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Gerichtsbericht

Dreieinhalb Jahre Knast für 18-Jährigen - was hat der bloß angestellt?

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Der Jugendliche ist der Justiz lange bekannt, sitzt seit Monaten hinter Gittern und bekommt jetzt noch Jahre zusätzlich aufgebrummt. Welche Chancen hat so einer?
Veröffentlicht:25.11.2022, 16:20

Von:
  • Thomas Beigang
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Der junge Mann auf dem Stuhl neben Rechtsanwalt Wolfgang Bartsch in Saal 8 des Neubrandenburger Amtsgerichts windet sich. Gerade erklärt ihm der Richter das eben beschlossene Urteil. Immerhin, drei Jahre und sechs Monate soll der Angeklagte hinter Gittern verbringen, eine lange Zeit für einen 18-Jährigen, das will juristisch gut erklärt sein.

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Der frisch Verurteilte platzt aber fast vor Ungeduld: Ob der Richter sich nicht kürzer fassen könnte? Wenige Minuten zuvor, als das Gericht noch über sein Urteil beriet, sorgte sich der Jung-Erwachsene aus der Justizvollzugsanstalt in Neustrelitz um sein Mittag. Hoffentlich werde ihm das heute aufgehoben, meint er. Denn es gebe, leckt er sich die Lippen, leckere Nudeln und nicht die ewigen Gefängniskartoffeln.

Zum Schluss auch noch mit Polizisten geprügelt

Hier geht es um einige unfreie Jahre und der sorgt sich um Nudeln in Tomatensoße. Besser könnte die Unreife des Angeklagten nicht beschrieben sein. Dabei war das, was Staatsanwalt Toralf Günther ihm vorwirft, eine reife Anklage: schwerer Raub, Körperverletzung und Widerstand gegen Polizisten. In Prenzlau soll er einen völlig Fremden zusammengeschlagen und dessen Rucksack mitgenommen haben, in Neubrandenburg, so die Anklage, suchte er mit Gleichgesinnten einen jungen Mann in dessen Wohnung heim, versetzte diesem einen Fausthieb und fixierte ihn, während die anderen eine Playstation, das Handy und einige Ringe mitgehen ließen.

Der Grund: Der Geschlagene soll einer jungen Frau noch Geld geschuldet haben. Die angebliche Gläubigerin war früher mal die Freundin des Überfallenen und damals bei dem ungeladenen Besuch die Herz-Dame des jungen Mannes mit den lockeren Fäusten. Den Polizisten, die ihn aufs Revier holen wollten, lieferte er eine handfeste Auseinandersetzung, vier Beamte waren nötig, den Widerstand zu brechen. Und weil alles in einer aktuellen Bewährungszeit über die Bühne ging, zog der junge Mann gleich in die Zelle ein. Und kann sich jetzt dort richtig einrichten.

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An zwei Tagen musste er sich jetzt vor Gericht für die drei Taten verantworten, Tage, die unterschiedlicher nicht hätten ausfallen können. An Tag eins bestritt der 18-Jährige vehement, irgendetwas mit den Räubereien und Schlägereien zu tun zu haben. Das, warf er sich voller Überzeugung in die Brust, seien andere gewesen, er nicht. Und deshalb, das gibt er zu, auch die Prügelei mit den Polizisten. Er habe nicht nicht unschuldig abgeführt werden wollen.

An Tag zwei die Drehung um 180 Grad, zur Überraschung selbst seines Verteidigers: Ja, doch, er war das, in Prenzlau und in der Neubrandenburger Wohnung. Warum, weiß er selber nicht mehr, alles dumm eben. Das Geständnis, so heißt es später vom Gericht, habe dem jungen Mann ein Jahr Gefängnis erspart, statt viereinhalb nunmehr dreieinhalb Jahre, Ehrlichkeit soll sich lohnen.

Kein richtiges Zuhause und keinen Halt im Leben

Eine Biografie wie die des jungen Angeklagten könnte Platz finden in jedem Lehrbuch für angehende Sozialarbeiter. Dem Jungen, der anderen schon weh getan hat, wurde selbst weh getan. Als er ein halbes Jahr alt war, trennten sich seine Eltern, das Jugendamt nahm der überforderten Mutter das Kind weg und gab es in eine Pflegefamilie. Jahre später kehrte er zur Mutter zurück, bis die wieder um Hilfe rief.

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Der Junge kam nacheinander zum Kinder- und Jugendnotdienst in Neubrandenburg, in betreute Wohngruppen und dann erneut in eine Pflegefamilie, die irgendwann die Polizei alarmierte. Aus späteren Unterbringungen wurde er wegen fehlender Mitarbeit rausgeworfen. Wieder lebte kurze Zeit bei der Mutter, dann in einem Heim in Sachsen-Anhalt. Eine Einrichtung in Stralsund weigerte sich, ihn aufzunehmen, er landete wieder beim Kinder- und Jugendnotdienst, wo er pünktlich zu seinem 18. Geburtstag vor die Tür gesetzt wurde.

ADHS, das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom, wurde schon in früher Kindheit diagnostiziert. Alkohol trinkt der heimatlose junge Mann seit er 13 ist, illegale Drogen kamen später auch dazu. Schon mit acht Jahren zog er das erste Mal stationär in eine Kinderpsychiatrie ein, ein Gutachter musste seelische Störungen und starke Defizite im Sozialverhalten feststellen.

Völlig erfolglos saß er in der Schule, an eine Ausbildung war überhaupt nicht zu denken und zu schlechter Letzt attestierte ihm ein Psychologe einen Intelligenzquotienten von 80, also unterdurchschnittlich. Der Junge hatte ursprünglich ja auch behauptet, bei dem Raub in Prenzlau einen Schlagring benutzt zu haben, völliger Quatsch. Und seinem langsam verzweifelnden Anwalt erklärt, Mitglied der „Bandidos“ zu sein, für die er die Drecksarbeit erledige.

Vielleicht klappt’s jetzt hinter Gittern mit einem Schulabschluss und dem Start in eine Ausbildung. Und mit Nudeln, der Alternative zu den langweiligen Kartoffeln.