Gaming und Landleben
Neubrandenburger Netzwerker beim Digitalkongress NØRD
Neubrandenburg / Lesedauer: 5 min

Susanne Schulz
Klingt erst mal nach Gegensatz: Mecklenburg-Vorpommern und Digitalisierung. Was kann es in einem Flächenland, in dem schon eine brauchbare Internetverbindung vielerorts noch Zukunftsmusik ist, an Themen geben für einen Digitalisierungskongress? Den zweiten sogar schon unter dem schönen Namen NØRD – einem Wortspiel aus Nord und Nerd, dem Synonym für Menschen, die eher in der Computer-Welt zu Hause sind?
Sehr viel und sehr Alltagsbezogenes, wissen Daniela Zorn und Christoph Bruch vom Digitalen Innovationszentrum (DIZ) Neubrandenburg, das sich mit Thementagen zur Spieleentwicklung und zum „digitalen Dorf“ am – online-öffentlichen – Kongressprogramm beteiligt. Erst im Frühjahr 2020 gegründet mit dem Ziel, Neugründungen aus der digitalen Szene mit weiteren lokalen Akteuren der Wirtschaft und Wissenschaft zu vernetzen, war das DIZ von Anfang an auf seinen digitalen Kern fokussiert: Sich bekannt zu machen, Kontakte zu knüpfen, Netzwerke aufzubauen, Veranstaltungen und Workshops anzubieten. Denn coronabedingt war es anders gar nicht möglich.
Mögen andere Zentren im Land erheblich größer sein als dieses mit kaum 70 Quadratmetern in einem Gewerbegebiet; Wand an Wand mit der Agentur 13°, die das DIZ gemeinsam mit der Hochschule und der Stadt Neubrandenburg initiiert hat: Der Wirkungsbereich bemisst sich nicht nach der Bürofläche. „Wir nutzen den unendlichen digitalen Raum“, sagt Koordinatorin Daniela Zorn und verweist auf rund 1.000 Teilnehmer bei virtuellen Veranstaltungen, auf Workshops etwa zur Online-Beratung in der Sozialen Arbeit, die wegen der Corona-Pandemie vielfach direkte Kontakte entbehren musste, oder den mittlerweile etablierten Online-Stammtisch der Spieleentwickler.
Aufstrebende Branche als Berufschance im Land
Gerade die Spiele-Branche entwickle sich zusehends zum Wirtschaftsfaktor – deutschlandweit und auch in Mecklenburg-Vorpommern. Solche Entwicklungen gegenüber der Wirtschaft und Politik sichtbar zu machen, auch dazu könne NØRD beitragen. Der „Game Day“ am Freitag soll einen Überblick geben. Schließlich erschöpfe sich Gaming – Spielen am Computer – nicht im vielgeschmähten „Daddeln“, wie Daniela Zorn betont. Sie verweist auf den Begriff Gamification als Methode, durch spielerische Elemente die Motivation fürs Anpacken ungeliebter Aufgaben zu steigern, und auf die Profession der Spiele-Entwickler als Chance für junge Leute auf eine berufliche Zukunft im eigenen Land.
Ein weiteres Schwerpunktthema des Neubrandenburger DIZ ist das „digitale Dorf“, dem am 8. Juni ebenfalls ein NØRD-Tag gewidmet sein wird. Was nicht bedeutet, das echte Leben durch eine virtuelle Welt zu ersetzen. Vielmehr geht es um die Möglichkeit, strukturelle Nachteile des ländlichen Raums zu mindern, Kommunikation, Gemeinschaft und auch wirtschaftliche Chancen zu fördern. Mit den engagierten Dorfmoderatoren, die beim Hochschulprojekt HiRegion (Hochschule in der Region) das Rüstzeug bekommen, um praktische Vorhaben zum Nutzen ihrer Dorfgemeinschaft umzusetzen, gibt es dafür schon einen „analogen“ Anknüpfungspunkt.
In beiden Fällen geht es nicht darum, den Menschen etwas aufzupfropfen: Ausgangspunkt ist immer ein Bedarf vor Ort. „Das digitale Dorf ist nicht allein ein technisches Thema, sondern vor allem ein Weg, Menschen zu verbinden“, sagt DIZ-Berater Christoph Bruch. „Man kann nicht digitalisieren um des Digitalisierens willen. Wichtig ist, was man wirklich verbessern kann – und die Menschen, die das nutzen, müssen auch wissen, wie.“ Mit der „DorfFunk“-App zum Beispiel, die schließlich jemand mit Inhalten „füttern“ muss – und die dann auch den Impuls geben kann, einen Ableger für junge Leute zu entwickeln.
Co-Working Spaces als Alternative zum Homeoffice
Solche Anknüpfungspunkte, aber auch Synergien und Fördermöglichkeiten aufzuzeigen, gehört zum Tätigkeitsfeld des DIZ. „Digitalisierung braucht Brückenbauer“, bringt Daniela Zorn die Rolle des Zentrums auf den Punkt. „Wir programmieren keine App, aber wir kennen immer mindestens eine Person, die für den jeweiligen Bedarf das Richtige kann“, beschreibt sie den Anspruch des Netzwerks, das mit Ansprechpartnern aus Wissenschaft und Praxis einen großen Themenkreis anpacken kann.
Die NØRD-Thementage sollen Projekte, Probleme und Erfolgstorys vorstellen, aber auch zum Austausch und zu neuen Ideen anregen. Das gilt ebenso für den Aspekt des Co-Working – die Entstehung von Arbeitsorten, an denen Akteure aus unterschiedlichen Berufsfeldern zeitweise tätig sind.
Längst ist daraus mehr geworden als die ursprüngliche Großstadt-Idee eines Kurzzeit-Mietvertrags für einen Schreibtisch in einem Gemeinschaftsbüro, bestätigt Daniela Zorn. Zwischen der Feldberger Seenlandschaft, der Mecklenburgischen Schweiz und der Ostseeküste sind schon diverse Co-Working Spaces entstanden, die statt anonymer Begegnung durchaus den Bezug zur Region suchen. Interessant sind sie, wie die DIZ-Koordinatorin feststellt, auch für Einheimische als Alternative zum Homeoffice oder für Selbstständige, die nicht im eigenen Saft schmoren wollen.
Innovation von dort, wo die Grenzen verschwimmen
Den Digitalisierungskongress will das DIZ nutzen, um seine Vernetzungsangebote und -erfolge sichtbar zu machen. Zugleich erwartet das Team viele Impulse aus dem großen Themen-Spektrum, in dem es viele Berührungspunkte gebe – sei es bei der „Smart City“ und dem digitalen Dorf, der Künstlichen Intelligenz und ihrem Einsatz in der Landwirtschaft, der Rolle von Spiele-Entwicklung fürs digitale Klassenzimmer und vieles mehr.
„Innovation entwickelt sich genau dort, wo die Grenzen verschwimmen“, sagt Daniela Zorn und freut sich darauf, während der nächsten Wochen bei der Geburtsstunde vieler Ideen dabei zu sein. Das Programm des Digitalierungskongresses NØRD ist kostenfrei und ohne Anmeldung zugänglich unter www.digitalesmv.de.
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