Gerichtsbericht

Die lebenslange Strafe für einen Zigarettenschmuggler

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Der größte Fang seit langer Zeit, frohlocken die Fahnder vom Zoll. Tränen vergießt dagegen ein polnischer Lkw-Fahrer, der jetzt in Neubrandenburg verurteilt wurde.
Veröffentlicht:02.10.2021, 09:37
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  • Author ImageThomas Beigang
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Dem kleinen korpulenten Kerl kommen die Tränen. Zum ersten Mal an diesem Tag, aber längst nicht zum letzten Mal. Als er fußgefesselt aus dem Aufzug im Neubrandenburger Justizzentrum trippelt, läuft ihm seine zweijährige Tochter entgegen. Die hat ihren Vater über einen Monat nicht sehen und drücken dürfen, denn der 33-jährige Pole sitzt seit Mitte August in Untersuchungshaft im Neustrelitzer Gefängnis.

Für den Zigaretten-Schmuggel drohen bis zu zehn Jahre Haft

Auf den Angeklagten wartet nicht nur die jüngste Tochter im Amtsgericht der Vier-Tore-Stadt, sondern auch die Richterin Tanja Krüske und deren beiden Schöffen. Staatsanwalt Klaus Oerters wirft ihm Steuerhinterziehung in erheblichem Umfang vor. Längst kein Kavaliersdelikt mehr, möglich sind immerhin Freiheitsstrafen, die bis zehn Jahre dauern können.

Zöllner und Bundespolizisten haben den polnischen Familienvater am 14. August am deutsch-polnischen Grenzübergang in Pomellen bei dem Versuch erwischt, mit 5,5 Millionen unversteuerten Zigaretten nach Deutschland einzureisen. Eine Routinekontrolle, heißt es lapidar. Ein wenig aber, so ist zu vermuten, muss es auch dem richtigen Riecher der Zollbeamten zu verdanken sein, gerade diesen Lkw mit Sattelauflieger aus dem Verkehr zu ziehen und genau unter die Lupe zu nehmen.

Fast eine Million Euro Steuern für Zigaretten fällig

Das hat sich gelohnt aus Sicht des deutschen Fiskus. Denn weil den Zigaretten die deutsche Steuerbanderole fehlte, wären bei der riesigen Fuhre genau 987.610,24 Euro Abgaben futsch gewesen. Fein säuberlich waren die „Sargnägel“ hinter Tarnladungen aus Styropor auf 23 Paletten verteilt. Wie um Himmels willen zählt man denn fünfeinhalb Millionen Zigaretten, will der Staatsanwalt wissen, als ein Zollbeamter aus Pomellen dem Gericht das Geschehen vom 14. August beschreibt. Eine Palette sei gezählt worden, sagt der Zeuge und weil die anderen Paletten genau so vollgepackt waren, habe man das Ergebnis dann mit 23 multipliziert.

Mit Abstand der größte Aufgriff der jüngeren Vergangenheit, heißt im zuständigen Hauptzollamt Stralsund, als der Nordkurier dort nachfragt. Im Jahr 2019 haben die Zöllner insgesamt den Schmuggel von 684.000 Zigaretten verhindert und im vergangenen Jahr, als wegen der Corona-Pandemie lange Zeit die deutsch-polnische Grenze nur sehr eingeschränkt durchlässig war, sind es nur illegale 47.000 Zigaretten gewesen. Kein Vergleich zu früheren Zeiten, als noch in den 1990er Jahren regelmäßig und fast täglich an der Grenze Schmuggler auf frischer Tat und mit viel Gepäck erwischt worden sind.

