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Kindeswohl

Mutter klagt an – Jugendamt holt Baby direkt nach Geburt

Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Innerhalb von zwei Jahren wurden einem jungen Paar zwei Kinder jeweils in den ersten Lebenstagen genommen. Das Jugendamt will sich nicht äußern, weist aber Vorwürfe energisch zurück.
Veröffentlicht:10.05.2022, 17:06

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Eigentlich fühlte sich Nadine E. mit ihrem Neugeborenen sicher im Krankenhaus. Doch als die junge Mutter aus Neubrandenburg ihren Sohn wenige Stunden nach der Geburt zum Flasche-Geben an eine Mitarbeiterin der Klinik übergab, sah sie ihr Kind zum vorerst letzten Mal. Das Jugendamt nahm das Baby gleich vor Ort in Obhut. Derzeit sehen Nadine E. und ihr Verlobter Jörg S. das wenige Wochen alte Kind nach eigenen Angaben nur auf Fotos.

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Warum? Jugendamt gibt sich schweigsam

Dem jungen Paar aus Neubrandenburg wurde damit schon das zweite Kind unmittelbar nach der Geburt weggenommen. Dabei können sich die verzweifelten Eltern den krassen Schritt überhaupt nicht erklären. „Ich wünsche mir nur, dass wir eine Chance bekommen“, sagt Mutter Nadine E..

Auch der Nordkurier erhielt nur wenig Einblick in die Beweggründe der Behörden. Das Amtsgericht Neubrandenburg geht mit Details zu einem solchen Fall nicht an die Öffentlichkeit. Und auch das Jugendamt will sich nicht näher zu den Umständen äußern. Nur so viel stellt man in der Kreisverwaltung klar: Das Jugendamt wache über den besonderen Schutz, unter dem Kinder und Jugendliche in Deutschland stehen.

Letztes Mittel: Das Kind wegnehmen

Die Behörde sei im Gefährdungsfall sogar dazu verpflichtet, Kinder gegen den Willen der Sorgeberechtigten vorläufig in Obhut zu nehmen. Im Prüfverfahren der Kindeswohlgefährdung werde mit allen Beteiligten nach Hilfsstrukturen gesucht. Andere Hilfen hätten stets Vorrang, aber wenn notwendig, stelle die Inobhutnahme das letzte Mittel des Jugendamtes dar, heißt es.

Ist das Gutachten veraltet?

Nadine E. hat für das Einschreiten des Amtes kein Verständnis. Sie fühlt sich vorverurteilt, durch ein altes Gutachten falsch eingeschätzt. „Mir wird kein Glauben geschenkt.“ Sie hätte zwar in ihrer von Missbrauch geprägten Vergangenheit mit psychischen Problemen zu kämpfen gehabt, gibt die 32-Jährige zu. Doch das habe sie hinter sich.

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Sie und ihr Verlobter hatten in ihrer kleinen Wohnung am Rande von Neubrandenburg bereits ein Kinderzimmer hergerichtet – mit Bett und Spielsachen. Nun steht es leer. Die jungen Eltern hingegen haben verschiedene Anwälte eingeschaltet, um der Inobhutnahme entgegenzuwirken. Doch genutzt haben alle Anstrengungen bislang nichts. Seit dem letzten Verhandlungstag schwinden ihre Hoffnungen. Die jungen Eltern spielen mittlerweile mit dem Gedanken, nachzugeben und beide Kinder, die sich in Obhut einer Pflegefamilie befinden, zur Adoption freizugeben.

Schwere Vorwürfe gegen die Mutter

Vor rund eineinhalb Jahren war ihnen bereits ihr erstes Kind wenige Stunden nach der Geburt weggenommen worden. Nadine E. sagt, ihr sei damals vorgeworfen worden, im Krankenhaus das Personal attackiert zu haben. Das bestreitet sie aber vehement. E. und S. hegen nach eigener Recherche eher den Verdacht, dass die Pflegefamilie gut mit der vormals zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes befreundet sei.

Auch wenn das Jugendamt sich zu den Details in Schweigen hüllt, bemüht man sich in der Kreisverwaltung, einen solchen Verdacht auszuräumen: Eine enge Freundschaft zwischen einer Pflegefamilie und einer zuständigen Mitarbeiterin des Jugendamtes sei ausgeschlossen. Eine Pflegefamilie werde durch mehrere Treffen und Gespräche geprüft. „Sollte sich in diesem Zusammenhang eine über ein berufliches Vertrauensverhältnis hinausgehende Beziehung entwickeln, so würde der Fall einem anderen Mitarbeiter oder einer anderen Mitarbeiterin des Jugendamtes übertragen“, heißt es aus der Behörde.

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Verein Kinderschutz hat sich in Fall eingeschaltet

Sogar der Verein Kinderschutz Neubrandenburg schaltete sich unlängst in den Streit ein, besuchte das Paar zusammen mit dem Nordkurier in ihrer Wohnung. „Es geht nicht, dass so ein psychischer Druck auf eine Mutter ausgeübt wird“, sagte Vorstandsmitglied Maik Ohlenforst. Dass das Jugendamt schon vor Geburt angekündigt habe, das Kind in Obhut zu nehmen, komme ihm seltsam vor. Die eigene Mutter könne einem Kind aus seiner Sicht die meiste Liebe geben. Deshalb müsse dieser Schritt wohldurchdacht sein.

Björn Eckardt, ebenfalls im Vorstand des Vereins, stellte als Kreistagsmitglied eine Anfrage an das Jugendamt, wie oft eine so frühzeitige Inobhutnahme vorkomme. Zahlen bekam er zu seiner Enttäuschung nicht. Die Fälle seien sehr individuell und schwer vergleichbar, entgegnete Jugendamtsleiterin Anja Zörner, als Eckardt im Kreistag erneut danach fragte.