Konflikte im Flüchtlingsheim? „Gibt es, vereinzelt“
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Thomas Potratz vom Arbeiter-Samariter-Bund leitet die Flüchtlingsunterkunft in der Unkel-Bräsig-Straße in Neubrandenburg. Zusammen mit fünf Kollegen kümmert er sich dort um 249 Geflüchtete. Mit Reporter Robin Peters hat er über Potenziale für den Arbeitsmarkt, Beschulung, Arztsuche und fehlendes Verständnis gesprochen.
Herr Potratz, derzeit keimen wieder Diskussionen über das Verhalten von jungen Ausländern über den Jahreswechsel auf. Wie war die Silvesternacht in Ihrem Flüchtlingsheim?
Ruhig. Kurz vor Silvester wurden Böller auf einen Balkon geworfen. Eine Scheibe ist dabei kaputtgegangen. Ansonsten war die Knallerei kein großes Problem. Mir wurde auch nicht rückgemeldet, dass Knallgeräusche Geflüchtete übermäßig belastet haben. Das hatte ich eigentlich erwartet.
Die Einrichtung in der Unkel-Bräsig-Straße ist eine sogenannte vorübergehende Unterkunft. Wie lange leben die Geflüchteten hier?
Vier bis sechs Monate. Der Wohnungsmarkt gibt eine schnelle Weiterverteilung nicht her. Die Behörden haben zwar gut gearbeitet. Das habe ich 2015 als Leiter der Unterkunft in Fünfeichen anders erlebt. Damals mussten wir um Unterstützung kämpfen. Dieses Mal lief es Hand in Hand. Aber gerade die Wohnungsgesellschaften sind ziemlich ausgelastet. Wir haben hier größere Familien mit sechs bis sieben Kindern. Die kann man nicht in jede Wohnung stecken.
Welche Gruppen leben in der Unterkunft in der Unkel-Bräsig-Straße?
Das hat sich im Laufe des Jahres gewandelt. Wegen des Brandes in Friedland sind beispielsweise viele andere hinzugekommen. Jetzt ist es so: Ungefähr 60 Prozent der Bewohner gehören der Volksgruppe der Sinti und Roma aus der Ukraine an. Es wohnen aber auch viele andere hier, wie aus dem Irak, Afghanistan oder Nigeria.
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Führt das zu Konflikten?
Die gibt es – aber nur vereinzelt. Das ist normal, wenn viele Menschen zusammenkommen. Dass verschiedene Nationen aufeinandertreffen, hat auch etwas Gutes. Dann isolieren sich einzelne Gruppen aus meiner Erfahrung nicht zu sehr.
Über die Hälfte der Bewohner sind Kinder oder Jugendliche. Konnten sie alle in Schulen untergebracht werden?
Kinder werden auch hier beschult, in zwei Klassen mit jeweils zwölf Kindern. Die Schulen hatten schlichtweg zu wenig eigene Räume zur Verfügung. Insbesondere viele Sinti und Roma wollen ihre Kinder sogar lieber hier unterrichten lassen. Wenn ein Schüler aber ausgesprochen gut ist, schicken wir ihn in die Schule. Wir müssen Eltern zum Teil aber auch überreden, ihre Kinder in der Schule anzumelden. Das wollen nicht alle.
Was gehört noch zu ihren Aufgaben?
Wir helfen beim Ausfüllen von Formularen. Viele versuchen, einen Arzt zu finden. Da nutzen wir unsere Kontakte. Mittlerweile konnten fast alle an einen Hausarzt in der Region vermittelt werden. Wir haben auch ein Kinderspielzimmer. Leider schaffen wir ganz oft nicht, das aufzumachen. Eine Aufsicht ist nötig. Deshalb bemühen wir uns gerade, Ehrenamtliche dafür zu gewinnen. Auf uns sind aber schon verschiedene Helfer zugekommen. Noch ist die Solidarität groß. Insgesamt arbeiten wir viel strukturierter als am Anfang. Wir haben uns Laufzettel gemacht, tauschen uns effektiver aus. Im April wurden wir ins kalte Wasser geworfen. Teilweise wurden Anträge doppelt ausgefüllt.
Die Hoffnung ist bekanntlich groß, mit Zuwanderern dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Schaut man schon in der Flüchtlingsunterkunft nach Arbeitspotenzial?
Es wird bereits herauskristallisiert, wer was kann. Wenn sich beispielsweise eine junge Lehrerin meldet, versuchen wir, sie gleich in Klassen zum Unterrichten zu integrieren. Man bemüht sich ebenso, ausgebildete Fachkräfte wie Ingenieure oder Handwerksmeister zu vermitteln.
Wie attraktiv ist der Landkreis denn für Geflüchtete?
Ich kenne genügend, die die Region mittlerweile als ihre Wahlheimat betrachten. Sie möchten hier auch eine Arbeit finden. Es gibt aber auch viele, die wieder zurück wollen und bis dahin nur eine Sicherung für sich und ihre Kinder anstreben. 2015 wollte ein Großteil der Geflüchteten in größere Städte. Das ist nach meiner Erfahrung jetzt nicht mehr so. Das sind natürlich keine Traumwohnungen in der Unkel-Bräsig-Straße. Aber die Masse hat sich hier nach meiner Kenntnis wohlgefühlt. Sie sind sicher vorm Krieg. Es ist warm. Sie können sich Essen kaufen. Wenn eine Mutter mit vier Kindern in eineinhalb Zimmern wohnt, ist es aber natürlich eng und laut.
Ist das ein häufiger Kritikpunkt?
Ich würde mir manchmal mehr Verständnis wünschen. Wenn eine Familie wegen des Brandes in Friedland von einer möblierten Dreizimmerwohnung mit neun Kindern übergangsweise in zwei Wohnungen mit eineinhalb Räumen ziehen muss, ist das natürlich alles andere als ideal. Aber es ist eine Notsituation. Das denkt sich keiner aus, um jemanden zu drangsalieren.
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