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Mobbing-Affäre in Neubrandenburg – Rücktritt ohne jede Erklärung
Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Tim Prahle
Am Montagmorgen ging es offenbar ganz schnell. Die Parkkarte und alles, was ein Stadtpräsident so mit sich trägt, lagen bereits auf dem Tisch im Büro der Stadtvertretung. Dann war Dieter Stegemann erst einmal verschwunden. Gestern ist Neubrandenburgs erster Repräsentant von allen politischen Ämtern zurückgetreten, das bestätigte das Rathaus später offiziell. Warum er zurücktrat, ist offiziell noch unklar.
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Unbelegte Vorwürfe – und niemand will es gewesen sein
Es dürfte aber mit der Stadtvertretersitzung zu tun haben, bei der Oberbürgermeister Silvio Witt (parteilos) sich überraschenden Mobbingvorwürfen ausgesetzt sah. Im Nachgang der Sitzung konnte dann allerdings niemand so recht erklären, wie es zu den bislang unbelegten Vorwürfen in der öffentlichen Sitzung kam oder gar Verantwortung dafür übernehmen.
Witt sei in seinem Urlaub über Stegemanns Abgang informiert worden, heißt es aus dem OB-Büro. Weiter wolle man sich nicht äußern, da die Position des Stadtpräsidenten eine Sache der Stadtvertretung sei.
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Viele sind überrascht, aber eine Begründung fehlt noch
Eine Reaktion der CDU-Fraktion steht ebenfalls aus. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hans-Jürgen Schwanke gab sich von dem Rücktritt komplett überrascht. Für den Vize-Chef des CDU-Stadtverbandes, Fraktionsmitglied Björn Bromberger, ist der Entschluss die Konsequenz einer „öffentlichen Hexenjagd“, der sich der Stadtpräsident gegenübersah. Offenbar werde von der Linksfraktion versucht, Stegemann die gesamte Verantwortung für die Vorkommnisse in die Schuhe zu schieben, spekulierte Bromberger. Die Linksfraktion war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Stegemann selbst reagierte auf Nordkurier-Anfragen bis zum Montagabend nicht. Wie aus gut informierten Kreisen zu erfahren war, habe ihm die ganze Angelegenheit massiv zugesetzt, darunter auch die anhaltende Kritik von SPD- und Grünen-Fraktion. Innerhalb der Stadtfraktionen wird ebenfalls vermutet, dass der Druck auf den Präsidenten nach den öffentlich vorgetragenen Mobbing-Vorwürfen gegen den Oberbürgermeister Silvio Witt zu groß wurde.
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Oberbürgermeister geht in Widerspruch
„Mir hat er auch keine Begründung genannt“, sagte sein zweiter Stellvertreter Roman Oppermann (SPD), der vorerst ein Ein-Mann-Präsidium darstellt. Stegemanns erste Stellvertreterin Renate Klopsch (Linke) ist derzeit krankgeschrieben. Sie hatte in der aufsehenerregenden Sitzung Ende April die Mobbing-Vorwürfe gegen Witt vorgetragen, mit denen eine Beschlussvorlage für einen zweiten hauptamtlichen Beigeordneten in der Stadtverwaltung garniert worden war.
Verantwortlich für den Antrag samt Begründung war formal Dieter Stegemann, der zur Stadtvertretersitzung jedoch nicht anwesend und nach eigenen Angaben im Urlaub war. Sowohl er als auch Klopsch wollen den Antrag nicht in der vorgetragenen Form formuliert haben, können oder wollen bisher jedoch auch keinen anderen Urheber oder Mobbing-Betroffene benennen.
Seither herrscht in der politischen Arbeit der Fraktionen der Ausnahmezustand. SPD und Grüne fordern eine umfassende Aufklärung der bisher unbelegten Vorwürfe. Die Fraktionen von CDU, Linke und AfD haben von einer Distanzierung bislang abgesehen. Längst hat der OB aus formalen Gründen gegen den Beschluss Einspruch erhoben, der in mindestens zwei Sitzungen neu diskutiert werden muss – und die Stadt wohl rund 150 000 Euro kosten würde, sofern er dann rechtskonform beschlossen werden kann.
Im Vordergrund steht zunächst weiter der Vorwurf gegen einen „OB, der seine Mitarbeiter mobbt“. In einem offenen Brief, der dem Nordkurier vorliegt, haben die Führungskräfte aus dem Rathaus inzwischen ihrem Chef den Rücken gestärkt und die „fehlende vertrauensvolle Zusammenarbeit“ mit der Stadtvertretung beklagt.
Diskrepanz zwischen CDU-Verband und Fraktion
Eine offene Entschuldigung von Stegemann und Klopsch reichte SPD und Grünen nicht, da die Vorgänge weiterhin nicht aufgeklärt sind, wie sie mitteilten. Weiteren Druck baute am Wochenende auch der Stadtverband der CDU auf, der sich seinerseits von den Vorwürfen gegen den Bürgermeister distanzierte – im Gegensatz zur eigenen Fraktion. „Da herrscht eine gewisse Diskrepanz, die wir aber lösen werden“, meinte Bromberger auf Nachfrage. „Dieser Rücktritt ist bedauerlich, weil Dieter Stegemann einen hervorragenden Job als Stadtpräsident gemacht hat“, betonte er. Auch der AfD-Fraktionschef Peter Fink bedauerte den Entschluss des Stadtpräsidenten.
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SPD und Grüne fordern weiter Aufklärung
Bei der SPD wird der Rücktritt hingegen als „logische Konsequenz“ gesehen. Aber viel mehr ließe sich auch noch nicht sagen, befand der SPD-Fraktionsvorsitzende Michael Stieber. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn mit einer Erklärung auch der „erste Schritt zur Aufklärung“ gegangen worden wäre. Denn noch immer stünden die Mobbingvorwürfe im Raum, die durch das Präsidium öffentlich gemacht worden seien.
„Wir respektieren den Rücktritt, können aber den Schritt nicht abschließend bewerten, da er keine Gründe genannt hat“, sagte der Grünen-Fraktionsvorsitzende Rainer Kirchhefer. Er persönlich sei von dem Schritt überrascht worden. Wie sein SPD-Kollege beharrte Kirchhefer darauf, dass die Vorwürfe und ihr Ursprung weiter geklärt werden müssten.
Dieter Stegemann war von 2019 an Neubrandenburgs Stadtpräsident. Der einstige Feuerwehrmann erwies sich mit mehr als 1000 Stimmen im Wahlbereich 1 für die CDU bei der vergangenen Kommunalwahl als Stimmenmagnet. Für Stegemann in die Stadtvertretung nachrücken soll nach Nordkurier-Informationen nun mit Yvette Schöler eine jüngere Politikerin. Die stellvertretende Vorsitzende des CDU-Stadtverbands leitete bislang bereits die Arbeitsgruppe „Kinder- und Jugendbeteiligung“ der Stadtvertretung.