Reichshebammenführerin
Die bislang unbekannte Nazi-Täterin Nanna Conti
Neubrandenburg / Lesedauer: 6 min

Frank Wilhelm
Wie fühlen Sie sich nun, nach der Veröffentlichung der Biografie?
Ich bin nach wie vor froh, dass es mir so viele Menschen ermöglicht haben, meine 2014 abgeschlossene Dissertation als Buch herauszugeben. Ich hatte mit einem Aufruf zum Crowdfunding sehr viel Resonanz. Um die 30 Spender haben sich gefunden, die die Veröffentlichung finanziell unterstützt haben. Die Summen lagen zwischen 10 und 100 Euro. Die Kurt und Herta Römer Stiftung hat 300 Euro beigesteuert. Am meisten habe ich mich über meine Kinder gefreut.
Warum?
Als sie von der Aktion hörten, standen sie eines Tages vor mir und boten mir das Taschengeld einer Woche an, weil sie mich auch unterstützen wollten. Ich habe das Geld in ihrem Namen in den Topf eingezahlt.
Wie sind Sie auf Nanna Conti gekommen?
Im Rahmen meiner Diplomarbeit an der Hochschule Neubrandenburg habe ich mich auch mit der Hebammenausbildung an der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft” in Alt Rehse beschäftigt. Ein Professor aus dem schwedischen Lund, mit dem ich im Kontakt stand, hat mich gedrängt, bei dem Thema unbedingt auch über Conti zu schreiben.
Wie kam es dann zur Doktorarbeit?
Bei meinen Recherchen habe ich festgestellt, dass es noch keine ausführliche Biografie über Nanna Conti gab, obwohl sie als Reichshebammenführerin eine herausgehobene nationalsozialistische Funktionärin im Dritten Reich war. Ich habe bei der Universität Greifswald nachgefragt, ob Interesse an diesem Thema besteht. Die Leiterin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin hat mich dann als Doktorandin angenommen.
Warum ist es wichtig, sich mit Nanna Conti zu beschäftigen?
Sie war eine Täterin des Nationalsozialismus, die bislang weitgehend unbekannt ist. In ihrer Funktion hat sie das Reichshebammengesetz durchgedrückt, das bis heute Auswirkungen hat. Das Gesetz ist die Grundlage dafür, dass die Verantwortung bei Geburten bis heute in Deutschland und Österreich bei den Hebammen liegt.
Deshalb war der Name Conti in der Hebammenschaft auch lange Zeit positiv besetzt. Dass mit demselben Gesetz jüdische und oppositionelle Hebammen vom Beruf ausgeschlossen wurden, wurde lange Zeit verdrängt.
Wie schätzen Sie Nanna Contis Wirken ein?
Ich habe versucht, ihr Leben angefangen von ihren eigenen Eltern über den Ehemann und die Kinder aufzudröseln, um Brüche und Widersprüche aufzuzeigen, um sie aus dem Mythos herauszulösen. Es hat sich für mich herauskristallisiert, dass Nanna Conti eine Täterbiografie hat.
Es zeigt sich, Handelnde in Gesundheitsberufen sind nicht automatisch die Guten. Zudem zeigt sich an Conti, wie die Informationsflüsse zwischen den NS-Organisationen funktionierten. Nur ein Beleg: Ihr Sohn Leonardo Conti war ab 1939 Reichsärzteführer. Über ihn war sie hervorragend vernetzt.
Sie schreiben, dass Conti während ihrer Arbeit als Hebamme in den 1920er Jahren einen guten Ruf auch bei jüdischen Frauen genoss?
Das stimmt. Aber einige Jahre später, 1942, schreibt sie in einem Mütterratgeber: „Wertvolles deutsches Blut möge niemals zum Aussterben kommen, sondern in glücklichen kinderreichen Familien weiterleben bis in ferne und fernste Zeit.” Allein dieses Zitat zeigt, wie Nanna Conti die religiös überhöhten Vorstellungen von Mutterschaft im „Dritten Reich” teilte.
