Neubrandenburg nimmt 12.000 Euro wegen Ruhestörung ein
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Welche Art Musik an jenem lauen Augustabend aus dem großen tragbaren Lautsprecher in die Wohnungen aller umliegenden Häuser in Neubrandenburg drang, interessiert vor Gericht niemanden. Auch die Lautstärke nicht. Dabei war es genau die, welche schließlich bei einem damals 32-Jährigen den Geduldsfaden reißen ließ — und alle Beteiligten zu einem Gerichtstermin zusammenbrachte.
Die Box war einige Wochen verschwunden
„Die haben wilde Sau gespielt“, schüttelt der Mann noch heute den Kopf in Gedanken an das offensichtliche Martyrium. Der entnervte Nachbar rannte über die Straße in die gegenüber liegende Bushaltestelle, versetzte dem jugendlichen Musikliebhaber ein Schubs, griff sich die Box und ging zurück. Nach einigen Schrecksekunden stürmte der Lautsprecher–Besitzer gemeinsam mit seiner weiblichen Begleitung dem Mann hinterher — der blieb aber samt des Musikinventars verschwunden. Kurze Zeit später trifft die von dem Jugendlichen alarmierte Polizei ein.
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Die Staatsanwältin klagt den Nachbarn mit der zu kurzen Zündschnur wegen Raubes an. Starker Tobak, immerhin, Raub zählt als Verbrechen und muss mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden. Er habe sich mit Gewalt etwas genommen, was nicht ihm gehört, so der Vorwurf. Aber als die Polizei seinerzeit, von einem anderen Hausbewohner auf die richtige Spur geführt, Keller und Wohnung des Verdächtigen durchsuchte, fand sie — nichts. Der in seiner Ruhe gestörte Nachbar hatte die Box im Kellergang versteckt. Um die einige Wochen später, als ihn ein amtlicher Brief der Polizei über die Vorwürfe gegen ihn informierte, heimlich im Kulturpark seiner Heimatstadt zu entsorgen. Sagt er jedenfalls.
Mehr als einmal die Woche unangemessene Ruhestörung
Für seinen Rechtsanwalt Thomas Schröder allemal der Grund, die Anklage in Frage zu stellen. Niemals habe eine Aneignungsabsicht an dem tragbaren Lautsprecher bestanden. Sein Mandant nickt. Er habe dem anderen doch nur eine Lektion erteilen wollen. Der sollte sich ein für allemal merken, andere Leute nicht mit lauter Musik zu nerven.
Denn das ist ein Problem in Neubrandenburg und vielen anderen Städten. Die Kreisstadt hat 2021, in jenem Jahr „entsorgte“ der jetzt erst vor Gericht sitzende Angeklagte die ihn nervende Box, Bußgelder in Höhe von 12.000 Euro wegen Lärmbelästigung ausgesprochen. Durchschnittlich mehr als einmal in der Woche haben sich die Behörden mit unangemessener Ruhestörung beschäftigen müssen.
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Im Fokus standen damals wie heute meist jugendliche Gruppen, die über die großen, kabellosen Lautsprecherboxen ihre Musik hören und dabei durch die Stadt ziehen. Solche Geräte kosten zumeist mehrere Hundert Euro. Im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten ist unzulässiger Lärm in Paragraf 117 geregelt, bis zu 5000 Euro kann das Bußgeld betragen. Darüber hinaus hat die Stadt noch ein eigenes Instrument: Im April 2021 trat die lange unumstrittene und verschärfte Stadtverordnung zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in Kraft. In ihr schränkte Neubrandenburg unter anderem zu laute Musik am Strand des Tollensesees unter Androhung eines Bußgeldes von ebenfalls bis zu 5000 Euro ein.
250 Euro als Wiedergutmachung
Der Angeklagte mit dem dünnen Nervenkostüm entschuldigt sich vor Gericht bei seinem damaligen Opfer. Er habe da wohl überreagiert. Außerdem biete er dem jungen Mann Schadenersatz an und blättert ihm noch im Gerichtssaal fünf Fünfzig–Euro–Scheine in die Hand, 250 Euro als Wiedergutmachung. Das kommt gut an im Gericht, die Richterin regt an, den Vorwurf des Raubes fallen zu lassen, nunmehr komme wohl Nötigung in Betracht und angesichts dessen könne man das Verfahren wohl auch einstellen. Aber nur, wenn der Angeklagte 400 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung zahlt.
Das ist Musik in dessen Ohren — er ist damit sehr einverstanden.