Studio am See

Für diesen DJ aus der Seenplatte ist Rave mehr als Rausch

Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

ASA 808 lässt Grenzen verschwinden – musikalisch wie persönlich. Der Mecklenburger legt beim Studio am See-Festival auf. Mit uns sprach er über Heimatgefühle, Elektro und Sexualität.
Veröffentlicht:14.09.2023, 17:07

Von:
  • Susanne Schulz
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„Studio am See“ führt dich aus Berlin mal wieder nach Hause in die Seenplatte, wo du unter deinem bürgerlichen Namen Ansgar in Neustrelitz aufgewachsen bist. Ist so ein Auftritt mit Heimatgefühlen verbunden?

Das spielt schon eine große Rolle. Ich fühle mich da verwurzelt, das bleibt ein wichtiger Bezugspunkt — auch wenn mich Ansgar nur noch meine Mutter nennt, alle anderen sagen Asa.

Deinen Künstlernamen hast du nach einem Drumcomputer gewählt. Manche denken bei ASA auch an ein früheres Maß für Filmempfindlichkeit.

(lacht) Passt auch, ich habe früher viel fotografiert. Aber vor allem war es dieser analoge Drumcomputer, der elektronische Musik und auch meine Produktionen sehr geprägt hat. Dabei gehe ich so heran, dass Macken — wie bei körnigen Fotografien — und Fehler zur Kunst gehören, weil sie Motor für die schönsten Ideen sein können. Einmal saß ich im Studio, und mein Hocker machte beim Drehen immer so ein Quietschgeräusch, dass ich genau diesen Ton mit dem Synthesizer nachbilden wollte. Elemente, die man noch nie gehört hat; Momente, auf die ich selbst nicht gekommen wäre: Solche Zufälle gibt es in der Kunst oft, wie in der Fotografie, wenn man unabsichtlich doppelt belichtet.

Was hat dich zu diesen Abenteuern elektronischer Musik geführt, nachdem deine musikalische Biografie ganz klassisch mit Klavier– und Gitarrenunterricht begann?

Ich habe früh gemerkt, welche Emotionen Musik bei mir auslöst. Meine älteren Geschwister spielten ebenfalls Instrumente. Mein Vater, der beim Zeitungsvertrieb arbeitete, brachte immer mal ein „Groove“-Magazin mit. Da war es eine Frage der Zeit, dass mich elektronische Musik packte, auch wenn ich mit Gitarrenmusik aufgewachsen bin. Ich war bei Festivals wie Immergut und der Fusion, auch beim ersten Studio Open Air in Neubrandenburg. Am Gymnasium habe ich beim Schülerradio mitgearbeitet und immer versucht, meinen Horizont zu erweitern. Spätestens als ich nach Berlin zog und mit Künstlern aus dem elektronischen Genre in Kontakt kam, war ich total in love und wollte solche Musik machen. 

Zog es dich gleich nach dem Abi fort in die Metropole und die Musikszene?

Ich habe erst mal in Neustrelitz Zivildienst geleistet, anschließend in Wien und Berlin Sozialarbeit und Soziokulturelle Studien, jeweils mit Schwerpunkt Migration studiert und bin dann, bis auf meine Masterarbeit im Ausland, die meiste Zeit in Berlin geblieben. Mit Musik habe ich mich die ganze Zeit befasst, wollte aber auch einen Job mit Sinn und habe in einer Fachstelle für traumatisierte Geflüchtete gearbeitet. Bis heute unterstützen wir regelmäßig verschiedene Hilfsprojekte mit musikalischen Aktionen.

Festival

Das gibt es beim Studio am See zu erleben

Beim Festival „Studio am See“ in Neubrandenburg (Yachthafen, Halle 8) ist ASA 808 am Wochenende in der „Elektronacht“ vom 15. zum 16. September dabei, ebenso wie Lars de Wilde, Pophop und Hundreds.

Am Sonnabend bietet das Festivalprogramm das Kinderkonzert „Pauken und Planeten“ sowie eine Konzertnacht mit Mink, Cäthe, Mia und dem Neubrandenburger DJ Poesieposer. Tickets gibt's hier.

ASA 808 gehört außerdem zu den Mitwirkenden der dreiteiligen Dokumentation „Exzess Berlin – Hauptstadt der Clubs“, die neu in der ARD-Mediathek abrufbar ist.

„Kunst ist immer politisch“, sagst du über dein Selbstverständnis als Musiker und DJ. Passt das zur Vorstellung von Rave als rauschhafte Party?

Auch wenn die Veranstaltungen so hedonistisch wirken, glaube ich, dass es auf mehr ankommt. Dass auf diesen Partys eine schöne Community entsteht, eine Gemeinschaft, die der Traum von einer besseren Gesellschaft verbindet, die Freude und Großzügigkeit zelebriert. 

Auch im Hinblick auf Lebensweise und Identität. Du selbst identifizierst dich als non–binary, also nicht einem „binären“, männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig. Wie wirkt sich das auf dein Leben aus?

Schon als Kind habe ich mich gern schön angezogen und geschminkt und nicht verstanden, warum das Mädchen vorbehalten sein sollte. Ich empfinde mich als gender–fluid. In meiner Familie wurde das gut aufgenommen. Aber natürlich war ich auch mit Queerfeindlichkeit konfrontiert, zum Beispiel wenn ich Freunde umarmte, ganz ohne romantische oder sexuelle Implikation. Sogar mein bester Freund sagte mal: Sei doch nicht so schwul! „Schwul“ war ein Schimpfwort, das überhaupt nicht hinterfragt wurde. Noch heute frage ich mich, warum ich das so hingenommen habe.

Heute aber wendest du dich auch mit deiner Musik, zum Beispiel den Queer–Partys deines Labels Toys, gegen patriarchale und toxische Männlichkeit. Wann sind solche maskulinen Rollenbilder toxisch?

Es gibt viele Aspekte an Männlichkeit, die mich abstoßen. Als ich mich als Kind zum ersten Mal prügeln musste, dachte ich: Wenn es das bedeutet, ein Junge zu sein, dann holt mich bitte hier raus! Mein Wunsch wäre, Männlichkeit zu befreien von Eigenschaften, von denen man uns weismacht, dass sie zum Mannsein gehören, von kompetitivem, gewaltvollem Dominanzverhalten. Ich will Männlichkeit nicht allgemein verteufeln und auf „allen Männern“ rumhacken, sondern klarmachen, dass alle Menschen — wenn auch unterschiedlich — unter toxischer Männlichkeit leiden. Und dass wir alle viel freier, solidarischer, einfühlsamer und liebevoller sein könnten, wenn wir sie gemeinsam verlernen. Frauen — weil sie nicht ständig belästigt oder paternalisiert würden. Aber auch viele Männer würden von mehr emotionalen Verbindungen profitieren und sich weniger einsam fühlen, wenn sie lernen, sich verletzlich zu zeigen.

Hast du den Eindruck, dass aktuelle Debatten um Geschlechterrollen und sexuelle Diversität mehr Menschen sensibilisieren?

Da hat sich schon was verändert, auch mit meinen Brüdern rede ich darüber. Umso wichtiger ist aber auch, dass es solche kulturellen Leuchttürme gibt wie Festivals, Queerstrelitz und den CSD, das Kunsthaus, das Theater und natürlich „Studio am See“ — was Leute da auf die Beine stellen, ist ein Geschenk für die Region!