Unvergesslicher Sommer

Erdloch als Kühlschrank und Typhus – Erinnerungen an ein DDR-Feriencamp

Groß Nemerow / Lesedauer: 5 min

Wolfgang Viebach betreute vor 60 Jahren Kinder in einem Camp bei Neubrandenburg. Sein Fotoalbum weckt bei ihm schöne Erinnerungen - trotz des Zwischenfalls.
Veröffentlicht:15.09.2023, 18:05

Von:
  • Jörg Franze
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Der 2023er–Sommer hat in puncto Wetter und Sonne in Neubrandenburg und Umgebung sicher nicht alle Wünsche erfüllt. Vor 60 Jahren war das ganz anders, weiß Wolfgang Viebach noch sehr genau. Der heute in Schwedt lebende Rentner, 1944 in Wulkenzin geboren, hat sein Fotoalbum aufgeklappt und darin sehr schöne Erinnerungen gefunden, die er mit den Nordkurier–Lesern gern teilen möchte.

In seinem Urlaub betreute er die großen Jungs

Auch wenn Chris Doerk und Frank Schöbel erst einige Jahre später den „heißen Sommer“ besangen und im gleichnamigen Defa–Filmmusical spielten, das Jahr 1963 hätte auch Pate stehen können für den Titel des Filmes. Wolfgang Viebach war damals 19 Jahre alt und erlebte nach eigenem Bekunden vier heiße, aber auch wunderschöne Wochen im Ferienlager des HO–Kaufhauses Neubrandenburg, das wenig später zum Centrum Warenhaus werden sollte. Als Betreuer für die großen Jungs der Gruppe 6 war er in Groß Nemerow, genauer in Bornmühle, wie er sich erinnert.

„Uns kam es vor wie 40 Grad Celsius, obwohl die Temperaturen wahrscheinlich höchstens etwas über 30 Grad lagen“, erzählt er schmunzelnd am Telefon zu einigen Bildern und Album–Seiten, die er seit vielen Jahren aufbewahrt. Sein Vater sei Buchhalter im HO–Warenhaus gewesen, die Mutter habe den Zoologie–Laden gegenüber geführt. Nachdem er selbst als Steppke in diesem Betriebsferienlager untergebracht gewesen sei, habe er in jenem Jahr 1963 als junger Mann dann gern als Betreuer dort gearbeitet.

„Ich habe sogar meinen Urlaub genommen, um das machen zu können“, denkt er zurück. Denn als 19–Jähriger war er längst im Berufsleben angekommen, hatte in Dresden eine Lehre als Bauzeichner absolviert und dort auch gearbeitet. „Aber ich wollte etwas zurückgeben, weil es mir als Kind dort in Groß Nemerow so gut gefallen hat.“ Dem Kaderleiter seine Betriebe hingegen habe es gar nicht gepasst, dass sein junger Kollege dort im Urlaub gearbeitet habe, erinnert sich Viebach zurück. „Ich musste mich dafür rechtfertigen.“

Nach wenigen Tagen gab es einen Typhus-Fall

Schnee von gestern. Denn er habe tolle Wochen in Bornmühle erlebt, trotz besonderer Widrigkeiten. Nach wenigen Tagen hatte das Lager nämlich einen Typhus–Fall, so Viebach. „Wir mussten alle für die Ferienlager–Wochen in Quarantäne.“ Das bedeutete nach seinen Erinnerungen unter anderem, dass Baumaterial für einen Steg ins Wasser geliefert wurde, den die Gruppen sich selbst bauten.

„Die öffentliche Badestelle in Nonnenhof konnten wir deswegen nicht mehr nutzen.“ Niemand habe mehr das Lager verlassen dürfen und alle paar Tage hätten die Kinder und Betreuer Proben abgeben müssen. „Gegen die Langeweile haben wir sogar von unserem Betrieb einen Fernseher bekommen, der dann im großen Esszelt aufgestellt wurde.“

Es gab noch eine Stunde Mittagsruhe für alle“

Wolfgang Viebach

Aber Unzufriedenheit oder Ärger sei nie aufgekommen. Und alle seien auch mit einfachen Verhältnissen glücklich gewesen. „Meine Gruppe hatte damals ein Zelt und alle haben auf Luftmatratzen geschlafen. Die Betreuer waren immer bei ihrer Gruppe untergebracht“, erinnert sich der 79–Jährige zurück. Andere Gruppen seien in Holzhütten untergebracht gewesen, immer neun Kinder in je drei Dreistock–Betten. „Es gab noch eine Stunde Mittagsruhe für alle“, weiß Viebach.

Grube im Boden als Kühlschrank

Als Kühlschrank musste damals eine Grube im Boden herhalten, in der Butter, Fleisch und Wurst auf Temperatur gehalten wurden. „Das war tatsächlich kühl. Die Grube war ja unter einigen kleinen Kiefern, da hat der Boden gut Feuchtigkeit gespeichert“, denkt der Senior zurück. „Wir hatten unsere eigene Küche und immer einwandfreies Essen“, betont er weiter. Da er aber unter anderem regelmäßig berghoch und -runter flitzen musste, um das Wasser für das Lager anzustellen, sei er ohne Probleme schlank und fit geblieben.

Meine Tochter Sylva meinte, es wäre doch schade, wenn alles in Vergessenheit gerät."

Wolfgang Viebach

„Eine schöne Zeit“, beschließt Wolfgang Viebach seine Erinnerung. Im Jahr danach sei er noch mal als Betreuer mitgefahren, dann allerdings ins Ferienlager nach Ulrichshorst auf der Insel Usedom. „Da sind wir dann immer nach Ahlbeck an den Strand zum Baden und Essen gelaufen“, erwähnt er kurz. Kontakt zu anderen Betreuern und Kindern aus den Jahren hat er nach eigenem Bekunden nicht mehr, allerdings trifft er sich noch regelmäßig mit Mitschülern aus der Zentralschule Wulkenzin, die er bis 1958 besuchte. Auch in diesem Jahr habe es wieder eine Zusammenkunft in Neubrandenburg gegeben, mit einer Fahrt auf der Mudder Schulten und Essen im Badehaus am Tollensesee.

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Die Ferienlager–Erinnerungen rauszukramen und an den Nordkurier zu schicken, sei übrigens nicht seine Idee gewesen, gibt Wolfgang Viebach zu. „Meine Tochter Sylva meinte, es wäre doch schade, wenn alles in Vergessenheit gerät. Also hat sie die Initiative ergriffen.“ Und die Seiten aus dem Fotoalbum hat er dann mit Erinnerungen angereichert. Vielleicht erinnern sich ja noch andere Leser an diesen Sommer vor 60 Jahren?