Schulden trieben Fahrer zu der illegalen Tour

Der Fahrer des aktuellen Millionen-Deals gesteht vor dem Gericht alles und redet nicht drumherum. Dem Geständnis ging ein Handel voraus, den das Gericht mit der Staatsanwaltschaft und der Verteidigerin Kamila Matthies abgeschlossen hatte. Für den Fall, dass der Angeklagte die ganze Geschichte nicht leugnet, wurde ihm eine Freiheitsstrafe angeboten, die auf keinen Fall länger als dereieinhalb Jahre dauern soll. Die Chance ergreift er beim Schopf. 5000 Zloty, sagt er, sollte er bekommen, wenn er die tabakhaltige Fuhre sicher und schnell bis nach Dänemark kutschiert. Mickrige 1100 Euro. Und weil er als Kraftfahrer sonst nur 4500 Zloty im Monat verdient und noch Schulden aus einer gescheiterten Selbstständigkeit begleichen muss, hat er zugegriffen. Und bereut jetzt alles tief, sagt er. Die kleine Tochter fehle ihm und die beiden anderen Kinder und deren Mutter, die jetzt mit allem allein zurechtkommen muss für lange Zeit. Wieder muss sich der 33-Jährige die Augen auswischen.

Der Mann ist nur das letzte Glied in einer Kette, sagt auch Staatsanwalt Orters, aber der mit dem allerhöchsten Risiko. Mit jeder Erhöhung der einheimischen Tabaksteuer wächst die Nachfrage, offene Grenzen erleichtern die illegale Einfuhr. Organisierte Banden schmuggeln stetig mehr Tabak ins Land – mit immer raffinierteren Tricks, wie Zollkontrolleure berichten und teilweise in aberwitzigen Größenordnungen. Erst vor wenigen Tagen zogen Ermittler des Zollfahndungsamts Frankfurt am Main zwölf Millionen unversteuerte Zigaretten bei der Durchsuchung eines Gewerbebetriebs aus dem Verkehr.

Schmuggel-Zigaretten ursprünglich nicht für deutschen Markt bestimmt

Die Sicherstellung von insgesamt 1200 sogenannten Mastercases mit je 50 Stangen à 200 illegalen Zigaretten erfolgte in einer Lagerhalle südlich von Wetzlar durch die Frankfurter Zollfahnder. Die Tabakwaren waren nicht mit den vorgeschriebenen Steuerzeichen versehen, sondern als einfuhrabgabenfreie Duty-free-Ware deklariert. Aufgrund der Aufmachung der Zigaretten ist davon auszugehen, dass diese ursprünglich nicht für den deutschen Markt bestimmt waren. Allein der Steuerschaden für die zwölf Millionen Zigaretten beträgt rund 2,1 Millionen Euro. Nach den Hintermännern werde jetzt gefahndet, heißt es.

Über die Hintermänner und Auftraggeber des gescheiterten Schmuggels in Pomellen erfahren Gericht und Staatsanwalt nichts – und dringen auch nicht in den schon am Boden zerstörten angeklagten Polen. Wenn der Ross und Reiter beim Namen nennen würde, so heißt es hinterher, bekäme das dem Familienvater sicher nicht gut. Der will doch und soll auch, sagt Staatsanwalt Oerters, nach der Haftzeit mit heiler Haut bei seiner Familie ankommen.

Bis zum Haftantritt noch ein wenig Zeit mit der Familie

Zwei Jahre und drei Monate soll der Mann hinter Gitter, so das Urteil von Richterin Krüske und ihren beiden Schöffen. Bewährung komme nicht in Frage, die Strafe soll schließlich abschreckend wirken. Und, das Gesetz verpflichtet dazu, der Mann muss die 987.610 Euro und 24 Cent zahlen, so hoch wäre der Steuerschaden. Mit anderen Worten, der 33-Jährige zahlt bis an sein Lebensende. Ein klitzekleines Trostpflaster hält das Gericht aber bereit: Der Haftbefehl gegen ihn wurde aufgehoben, bis zur Ladung, seine Strafe anzutreten, darf er mit der Familie in die Heimat. Bedenken, der Verurteilte verschwindet auf Nimmerwiedersehen in der polnischen Heimat, hegen Gericht und Staatsanwalt nicht. Wo soll er hin, heißt es, bei drei Kindern wäre die Fluchtgefahr nur eine geringe. Und ein internationaler Haftbefehl sei schließlich auch im Nachbarland vollstreckbar.