Amazon in Neubrandenburg – Viel Ärger und weniger Jobs als versprochen
Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Richtig bemerkbar wurde die Amazon-Ansiedlung für viele Neubrandenburger erst, als sie nervte. Und zwar auf Gehwegen und in Einfahrten. In den ersten Monaten nach der Eröffnung des neuen Amazon-Verteilzentrums im Nordosten der Stadt im Oktober 2021 trudelten beim städtischen Ordnungsamt zahlreiche Beschwerden ein. Das teilte die Stadtverwaltung auf Nachfrage mit.
„Im Fokus der Beschwerden standen Verstöße im sogenannten ruhenden Verkehr, schwerpunktmäßig in den Wohngebieten Ihlenfelder Vorstadt, Reitbahnviertel und Datzeberg“, führt ein Rathaussprecher aus. Allerdings hätten diese Beschwerden inzwischen stark abgenommen. Laut der Stadt habe das mit „schnellen intensiven Kontrollen durch den Außendienst des Ordnungsamtes“ zu tun gehabt. Seit Mitte 2022 gebe es keine signifikanten Beschwerden zu diesem Thema mehr.
Eine Gefahr für den Einzelhandel?
Auch sonst ist es relativ ruhig um Amazon in Neubrandenburg geworden. Bei der Ansiedlung wurde Kritik laut, das wäre das Aus für den Einzelhandel. Wobei diese Kritik wohl eher globaler Natur ist, als auf Neubrandenburg bezogen. Denn für den stationären Einzelhandel in Neubrandenburg sieht City-Manager Michael Schröder keine unmittelbare Gefahr durch die Amazon-Ansiedlung. „Das kann man natürlich nur schwer überprüfen, ob die Ansiedlung im Gewerbegebiet Einfluss auf die Händler in der Innenstadt hat“, sagt der City-Manager.
Eher sieht er den generellen Trend zum Online-Shopping als Grund für den Rückgang des Einzelhandels. Wobei Schröder auch Hoffnung hat. „Corona und die jetzigen Krisen haben den Menschen gezeigt, wie wichtig lokale Dienstleister und Händler sind“, macht er Werbung für den Einzelhandel. „Wer vor Ort kauft, sorgt indirekt für mehr Gewerbesteuern in der Stadt, die Restaurants und Unternehmen unterstützen lokale Sport- und Kulturvereine. Deshalb kann ich immer nur wieder appellieren, lokal einzukaufen, wo es geht.“
Unklar, ob Stellenabbau auch Neubrandenburg trifft
Zuletzt machte Amazon auch immer wieder Schlagzeilen, weil das Unternehmen ankündigte, weltweit Arbeitsplätze zu streichen. Ob diese Entlassungswelle auch den Neubrandenburger Standort betrifft, dazu wollte Amazon sich auf Nordkurier-Anfrage nicht äußern. Stattdessen verwies der Weltkonzern auf eine internationale Pressemitteilung. Darin heißt es vage: „Amazon hat in der Vergangenheit ungewisse und unsichere Wirtschaftslagen durchstanden und wird dies auch weiterhin tun.“ Angekündigt wurde die Streichung von 18.000 Stellen. Zuletzt beschäftigte Amazon mehr als 1,5 Millionen Angestellte weltweit.
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Zu den Gerüchten um niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen, erklärte Steffen Adler, Pressesprecher des Unternehmens auf Nordkurier-Nachfrage: „Das ist Blödsinn. Bei uns arbeitet niemand für den Mindestlohn. 13 Euro pro Stunde ist das Minimum. Je nach Position und wie lange man dabei ist, verdient man natürlich mehr.“
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Das gilt allerdings nur für Amazon-Angestellte. Viele Amazon-Fahrer sind aber bei Subunternehmen angestellt. Hier ist die Lage komplizierter. Rund 150 Zusteller sind über Subunternehmen für Amazon am Neubrandenburger Standort tätig.
Mehr als 400 Euro monatlich für Unterkunft ohne Privatsphäre
Bei der Landesarbeitsgemeinschaft Arbeit und Leben Mecklenburg-Vorpommern e. V. meldeten sich nach der Amazon-Ansiedlung in Rostock und Neubrandenburg zahlreiche Zusteller und beklagten sich über schlechte Bedingungen. „Die meisten der Fahrer, die wir bei unseren Aktionen angetroffen haben, haben kurz danach schon wieder ihre Arbeit aufgegeben oder wurden gekündigt“, teilte eine Mitarbeiterin der Organisation mit.
