehmen wir unsere Umwelt als selbstverständlich wahr: Warum soll ich mir Gedanken machen, es läuft doch alles? Ist doch super, wenn ich mal zum Billigpreis übers Wochenende nach Barcelona fliegen kann! Wir sind total entkoppelt zwischen dem, was wir tun, und dessen Wirkung. Die sehen wir ja nicht so unmittelbar wie früher der Bauer oder Handwerker. Kaum jemand hat eine Vorstellung, in welchen Dimensionen wir konsumieren. Wie viel ist zum Beispiel eine Kilowattstunde? Wie lange müsste man auf dem Fahrrad strampeln, um sie zu erzeugen? Mehrere Stunden!
Allerdings bezweifeln viele, dass ihr kleines alltägliches Ressourcenschonen oder Mülltrennen überhaupt was bringt im Verhältnis zu Umweltsünden großen Ausmaßes in aller Welt.
Ja, das bringt was. Man muss sich nicht gleich aus dem Fenster lehnen und meinen, man könnte die Welt revolutionieren. Aber man kann allemal in seinem eigenen Wirkungsfeld das Mögliche tun. Insofern haben „Fridays for Future“ auch einiges erreicht. So lange wir dieses auf Wachstum fixierte politisch-ökonomische System haben, habe ich für einen grundlegenden Wandel allerdings wenig Hoffnung. Ich habe aber auch keine Lösung.
Dennoch zielt Ihr Engagement ja doch darauf, nicht nur die Gefährdung zu beschreiben, sondern auch Perspektiven.
Klar, Leute zu finden, die über den Zustand berichten, ist relativ einfach. Viel schwieriger ist es, welche zu finden, die über Wege und Auswege sprechen. Für das Format Studium-plus, bei dem Studierende fächerübergreifend andere Wissensgebiete kennenlernen können, habe ich das Modul „Umwelt und Wandel“ konzipiert für ein ganzes Semester, hatte für jede Woche Vortragende gewonnen, dann wegen der Einschränkungen im Lockdown passende Filme recherchiert, selbst einen Vortrag erarbeitet unter dem Thema „Ist die Welt noch zu retten?“ Die nächste Ausbaustufe sollte die Reihe „Neues Leben“ sein, mit Ansätzen für eine Neugestaltung unserer Gesellschaft, aus dem Gedanken heraus: Wenn uns bei den Problemen unserer Zeit die Luft wegbleibt, muss es doch auch Ausblicke geben, wie es anders gehen könnte. Den Vortrag von Dietmar Näser über regenerative Landwirtschaft hörten mehr als 100 Leute.
Dieses Format war Ende 2021 auch online und öffentlich zugänglich; Sie wollen über Hochschulkreise hinaus Menschen erreichen. Wie erleben Sie die öffentliche Wirkung und Vernetzung?
Zu wenig. Wir haben einen Platz auf der Internetseite der Hochschule, haben einen Mail-Verteiler und Studierende, die auch mal was auf Instagram posten. Wir werden schon wahrgenommen, auch wenn wir ein kleines Häufchen sind, und zum Weitermachen ermutigt. Wir waren auch gut vernetzt mit den „Fridays for Future“-Initiatoren in Neubrandenburg. Wenn allerdings aktive Leute weggehen, bleibt da was auf der Strecke. Es gibt durchaus viele Initiativen, aber da ist wenig gebündelt.