Gewalt
Frau flieht vor brutalem Ehemann und lässt Kinder zurück
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Thomas Beigang
Die 37-jährige Frau sitzt mit roten Augen im Gericht, als Richterin Tanja Krüske sie über die Pflichten einer Zeugin belehrt. Sie dürfe nur das erzählen, woran sie sich genau erinnere und müsse bei der Wahrheit bleiben. Allerdings, weil sie noch mit dem Angeklagten verheiratet sei, müsse sie hier nicht aussagen. Ehepartner brauchen sich nicht gegenseitig zu belasten, das Gesetz schützt sie davor. Die junge Frau schüttelt den Kopf. Sie will reden, endlich.
Sogar während der Schwangerschaft gab es Gewalt
Die Staatsanwaltschaft klagt den 58 Jahre alten Noch–Ehemann an, die Frau im Juli des vergangenen Jahres geschlagen und verletzt zu haben. Eine „Backpfeife“, was für ein verharmlosendes Wort, hat ihr Trommelfell beschädigt, Hiebe gegen Arm und Brust sorgten für gehörige Prellungen, eine Ärztin hat das damals alles attestiert. Beileibe kein Ausrutscher, längst wohl kein Einzelfall.
Drangsaliert habe der wesentlich ältere Gatte sie schon seit der Hochzeit im Jahr 2009, erzählt die Zeugin, selbst als sie zum ersten Mal schwanger wurde, gab es keine Pause. Immer, wenn der wie aus dem Nichts wütend wurde, setzte es Hiebe, dazu die völlig irren Anschuldigungen. Sie würde heimlich Pornos drehen und sollte endlich die Namen ihrer Liebhaber aufschreiben. Und immer wieder Beleidigungen. Sie sei sowieso böse und überhaupt der letzte Dreck. Eine Tasse zerbrach schon an ihrem Kopf und selbst mit einem Billardstock setzte es Schläge.
Hilfe durch die Mutter nach jahrelanger Funkstille
Die alte Masche, sagt Beate Müller. Die Neubrandenburgerin hat jahrelang bei der Opferhilfe in der Kreisstadt gearbeitet und kennt Fälle wie diesen aus leidvoller Erfahrung mit anderen Frauen. „Solche Männer reden ihren Opfern so lange ein, dass sie nichts taugen, bis die das irgendwann sogar glauben“. Dazu die immerwährende Angst vor Gewalt und die Drohung, die Kinder im Falle einer Trennung nicht sehen zu können. Und die Furcht vor schlechtem Ruf im Umfeld, besonders wenn Täter und Opfer in einem kleinen Dorf leben — wie in dem aktuellen Fall. „Gewalttäter entwickeln perfide Techniken, die Frauen so unter ihre Kontrolle zu bringen, dass die um nichts in der Welt andere um Hilfe in der Not bitten oder gar alles bei der Polizei anzeigen.“
In einer Nacht im Juli des vergangenen Jahres, nach der „Backpfeife“ und den neuerlichen Hieben, war dann doch alles zu Ende. „Ich konnte nicht mehr“, weint die Zeugin in ihr Taschentuch. Sie suchte im Internet nach einem Kontakt zu ihrer Mutter — zwischen beiden herrschte zuvor jahrelange Funkstille — und als sich die Mutter endlich bei ihr meldete, bat sie um Hilfe in der Not. Die setzte sich mit ihrem Ehemann schnell ins Auto, die junge Frau traf sie konspirativ und Retter und Opfer fuhren davon. „Leider ohne die beiden Kinder“, erzählt die Mutter vor Gericht, die würden immer noch bei ihrem Vater auf dem Dorf leben.
Ihr Stiefvater heiratete sie
Wo genau die 37–Jährige heute wohnt, will die öffentlich nicht sagen, zu tief sitzt wohl noch die Furcht vor dem Noch–Ehemann. Ihre Mutter erklärt, den Mann der Tochter genau zu kennen und deshalb jedes Wort der Tochter zu glauben. Denn — in früheren Zeiten sei sie selbst zehn Jahre lang mit dem verheiratet gewesen. Der einstige Ehemann, der später zum Schwiegersohn wurde, hat nach der Trennung die Tochter geheiratet, die sie damals mit in die erste Ehe brachte. Was für ein Beziehungsgefüge.
Strafrechtlich geurteilt werden kann aber nur darüber, was angeklagt ist, die Körperverletzungen in jener Juli–Nacht. Die Staatsanwältin verlangt 3000 Euro, die der Angeklagte zahlen soll, dessen Vorstrafenregister bislang leer ist. Dem Verteidiger Manfred Kersten ist das zu hoch, 1200 Euro würden für den Ersttäter wohl auch reichen. Richterin Tanja Krüske bleibt in der Mitte, 2400 Euro Geldstrafe, lautet das Urteil. Allerdings, auch die erfahrene Juristin zeigt sich davon überzeugt, hier und heute nur über die Spitze des Eisbergs geurteilt zu haben.
Mutter und Tochter verlassen den Gerichtssaal so gemeinsam, wie sie gekommen sind. Den Angeklagten, den Ex–Ehemann und Noch–Ehemann, würdigt keine der beiden eines Blickes.