Gleichzeitig propagierte sie auch eindeutig aggressives NS-Gedankengut. Schon 1934 schrieb sie, dass die Hebamme „mit heißem Herzen die Notwendigkeit aller bevölkerungspolitisch Maßnahmen anerkennt, die Notwendigkeit zahlenmäßig und wertmäßig genügenden Nachwuchses, die Ausmerzung minderwertiger oder verbrecherischer Erbmasse”. Das Zitat zeigt, dass die Hebammen frühzeitig Bestandteil des Erbgesundheitswahns der Nazis wurden.
Gab es denn besondere Anweisungen für Hebammen bei der Betreuung jüdischer Frauen?
Das ist mir nicht bekannt. Aber es wurden spätestens ab 1939 keine Hebammen jüdischen Glaubens mehr zugelassen. Wir wissen, dass schwangeren Frauen im KZ Ravensbrück längst nicht die Geburtshilfe gewährt wurde, die nötig gewesen wäre. Auch dafür hätte sich Nanna Conti als oberste Hebammenfunktionärin einsetzen müssen.
Es gibt Hinweise, dass Hebammen aktiv an der Schoah beteiligt waren; das lässt sich aber bisher schwer eindeutig belegen. Sie waren auf jeden Fall als Melderinnen in die Kindereuthanasie eingebunden, der Tausende Kinder zum Opfer fielen. Für Conti hatte Priorität, dass die Hebammen das „Kostbarste” ausschließlich des deutschen Volkes hegen und pflegen – zahlreiche gesunde „rassereine” Kinder. Deshalb wurden sie besonders gefördert.
Inwiefern?
Die Hebammen waren beispielsweise die einzige nicht akademische Berufsgruppe, für die in der „Führerschule der Deutschen Ärzteschaft” in Alt Rehse Schulungen organisiert wurden. Am ersten Kurs 1935 nahmen knapp 100 Hebammen teil. Es folgten weitere Kurse, an denen Nanna Conti auch als Vortragende teilnahm.
Sie schreiben, dass sie von Teilnehmerinnen als „Storchenmama” verehrt wurde.
Solche Aussagen haben sicher zum Mythos um Nanna Conti beigetragen. Zugleich hat sie schon 1935 klar gemacht, dass die Kurse in Alt Rehse dazu beitragen sollen, „aus jeder Hebamme Deutschlands eine glühende Vorkämpferin für das Dritte Reich zu machen”. Für mich war Nanna Conti eine Rassistin.
Wie können Sie das belegen?
Sie hat nicht nur gegen Jüdinnen und Juden gehetzt, sondern auch gegen Afroamerikaner. In einem Artikel zur „Fortpflanzung der schwarzen Rasse” schreibt sie 1935: „Die Neger Nordamerikas bilden heute bekanntlich mit ihrer starken Fortpflanzung eine Gefahr für die weiße Rasse und die Kultur der Vereinigten Staaten.” Nachdem die USA 1941 in den Krieg gegen Deutschland eingetreten ist, hat sich Contis Ton gegen Schwarze noch einmal verschärft.
Wie schätzen Sie Nanna Contis Wirken als Präsidentin und später Generalsekretärin des Weltverbandes der Hebammen ein?
Es wäre ihre Aufgabe gewesen, sich in diesen Funktionen für verfolgte Hebammen in den von den Deutschen besetzten Ländern einzusetzen. Sie hat die Frauen aber im Stich gelassen. So habe ich auch über drei jüdische Hebammen aus Wien geschrieben, denen nach der Besetzung Österreichs die Niederlassungserlaubnis entzogen wurde. Alle drei wurden in den Konzentrationslagern ermordet.
Wurde Nanna Conti nach dem Krieg belangt?
Nein. Sie hat sich bis zu ihrem Tod 1951 nie vom Nationalsozialismus distanziert. Im Gegenteil, sie hat sich und ihren Sohn Leonardo eher noch als Opfer dargestellt.
Anja Katharina Peters: Nanna Conti (1881-1951). Eine Biografie der Reichshebammenführerin. LIT Verlag, 437 Seiten, 44,90 Euro.