Kult–Hobby
Kleingarten–Vereine der Region kämpfen um ihre Zukunft
Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Thomas Beigang
Detlev Rauch unternimmt, wie an fast jedem Tag, einen Rundgang durch seinen Kleingartenverein in Neubrandenburgs Osten. Von „seinem“ Verein hier am Ufer des Flüsschens Linde zu reden, gilt unter den 165 anderen Pächtern der Anlage nicht als übertrieben. Der Neubrandenburger steht seit 45 Jahren dem Kleingartenverein „Lindetal“ vor.
Lange Wartelisten gehören der Vergangenheit an
Jeder, den der Vorsitzende an diesem Vormittag über den eigenen Gartenzaun zu Gesicht bekommt, grüßt freundlich. „Ich bin hier wohl“, so Rauch, „schon eine Respektsperson“. Der langjährige Vorsitzende kann sich noch gut an die alten Zeiten erinnern, als ihm die Leute die Bude einrannten, um einen Kleingarten pachten zu dürfen. „Die Wartelisten waren ellenlang“, erinnert er sich.
Lange ist das her. Heute treiben die meisten Kleingartenvereine im Nordosten andere Sorgen um: Leerstand und die Überalterung der meisten Pächter. „Die Lage ist katastrophal“, nimmt der Chef des Vorstands des Regionalverbandes der Gartenfreunde Uecker–Randow, Detlev Herrenkind, kein Blatt vor den Mund. Das hohe Durchschnittsalter vieler Mitglieder lasse nicht besonders optimistisch in die Zukunft blicken. Alarmierend zum Beispiel, so der „Obergärtner“ in Vorpommern, die Situation in Strasburg, wo überdurchschnittlich viele Gärten längst verlassen brachliegen. „Kein Wunder“, sagt Herrenkind, „Strasburg hat in den vergangenen 30 Jahren fast die Hälfte seiner Einwohner verloren.“ Schon jetzt bereite man Verhandlungen mit der Stadt vor, um von der Stadt gepachtete Flächen an die Kommune zurückzugeben. Bis zu 15 Prozent im Durchschnitt, so vermutet der Vorstandsvorsitzende, betrage der Leerstand in den 50 Kleingartenvereinen, die im Uecker–Randow–Regionalverband organisiert sind.
Ausländerbeauftragter im Gartenverein
Bei Detlef Rauch im Neubrandenburger Lindetal sieht das anders aus. Nur ein einziger Garten von insgesamt 167 sei derzeit unbesetzt, erzählt der Rentner stolz. Als ein Grund für die satte Auslastung stellt sich ein anderer Weg dar, den der Verein beschritten an. „Ein Viertel unserer Gärten wird von ausländischen Mitbürgern bewirtschaftet“, sagt Rauch. Russen, Ukrainer, Syrer, der Gartennachbar des Vorsitzenden stammt aus Afghanistan und lebt bereits seit acht Jahren in Neubrandenburg. „Der Mann ist unser Ausländerbeauftragter“, so der Gärtner. Wie Rauch erzählt, funktioniere das gut, die Neubürger seien assimiliert und mit Hilfe der anderen gelinge es auch, komplizierte deutsche Kleingarten–Vorschriften zu verstehen und umzusetzen.
Ärger um die Nebenkosten
An den Ufern von Uecker und Randow klappt das nur sehr schwer, Nachwuchs für das Bestellen der Beete und die Ernten zu finden. Verbandsvorsitzender Herrenkind beklagt das mangelnde Verständnis junger Leute für das Wesen der Kleingärten, in denen es verpflichtend ist, „wenigstens ein Drittel der Fläche zum Anbau von Gartenerzeugnissen für den Eigenbedarf zu nutzen“, wie es im Kleingartengesetz heißt. Viele würden nach einer Saison den Garten aufgeben und alles stehen und liegen lassen. Auch deshalb sei es mittlerweile in den Vereinen in Ueckermünde, Torgelow, Pasewalk und anderswo in der Region die Regel, Kautionen bei Vertragsabschluss zu verlangen. Zwischen 100 und 400 Euro müssen hingeblättert werden, damit die Vereine bei Verlassen der Gärten nicht auf den Kosten für Strom und Wasser sitzen bleiben.
