Neues Buch

Doppelmord – Ex-Polizist von der Seenplatte ermittelt weiter

Godendorf / Lesedauer: 4 min

Auch als Pensionär hat Siegfried Stang die Nase nicht voll von Verbrechen. Nun hat er ein Buch über einen Doppelmord geschrieben. Er glaubt, der Wahrheit auf der Spur zu sein.
Veröffentlicht:04.10.2022, 05:57
Aktualisiert:04.10.2022, 06:00

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Den Ruheständler bringt der Fall aus der Ruhe. Siegfried Stang springt vom Kaffeetisch auf und stellt nach, wie die Tat seiner Überzeugung nach abgelaufen ist. Damals, 1985 in Boonsboro im US-Staat Virginia. Zunächst sei die Frau des Hauses umgebracht worden, dann der Ehemann, beide starben durch tiefe Schnitte und Stiche und verbluteten.

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Verurteilter Täter ist wieder frei

Stang war nie am Tatort, noch nie in Boonsboro. Aber der Fall hat ihn nicht losgelassen. Spätestens als der 1990 in den USA wegen Doppelmordes zu zweimal lebenslänglich verurteilte Deutsche Jens Söring vor drei Jahren freigelassen und nach Deutschland abgeschoben wurde, war das Interesse geweckt. „Der wurde doch empfangen wie ein Staatsgast“, schüttelt Stang den Kopf.

Für ihn, den ehemaligen Leiter der Polizeiinspektion in Neubrandenburg, ist die Sache klar. Söring, der seit dreieinhalb Jahrzehnten seine Unschuld beteuert, sei schuldig. Schuldig des Mordes an den Eltern seiner Freundin. Söring, Sohn deutscher Diplomaten, studierte Mitte der 1980-er Jahre in den USA und lernte dort Elisabeth Haysom kennen – deren Eltern auf so grausame Weise sterben mussten.

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Der Fall, der Mann und die hartnäckige Beteuerung seiner Unschuld haben Stang fasziniert. Der Pensionär, der schon einige Erzählungen und kleine Romane veröffentlicht hatte, fasste sich ein Herz und den Entschluss, dieses Mal ein Sachbuch über ein wahres Verbrechen zu schreiben. „Gestört hat mich schnell“, so der Autor, „dass fast alle in der Öffentlichkeit, die Variante des Jens Söring als ein Justizopfer übernommen hatten“.

Keine Waffe, keine Fingerabdrücke

Schon nach den ersten Studien stand für den Kriminaldirektor a. D. fest, dass hier niemand unschuldig in einem Hochsicherheitstrakt gesessen hat. Seine Flucht aus den USA und das sogenannte Nachtat-Verhalten sprächen gegen ihn, hat sich Stang festgelegt. Und als er das Buch des Jens Söring, der sich heute sein Geld als Autor und Trainer für Menschen in Lebenskrisen verdient, gelesen hatte, wurden die Zweifel noch größer. Dabei hatte Söring sein Buch „Nicht schuldig“ genannt.

Nachdem eine Nachbarin der Haysoms das tote Ehepaar am 3. April 1985 in dessen Haus entdeckt hatte, setzten umgehend Ermittlungen durch die US-Behörden ein. Die Ermittler fanden weder eine Tatwaffe noch Fingerabdrücke. Zeugen für das Verbrechen gab es keine.

Die Ermittler befragten alle Familienmitglieder. Elizabeth Haysoms Verhalten während ihrer Befragungen fanden die Ermittler merkwürdig. „Die Beamten, die das Pärchen in Washington befragten, stellten fest, dass der Kilometerstand von Haysoms und Sörings Mietwagen deutlich höher war, als er hätte sein müssen. Die Differenz betrug ungefähr 600 Kilometer, etwa die Entfernung von Washington bis zum Tatort“, so Stang. 1986 gestand der damals 19-jährige Söring, auf der Flucht in London wegen Scheckbetrugs gefasst, seine Schuld: Er habe das Ehepaar brutal umgebracht. Später im Prozess, der erst 1990 stattfand, widerrief er das Geständnis.

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Ein überraschendes Treffen mit dem Verurteilten

Der Ex-Polizist Stang hat an seinen amerikanischen Ermittler-Kollegen, den zuständigen Sheriff, geschrieben und um Unterstützung gebeten, etwa Kopien der Original-Akten. Vergebens, das Ansinnen des deutschen Kollegen war den Amerikanern nicht einmal eine Antwort wert. Die gleiche Pleite erlebte der Autor, als er beim Gericht in Bedford anfragte. Hilfe erhielt der Ruheständler dort, wo er sie am allerwenigsten erwartete: Von Söring selbst.

„Ich hatte ihn per E-Mail angeschrieben, die Adresse fand ich auf seiner Internetseite. Er antwortete sogar, und als ich ihn später um ein Treffen bat, sagte er zu“. Vor elf Monaten traf sich Stang mit dem heute 56-Jährigen Söring in dessen Wahlheimat Hamburg. „Wir redeten sieben Stunden lang“, erzählt der Kriminaldirektor, „und er wirkte freundlich, offen und nicht unsympathisch.“

Söring erklärte während des Treffens seine Variante der Tat, die wahre Täterin sei seine ehemalige Verlobte, die erst ihre Mutter und dann den Vater tötete. Nur ein einziges Mal habe Söring die Fassung verloren, erinnert sich Stang: „Als ich ihn auf seine Flucht aus den USA ansprach, die eigentlich ein Paradoxon ist. Da wurde er kurz wütend“. Dennoch, obwohl Stang nicht damit rechnete, hielt Söring sein Versprechen und schickte ihm mehr Unterlagen, als Stang zu träumen wagte.

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