Zu den häufigsten Problemen der Zusteller gehörten demnach unbezahlte Krankheitstage trotz Nachweis, unwirksame Kündigungen, Lohnabzüge ohne Begründung und Arbeitsunfälle. Außerdem stellten die Subunternehmen den Fahrern oft Wohnungen zur Verfügung, für die die Fahrer sehr hohe Mieten berappen müssten, welche direkt vom Lohn abgezogen werden würden. „Die Mieten für ein Bett in einem Zweibettzimmer, von denen wir erfahren haben, lagen über 400 Euro in Neubrandenburg. Privatsphäre gibt es hier für Fahrer und Fahrerinnen nicht, Kontakte zu deutschen Nachbarn aufgrund der Lage der Wohnungen und Arbeitszeiten auch nicht.“
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Ebenfalls problematisch: Laut Arbeit und Leben MV könnten Fahrer, denen gekündigt wurde, nie wieder für Amazon-Pakete ausliefern, auch nicht in einer anderen Stadt. „Einige Subunternehmer übermitteln Amazon die Daten von Kurieren, die – möglicherweise aus disziplinarischen Gründen – entlassen wurden. Diese dürfen dann auch nicht über einen anderen Unterauftragnehmer für Amazon arbeiten“, erklärt eine Mitarbeiterin der Gewerkschaftsorganisation auf Nordkurier-Nachfrage.
Stadtverwaltung zieht ein positives Fazit
In vielen Fällen habe der Verein den Betroffenen geholfen, sei mit Ihnen vors Arbeitsgericht gezogen und hätte erfolgreich geklagt. Doch viele könnten sich einen Prozess auch nicht leisten. Auch seien die Aussichten auf echte Entschädigungen unterschiedlich. Der Verein berichtete von einem vor dem Arbeitsgericht gewonnenen Fall, doch der Anspruch auf Lohn wurde nie ausgezahlt, weil die betroffene Subunternehmer-Firma pleite gemacht hat.
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Aus Sicht der Stadtverwaltung kann anderthalb Jahre nach der Ansiedlung Amazons ein positives Fazit gezogen werden. „Es wurden zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen, was zu einer verstärkten Konkurrenz um Arbeitskräfte in dieser Branche, diesem Lohnsektor, führt und nicht zuletzt bessere Rahmenbedingungen für die Arbeitnehmer zur Folge hat“, erklärte ein Rathaussprecher. Hervorzuheben sei auch, dass zahlreiche Menschen mit Migrationshintergrund und geringen Deutsch-Kenntnissen über Amazon in den ersten Arbeitsmarkt integriert werden konnten, hieß es weiter.
Bei höherer Auslastung auch viel mehr Jobs möglich
Vor der Eröffnung versprach Amazon etwa 180 festangestellte Arbeitsplätze sowie rund 450 weitere Jobs als Zusteller. Aktuell sind es aber nur 100 Festangestellte und 150 Zusteller bei Subunternehmen. Bei den seinerzeit in Aussicht gestellten Beschäftigten-Zahlen handelt es sich laut Amazon allerdings um Perspektiv-Zahlen, für die der Standort Neubrandenburg bei Maximalauslastung ausgelegt ist. Ob diese jemals erreicht werden, ist also völlig offen.
Unklar ist auch, was die Amazon-Ansiedlung der Stadt an Steuern einbringt. Wie hoch der Gewerbesteueranteil von Neubrandenburg tatsächlich ist, darüber dürfe die Stadt keine Auskunft erteilen, hieß es aus dem Rathaus. Das Unternehmen selbst äußerte sich auf Nachfrage nicht dazu. Für die Ansiedlung von Amazon in Neubrandenburg sind nach Angaben der Stadt keine Fördermittel an das Unternehmen weitergereicht worden – weder vom Land, noch von der Stadt. Auch keine indirekten. Das Grundstück sei zu einem marktüblichen Preis verkauft worden, sagte eine Sprecherin der Stadt.