Neubrandenburger Hochschule
Das digitale Dorf wird die Zukunft sein
Neubrandenburg / Lesedauer: 7 min

Susanne Schulz
Gerade haben Sie ebenso wie Ihre Kollegen der anderen Hochschulen in Mecklenburg-Vorpommern sich mit dem Land auf Zielvereinbarungen für die nächsten fünf Jahre verständigt. Welche Akzente soll und will dabei die Hochschule Neubrandenburg setzen?
Das betrifft vor allem drei große Schwerpunkte. Einer ist die Akademisierung der Pflege. Wir konnten einen Bachelorstudiengang etablieren, der eine Ausbildung zur Pflegefachkraft kombiniert mit einem Bachelorabschluss. Ein zweiter ist das berufspädagogische Lehramtsstudium für Gesundheits- und Sozialfachberufe. Da steigen wir aus der Pilotphase aus und ins Dauerangebot ein. Das dritte große Thema ist die Revitalisierung der Ingenieurausbildung in Zusammenarbeit unserer Hochschule, wo das Ingenieurstudium 2012 eingestellt wurde, mit der Hochschule Wismar und der Universität Rostock.
Dieser Studiengang wird besonders sehnlich erwartet, denn die Abschaffung 2012 war, gerade auch angesichts eines gewaltigen Bedarfs an Fachkräften, nie verwunden worden.
Ja, wir verbinden damit die Hoffnung, die Situation mit frischem Wind beatmen zu können. Zugrunde liegt das gemeinsam mit Wismar und Rostock entwickelte BLU-Konzept mit den Themen Bauen, Landschaftsplanung und Umwelt. Diese enge Verknüpfung macht die Innovation aus, nachdem das Bauwesen lange in Konkurrenz zur Landschaftsgestaltung stand. Wenn wir sehen, vor welchenHerausforderungen der Städtebau steht, wenn wir an die Entwicklung hin zur Smart City denken, kann sich aber keine Gesellschaft mehr leisten, das losgelöst voneinander zu betrachten. Wir hoffen, da Möglichkeiten zu entwickeln, die uns und dem Land gut tun werden. Das kann nur gelingen, wenn wir mit der Praxis eng zusammenarbeiten: Unternehmen, Bauämter, Ingenieurbüros sind von Anfang an eingeladen, um den regionalen Joker auszuspielen.
Allerdings handelt es sich zunächst um einen Einführungsstudiengang, der nach einem Jahr in Wismar fortgesetzt wird. Ist das nicht lediglich ein Trostpflaster für den Osten des Landes, der mit der Schließung der Ingenieurschule für Bauwesen in Neustrelitz und mit der Abschaffung des Ingenieurstudiums in Neubrandenburg eine große Tradition auf diesem Gebiet verloren hat?
Das kann man so sehen, es wird auch in der Baubranche oft so artikuliert. Ich sag’s mal so: Die Branche hat sich 2017/18 sichtbar gemacht mit einer Befragung zum Fachkräftemangel, hat auch mit mir Gespräche aufgenommen. Die ersten Vorstöße aber stießen politisch auf Granit. Daher entstand die Idee: Lasst uns ein Fachhochschulstudium zusammen mit Wismar angehen, zugleich in Rostock ein akademisches Studium im Blick haben. Letztlich kam das Thema doch noch auf die politische Bühne, und es war gut zu sehen, dass Politiker in der Lage sind, über den eigenen Schatten zu springen. Zu sehen, dass die frühere Entscheidung nicht die richtige war, und Mittel in die Hand zu nehmen, um das neue Konzept umzusetzen. Aber immer war klar: Wir können hier nicht sofort wieder einen vollen Studiengang etablieren. Mit der Abschaffung 2012 sind die einstigen Laboreinheiten umgestaltet worden, ein spontaner Rückbau ist nicht möglich. Aber wir haben einen Kooperationsstudiengang entwickelt, um Studierende zu gewinnen, die dann in Wismar ihr Studium vollenden – mit dem Ziel, den Master vielleicht wieder in Neubrandenburg zu machen. Wir fangen im Herbst klein an, Schritt für Schritt. Und wenn wir das in der Zielvereinbarungsperiode gut hinkriegen, können wir das Gespräch öffnen und uns noch mal über einen Studiengang in Neubrandenburg unterhalten.
Bereits gestartet ist im zurückliegenden Wintersemester der neue Pflege-Studiengang Nursing, nachdem die Hochschule bereits lange im Bereich Pflegewissenschaft und -management präsent ist. Wie lässt sich das neue Format an?
Mit diesem berufsanerkennenden Studium zur Pflegefachperson bewegen wir uns auf europäischem Niveau. Gegenüber etablierten Studiengängen wie der Pflegewissenschaft haben wir hier etwa 50 Prozent Praxisanteil in Zusammenarbeit mit Kliniken, Pflegediensten und -einrichtungen der Region. Dazu werden unter anderem für eine halbe Million Euro ehemalige Seminarräume in ein Pflegelabor umgerüstet. Ganz gut ist, dass wir mit wenigen Studierenden anfangen. Wir lernen im ersten Durchgang ja auch und können individueller agieren. In jedem Semester gibt es eine Evaluation, um zu prüfen, wo wir noch justieren müssen.
