Toter Joel (6)
Getöteter Joel – Polizei äußert sich zu möglichem Täter
Pragsdorf / Lesedauer: 4 min

Thomas Beigang
Pragsdorf, das kleine Dorf zehn Kilometer östlich von Neubrandenburg, hat schreckliche Tage hinter sich. Und möglicherweise noch schreckliche vor sich. „Was denn“, fragt eine Spaziergängerin, die ihren Hund auf dem Weg am Haussee Gassi führt, „wenn sich herausstellt, dass der Täter hier unter uns im Dorf lebt?“.
Über die Hälfte der Bewohner befragt
Unmöglich ist das nicht mehr. „Wir ermitteln weiter in alle Richtungen, halten es aber für wahrscheinlich, dass es jemand mit regionalem Bezug war“, sagte eine Polizeisprecherin am Donnerstag in Neubrandenburg.
Seit Mittwoch versuchen Beamte, alle Bewohner des 580-Seelen-Dorfes zu den Vorgängen in der Tatzeit des Gewaltverbrechens vom 14. September zu befragen. Mehr als die Hälfte der Bewohner hätten sich bereits geäußert, manche auch am Donnerstag per Telefon. Ergebnisse der Befragungen wurden bisher nicht mitgeteilt, es hieß nur: Es gebe neue Ermittlungsansätze.
Große Hoffnungen setzen Ermittler zudem auf die kriminaltechnischen Untersuchungen der Spuren, die an der Kleidung des getöteten Jungen und an einem Messer gefunden wurden. „Am Dienstag sollen die ersten Ergebnisse der Kriminaltechnik bei uns ankommen“, hieß es weiter.

Der Junge war am Nachmittag des 14. September zum Spielen zu dem Gelände an einem Badesee gegangen, aber nicht wie vereinbart nach Hause gekommen. Die Eltern meldeten ihn als vermisst. Eine Stunde später wurde das Kind mit schwersten Stichverletzungen in einer Hecke am Bolzplatz des Dorfes unweit des Sees gefunden. Trotz sofortiger Versuche, ihn wiederzubeleben, starb der Junge. Die Obduktion ergab, dass er erstochen wurde ‐ mit einer bisher unbekannten Waffe.
Auch Blumen und Kerzen vor Haustür der Eltern
Am Fundort des kleinen Jungen haben Pragsdorfer eine kleine Gedenkstätte eingerichtet ‐ mit Kuscheltieren, einem Bild des Sechsjährigen und einem selbstgebastelten Kreuz. Mitglieder der Feuerwehr, so heißt es, haben das Gestrüpp herausgerissen, auf den letzten Metern ist Sand aufgeschüttet worden, eingerahmt von sauberen Steinen.
Nur wenige Meter entfernt ein Fußballtor, der kleine Bolzplatz liegt verlassen da. Eine nahe gelegene Bank, auf der ebenfalls mit Teddybären und Fotos des kleinen Joels gedacht wird, soll jetzt beräumt werden. An der Haustür des Wohnblocks, in dem die trauernde Familie des Jungen lebt, steht sein Fahrrad angelehnt, Blumen und Kerzen auch hier. Fotografiert werden soll das aber lieber nicht, lautet eine Bitte der Angehörigen.

Für die ist Pfarrer Heye Osterwald jederzeit ansprechbar. Der Seelsorger hatte schon einen Tag nach dem Tod des Kindes zu einem Gedenkgottesdienst geladen. Etwa 200 Menschen kamen in die Kirche, um den betroffenen Eltern ihre Anteilnahme zu zeigen. Das Gotteshaus war ‐ im Beisein der Eltern des getöteten Jungen ‐ bis auf den letzten Platz gefüllt.
„Wer den Wunsch nach Trost verspürt, kann sich zu jeder Zeit bei mir melden“, sagt der Mann der Kirche. Ob das helfen kann, da zeigt sich der Pfarrer unentschieden. „Trost kann sich im Laufe eines Gesprächs ergeben oder nicht.“ Dies, so der Seelsorger, habe er nicht in der Hand.
Im Dorf gibt es viele Gerüchte
Die 60-jährige Simone Z. (richtiger Name der Redaktion bekannt) weiß von vielen Gerüchten, die durchs Dorf wabern. „Daran mag ich mich nicht beteiligen“, sagt sie konsequent, sie sei zu weit entfernt von dem grausigen Geschehen. Ihre Enkelin spiele sowieso fast nur ausschließlich auf dem heimischen Hof. Aber was man so hört, schüttelt sie den Kopf.
Am Bäckerauto ‐ zweimal in der Woche werden die Pragsdorfer mit frischem Backwerk versorgt ‐ und am Fleischerauto gebe es ohnehin nur ein Thema. Und auch auf ihrer Arbeit in der Stadt, wo alle wissen, wo sie zu Hause ist, werde sie immer wieder darauf angesprochen. „Der muss endlich gefunden werden, der dafür verantwortlich ist“, verlangt die Pragsdorferin und setzt auf die Polizei.