Zeugen vor Gericht
Nach Machetenangriff – Dorfgemeinschaft packt aus
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Thomas Beigang
Wäre der Angeklagte doch nur über seinen Schatten gesprungen und hätte sich im Gefängnis auf ein Gespräch mit der Rechtspsychologin eingelassen. Jana Thomas muss im Auftrag des Neubrandenburger Landgerichts ein Gutachten über den Gemütszustand des Angeklagten schreiben. Ein Treffen, das auch für ein wenig Abwechslung im tristen Alltag der Untersuchungshaft sorgen könnte, hat der Rentner aber abgelehnt. Das ist sein gutes Recht. Ob das klug war, ist eine andere Frage.
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Erst getrunken, dann Nachbarn schwer verletzt
Aber weil der 70-Jährige so entschieden hat, muss er sich jetzt anhören, was die Nachbarn über ihn denken. Die Vorsitzende Richtern hat ein halbes Dutzend von ihnen geladen – damit sich die Psychologin ein besseres Bild vom Angeklagten machen kann. Unbedingt nötig, denn was die Staatsanwaltschaft dem Mann aus dem kleinen Dorf zwischen Altentreptow und Jarmen vorwirft, ist nicht von Pappe: versuchter Totschlag und gefährliche Körperverletzung.
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Er soll am 10. Mai in Bartow einen 36-jährigen Nachbarn erst beleidigt und dann im Streit mit einem Gartenmesser mit 40 Zentimeter langer Klinge angegriffen haben. Dabei soll er geschrien haben: „Ich bringe dich um, du dumme Sau.“ Der Schwerverletzte habe dem Senior die Machete noch abnehmen und sich auf sein Grundstück schleppen können. Dort alarmierten entsetzte Zeugen Rettungskräfte und Polizei. Der 36-Jährige kam per Hubschrauber in die Uni-Klinik nach Greifswald, weil er wegen der erlittenen tiefen Verletzungen zu verbluten drohte. Der mutmaßliche Täter war vor seinem Haus gefasst worden. Ein Atemalkoholtest ergab 1,3 Promille.
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Pöbeleien und viel Angst
Die Nachbarn lassen kein gutes Haar an dem Angeklagten, der vor mehr als zehn Jahren nach Bartow zog, nachdem er ein verlassenes Grundstück in dem Dorf ersteigert hatte. Mit nahezu allen und jedem liege der Senior im Streit, viele fürchteten ihn und der Bürgermeister sagte, dass kaum noch jemand auf der Straße vor dem Grundstück des Neubürgers entlang flaniere. Aus Angst, von dem bepöbelt zu werden. Andere berichteten von einer handfesten Auseinandersetzung und überhaupt einem hohen Aggressionspotenzial.
Selbst einer Kassiererin eines Discounters aus der Nachbarstadt, wo der Angeklagte regelmäßig einkaufen ging, war der Mann bekannt. Sie erzählte von ihrer und der Kolleginnen Bangigkeit vor dessen Pöbeleien. Sie habe immer gehofft, er komme nicht an ihre Kasse. Ein Bartower sagte vor dem Gerichtssaal dem Nordkurier, es sei tatsächlich nur eine Frage der Zeit gewesen, bis etwas so Schlimmes geschehen musste.
„Ich komm‘ gleich runter und hau dir auf die Fresse.“
Die Lebensgefährtin des Opfers berichtete, dass sie vor dem Haus des Nachbarn am Tattag mit ihrem kleinen Sohn spazieren ging, als der Senior unvermittelt von oben zu schimpfen begann. Ohne ersichtlichen Grund soll der sie unflätig beleidigt und geschrien haben: „Ich komm‘ gleich runter und hau dir auf die Fresse.“ Das Verhängnis nahm seinen Lauf, weil sie das gleich ihrem im Dorf arbeitenden Freund mitteilte, der den Nachbarn zur Rede stellen wollte. Sie hörte dann, wie der Senior brüllte, er wolle ihn umbringen und sah, wie der mit dem langen Gartenmesser zuschlug. „Ich habe wirklich das Blut spritzen sehen“. Die Blutspur auf der Straße, über die sich der Schwerverletzte auf sein Grundstück rettete, musste sie später wegschrubben.
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Dem 36-Jährigen, dessen Wunden erst nach fast vier Monaten verheilt waren, gelang es wie durch ein Wunder, dem Nachbarn die Machete aus den Händen zu winden. „Ich dachte nur, ich muss die haben, ehe der noch meiner Frau oder meinem Sohn etwas antut“. Seine rechte Schädelhälfte, die heftige Hiebe abbekommen hatte, sei noch immer gefühllos, berichtet er. Und, dass er noch immer unter psychischen Problemen leide, sogar die Haare würden ihm ausfallen.
Die Rechtspsychologin stellt am nächsten Prozesstag, am 1. November, ihr Gutachten über den Mann mit der kurzen Zündschnur vor. Das allerdings verliest die Expertin auf Beschluss des Gerichts unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Gut möglich, dass am gleichen Tag auch das Urteil fällt. Dem Angeklagten droht eine mehrjährige Freiheitsstrafe.