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Gedenken

Joachim Gauck erinnert an Schreckens-Lager Fünfeichen

Neubrandenburg / Lesedauer: 3 min

Am Rande der Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag der Schließung der Gefangenenlager wurde protestiert. Dazu sorgten Neubrandenburger Schüler für einen Gänsehautmoment.
Veröffentlicht:23.09.2023, 13:53

Von:
  • Henning Stallmeyer
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Der schreckliche Krieg war schon gut drei Jahre vorbei. Nicht so für manche Soldaten, die in Kriegsgefangenenlager ausharren mussten. Zwar wurden nicht deutsche Soldaten im Jahr 1945 befreit, als die sowjetische Armee die Stadt Neubrandenburg und damit auch das deutsche Kriegsgefangenenlager befreite, jedoch nutzten die Sowjets das Lager für ihre eigene Zwecke, ein Internierungslager für Deutsche. Erst im Jahr 1948 wurde auch dieses Lager in Fünfeichen geschlossen.

Die erschreckende Bilanz: Rund jeder dritte Gefangene überlebte Fünfeichen nicht.

Schrecken zweier totalitärer Systeme

Anlässlich des 75. Jahrestag der Schließung der Lager in Fünfeichen gedachten am Sonnabend Hunderte Menschen an der Gedenkstätte. Als Ehrengast kam Joachim Gauck, der frühere Bundespräsident, der sich auch gleich ins goldene Buch der Stadt eintrug. Bei seiner Rede betonte er, dass sich an diesem Ort der Schrecken zweier totalitärer Systeme offenbarte.

Zusammen mit Neubrandenburgs Bürgermeister Silvio Witt, Kulturministerin Bettina Martin und Stadtpräsident Jan Kuhnert besichtigte Gauck die Anlage. (Foto: Henning Stallmeyer)

Die Anwesenheit des ehemaligen Bundespräsidenten gefiel nicht allen. Zwei Transparente vor dem Gelände der Gedenkstätte bezeichneten Joachim Gauck als „Kriegsprediger“. Gleich daneben hing eine Friedensfahne. Gauck lobte in Fünfeichen das Engagement der Bundeswehr im Osten Europas und stellte klar: „Die Zeiten, in denen deutsche Soldaten erobern, sind vorbei. Wir schützen unsere Freunde und Nachbarn“.

Offen über das Unsagbare diskutieren

Oberbürgermeister Silvio pflichtete in seiner Rede Joachim Gauck bei und sagte, dass Fünfeichen exemplarisch für Unrecht, Unmenschlichkeit, Brutalität, Leid und Willkür stand. „Es ist ein Segen, dass wir heute nicht nur frei und offen leben können, sondern auch offen über das Unsagbare diskutieren können, das bis 1948 an diesem Ort, hier in Fünfeichen passiert ist.“

Gedenktafeln erinnern an die Opfer des Lagers. (Foto: Henning Stallmeyer)

Dabei kritisierte er auch explizit die Rolle der DDR, die eine Gedenkarbeit lange verhinderte. „Menschen meiner Generation fragen sich oft, wie es nach Auflösung des Lagers dazu kommen konnte, dass Fünfeichen zu einem Schweigelager wurde. Warum die sich selbst als das bessere Deutschland titulierende DDR, Menschen eine Rehabilitation oder einfach ein Gespräch verweigert hat.“

Nostalgisches Bild der DDR

OB Witt kritisierte das oftmals nostalgische und verzerrte Bild der DDR in den Köpfen vieler Menschen. Auch in Bezug auf das verklärte Friedensbild der DDR nahm er Bezug und spielte damit wohl auch auf die parallel Friedensdemonstration auf dem Marktplatz an, die gegen 15 Uhr starten soll. Da hatte sich auch ein Redner angekündigt, der der Ukraine unter anderenfalls Recht auf Selbstverteidigung absprach. „Auch in unserer Stadt gab es ab 1953 einen Rüstungsbetrieb, der hermetisch abgeriegelt war und in dem Kriegsgerät repariert und in die Krisenherde dieser Welt gegen Devisen verschickt wurde.“ Witt warnte ausdrücklich auch vor aufkeimenden Rassismus und appellierte an die Menschlichkeit und Toleranz aller Menschen.

Schüler beim Verlesen von Erfahrungsberichten. (Foto: Henning Stallmeyer)

Für einen echten Gänsehaut-Moment sorgten Schülerinnen und Schüler des Neubrandenburger Albert-Einstein-Gymnasiums. Sie lasen Erfahrungsberichte von ehemaligen Gefangenen vor.

Neben Joachim Gauck nahmen auch vier Zeitzeugen teil, welche die Inhaftierung in Fünfeichen überlebten.

Am Rande der Veranstaltung wurde gegen die Anwesenheit Gaucks demonstriert. (Foto: Henning Stallmeyer)

Benefizkonzert in der Konzertkirche

Joachim Gauck setzte seinen Besuch in Neubrandenburg noch fort. Nach Fünfeichen schaute er im Stasi-Unterlagen-Archiv. Damit hat Gauck eine besondere Verbindung. 1990 wurde er Sonderbeauftragte der Bundesregierung für alle Stasi-Akten. Dieses Amt führte er zehn Jahre lang aus.

„Ich freue mich auf die Mitarbeitende und Menschen, die mich noch kennen und möchte Ihnen meinen Dank aussprechen“, sagte er bei der Ankunft. Gerade in Zeiten des Sparens sei es wichtig, dass an Stellen der Erinnerungsarbeit nicht gespart würde.