Andere Garten–Welt in den Großstädten
In anderen Regionen Deutschlands gelten derartige Sorgen als Luxusprobleme, wo sich die Suche nach einem Kleingarten als wahrer Marathon erweisen kann. Kleingartensuchende müssen dort aufgrund der Wartezeiten einen langen Atem beweisen: In Großstädten wie München oder Berlin können diese zwischen vier bis acht Jahren betragen, in einigen Fällen dauert die Wartezeit sogar bis zu zehn Jahre. Je nach Region oder Verein variiert die Länge der Wartezeiten stark. Bei Interesse an einem Schrebergarten sollte man demnach nicht lange zögern, sondern sich direkt auf die Warteliste schreiben, raten die Vereine. Allerdings, in einigen Fällen gibt es sogar einen Aufnahmestopp, da die Nachfrage an Kleingärten zu hoch ist.
Der Regionalverband der Gartenfreunde Mecklenburg/Strelitz–Neubrandenburg zählt gegenwärtig 6257 Mitglieder in 108 Mitgliedsvereinen. Der Grad der Bewirtschaftung der hiesigen Kleingärten betrage rund 85 Prozent, heißt es. Der Kreisstadt Neubrandenburg hängt immer noch der Titel von der „Gartenhauptstadt“ Deutschlands an. Nirgendwo anders, so heißt es seit vielen Jahren, gebe es im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viele Gärten wie in der drittgrößten Stadt Mecklenburg–Vorpommerns. Die Planer aus untergegangenen Zeiten waren auf Zack, schließlich stand einst das Ziel, Neubrandenburg zur Jahrtausendwende als Großstadt mit 100 000 Einwohnern zu feiern, neue Wohngebiete waren auf dem Reißbrett schon entstanden und Gartenland für deren Bewohner erschlossen.
Alternde Gesellschaft sorgt für Leerstand
Schon seit langem kommt man aber nicht umhin, in Neubrandenburg von Überversorgung zu sprechen. Denn das Resultat der früheren eifrigen Planung und Erschließung von Beeten, Lauben und Parzellen muss — aus heutiger Sicht — als handfeste „Missernte“ bezeichnet werden. Schon vor Jahren hieß es aus der Geschäftsstelle des Regionalverbandes, aktuelle Zahlen sind nicht bekannt, dass von 5251 Gärten, die zum Regionalverband der Gartenfreunde in Neubrandenburg zählen, mehr als 1500 verlassen seien. Weit mehr als im Durchschnitt Mecklenburg–Vorpommern. Landesweit klagen Kleingarten–Vereine „nur“ über rund zehn Prozent brach liegende Parzellen. In Neubrandenburg existieren Sparten, in denen fast jeder zweite Garten von seinen einstigen Nutzern schon verlassen wurde.
Die meisten Liebhaber von selbst geerntetem Obst und Gemüse hauen hier nicht in den sprichwörtlichen Sack, weil ihnen die Lust am Gärtnern vergangen ist, sondern weil dem Alter Tribut gezollt werden muss. Aber damit geht ein anderes Problem einher, mit dem sich die Kleingartenvereine und deren Lobbyisten der Regionalverbände herum schlagen müssen. Denn wer wegen zu schwach gewordener Glieder die Harke aus der Hand legt, sieht sich zumeist auch nicht mehr in der Lage, auch seine Ex–Laube abzureißen. Denn das muss theoretisch jeder tun, dem es nicht gelingt, seinen Garten zu verkaufen oder zu verschenken. Aber meist drücken die Vereine dann ein Auge zu.