Seit fast einem Jahr arbeitet die Hochschule zudem unter Corona-Bedingungen. Wie ist die Umstellung auf weitgehend digitale Lehre gelungen?
Natürlich hat das Studium andere Formen angenommen. Ich wünsche mir wieder eine Zeit, in der das Hochschulleben auch in Hörsälen und Seminaren stattfindet, auf den Fluren, auf dem Campus, in der Mensa. Das ist nicht zu ersetzen, aber wir versuchen, das Beste aus der Situation zu machen. Ich habe noch genau vor Augen, wie wir vor einem Jahr genau ein Wochenende hatten, um uns auf die Ausnahmesituation einzustellen. Die Bereitschaft war unglaublich positiv. Sicher lief das nicht von heute auf morgen in Perfektion. Problemlagen liefert auch die Gleichwertigkeit des Studierens, weil nicht alle dieselben Möglichkeiten digitalen Zugangs haben oder das Studieren mit Familie und Kindern eine besondere Herausforderung ist. Überhaupt ist digitale Lehre sehr anstrengend, für die Lehrenden wie für die Studierenden. Vor dem Wintersemester hatten wir uns geeinigt, es in maximal möglicher Präsenz umzusetzen, mussten dann aber auf die erneuten Einschränkungen reagieren. Unser Ziel war dann, in der Präsenz den Fokus auf die Erstsemester zu richten, die in den Studienalltag erst einmal hineinwachsen müssen.
Inzwischen haben Sie – wiederum digital, mit einer Videobotschaft – das Sommersemester eröffnet. Wie haben sich die Einschränkungen auf die Nachfrage künftiger Studierender ausgewirkt?
Wir haben das Glück, dass die Einschreibzahlen sich auf hohem Niveau halten. Das ist auch das Verdienst der Marketingabteilung, die Hochschule sichtbar zu machen und Vertrauen zu vermitteln, dass wir uns nicht irgendwie durchlavieren, sondern die Leute fachlich und im studentischen Leben bei der Stange halten.
Neben Lehre und Forschung verfolgt die Hochschule auch die sogenannte Dritte Mission, mit Blick auf Ausstrahlung in die Öffentlichkeit. Welchen Anspruch verfolgen Sie dabei?
Wir verstehen uns als Hochschule IN und MIT der Region und sind mit vielen Themen in der Region verankert. Mit unserem ProjektHiRegion – Hochschule in der Region – sind wir die einzige Einrichtung im Land, die es in die Bundesinitiative „Innovative Hochschule“ geschafft hat. Derzeit steht die Verlängerungsbeantragung an, und wir sind dabei, das Thema hochkant zu stellen: Wie kriegen wir das noch besser im Profil der Hochschule verankert, indem wir Themen aus der Region aufgreifen und in die Region wirken – nicht belehrend, sondern gemeinsam gestaltend? Welche Themen sind relevant? Eines ist lebenslanges Lernen, angefangen mit der Kinder-Hochschule über Angebote zur beruflichen Weiterbildung oder die Vorlesungen an besonderen Orten bis hin zu Formaten für höhere Altersgruppen, die ungeheuren Anklang finden und zuletzt ebenfalls digital stattfanden. Die Formate der Dritten Mission sind enorm vielfältig, in Kooperation auch mit der Stadt und dem Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, mit Vereinen und Verbänden.
Ein weiteres Thema ist die Weiterentwicklung des Digitalen Informationszentrums, das vor einem Jahr gegründet wurde. Wir wollen das DIZ noch mehr in die Stadt bringen, es noch nutzbarer, anfassbarer machen. Es ist erstaunlich, was wir hier für eine engagierte Start-up-Unternehmerschaft haben! So werden Themen bedient wie Co-Working und ländlicher Raum. Das ist DIE Chance für ländliche Räume: Es gibt schon viele Beispiele, dass Firmen aus Berlin sich dort ansiedeln und sie zu Arbeitsorten umgestalten.
Welche Wechselwirkungen sehen Sie zudem zwischen den Herausforderungen des ländlichen Raums und den Studieninhalten der Hochschul-Fachbereiche?
Da gibt es viele direkte Bezüge, im Bereich Soziales ebenso wie in Bereich Naturschutz und Landschaftsplanung. Mobilitätsprojekte zum Beispiel, die wir nicht aus technischer Perspektive betrachten, sondern unter dem Aspekt, wie sich der berühmte „letzte Kilometer“ organisieren lässt. Onlineplattformen für Kleinproduzenten oder die Förderung von Kunst und Kultur sind weitere Themen, oder Wohnbaugesellschaften sind interessiert an altersgerechter Wohnraumentwicklung, auch im Hinblick auf soziale und Versorgungsdienste. Zudem arbeiten wir am Projekt „Das digitale Dorf“ – das wird die Zukunft sein.
Im Herbst geht zunächst Ihre Amtszeit als Rektor zu Ende. Werden Sie für eine zweite kandidieren?
Auf jeden Fall, ich würde mich freuen, alle diese Prozesse weiter zu begleiten. Aber natürlich würde ich auch einen anderen Rektor oder eine Rektorin nach Kräften unterstützen – die Entscheidung obliegt dem erweiterten Senat.