Neubrandenburgs Innenstadt wird um ein Geschäft ärmer
Neubrandenburg / Lesedauer: 4 min

Jörg Franze
Weniger ist manchmal mehr – diese Weisheit hat sich während der Coronazeit für Christine Stöhr auf ungeahnte Weise bewahrheitet. Die Unternehmerin, seit mehr als 30 Jahren mit einem Fotofachgeschäft in der Neubrandenburger Innenstadt präsent, war durch die Corona-Regeln wie so viele andere Händler in ihrem Geschäft eingeschränkt. Die Öffnungszeiten ihres Ladens auf dem Boulevard mussten drastisch reduziert werden.
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Doch für die Fotografin wirkte sich das im Gegensatz zu anderen Branchen sogar positiv aus, wie sei erzählt. „Wir hatten plötzlich viel mehr Zeit für unsere Kunden. Dank Online-Terminbuchung konnten wir alles besser organisieren.“ Die Zeit, die das Geschäft nicht mehr offen gehalten werden musste, konnten Christine Stöhr und ihre Tochter Dörthe Nippe-Stöhr nun in die kreativen Aspekte ihrer Arbeit investieren. Und so sei am Ende sowohl für das Unternehmen als auch die Kunden mehr herausgesprungen. „Ohne die Restriktionen der Coronazeit hätten wir uns vielleicht nie getraut, die Türen zuzumachen und das Geschäft nicht mehr als unseren Mittelpunkt zu betrachten“, gibt Christine Stöhr zu.
Künftig als mobile Fotografin unterwegs
Diese Erfahrungen haben die 62-Jährige bei der anstehenden Verabschiedung in den Ruhestand und der Übergabe der Geschäfte an ihre Tochter zu einem radikalen Entschluss bewogen. Denn zum 31. Januar werden sich die Türen des Fotogeschäfts Stöhr auf dem Boulevard für immer schließen. „Ich mache weiter, aber nicht mehr mit dem ‚Korsett‘ eines Ladens, sondern zunächst als mobile Fotografin“, erläutert Dörthe Nippe-Stöhr. Und ihre Mutter nickt ihr aufmunternd zu: „Das ist genau die richtige Entscheidung, für das Unternehmen und auch für Dörthe selbst.“
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Beide wollen nicht einfach still aus dem Bild der City verschwinden, sondern den Kunden erläutern, was sie bewogen hat, diesen Schritt zu gehen. Schließlich gehörte Christine Stöhr über mehr als drei Jahrzehnte zu den prägenden Händlern in Neubrandenburgs Einkaufsmeile. „Aber für mich geht es jetzt in den Ruhestand, das war immer klar.“ Und ihre Tochter habe angesichts der Erfahrungen aus den vergangenen beiden Jahren die Entscheidung getroffen, dass sie auf dem Boulevard nur unter anderen Bedingungen weitergemacht hätte. „Ich bin Mutter von zwei kleinen Kindern und habe jeden Tag noch eine Dreiviertelstunde Fahrzeit nach Neubrandenburg. Die jetzigen Öffnungszeiten würden für mich privat und wirtschaftlich einen Aufwand bedeuten, der sich nicht rechnet“, macht die künftige Inhaberin deutlich.
Kürzere Öffnungszeiten in der Innenstadt nicht drin
Sie habe bei der Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft (Neuwoges) als Vermieter des Geschäfts angefragt, aber kürzere Öffnungszeiten habe man ihr nicht zugestehen wollen. „Damit war die Entscheidung dann getroffen.“
Die Neuwoges als Vermieter des Geschäfts verweist darauf, dass man Mitglied und Partner der Werbegemeinschaft Neubrandenburger Innenstadt sei. Die Mitglieder des Vereins, also die Innenstadthändler selbst, hätten Kernöffnungszeiten für die Ladengeschäfte beschlossen, um Kunden ein Einkaufserlebnis zu verlässlichen Bedingungen zu bieten. In Absprache und in Vertretung für die Werbegemeinschaft bestehe die Neuwoges deshalb beim Abschluss von Gewerbemietverträgen auf die Einhaltung dieser Kernöffnungszeiten, teilt Neuwoges-Sprecher Matthias Trenn mit.
Gegen einen Umzug entschieden
Abweichungen seien entsprechend des Standortes oder der Branche zwar möglich. Aber für den Einzelhandel und die Dienstleistungsbranche sei die Einhaltung der von der Werbegemeinschaft beschlossenen Kernöffnungszeiten zwingend. An einen anderen Standort in der City umzuziehen, wo andere Ladenzeiten möglich wären, habe sie nach kurzer Überlegung allerdings verworfen, erklärt Dörthe Nippe-Stöhr. „Alles noch mal neu einzurichten, hätte viel Geld gekostet. Und wer weiß angesichts der Energiekrise, ob sich dies in den kommenden Jahren rechnen würde“, sagt sie. Damit schließen sich also zum 31. Januar endgültig die Türen des Fotofachgeschäfts. „Wir bitten deshalb vor allem Kunden, die Gutscheine einlösen wollen, sich rechtzeitig bei uns zu melden.“
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Ob mit dem Ende des Fotofachgeschäfts nun ein längerer Leerstand an dieser Stelle des Boulevards droht, dazu gibt es von der Neuwoges keine klare Aussage. Im Bereich der Gewerberäume verzeichne das Unternehmen aufgrund der Folgen der Corona-Pandemie und der derzeit äußerst angespannten wirtschaftlichen Situation diverse Schwierigkeiten bei Folgevermietungen, gibt man zu. Zudem achte man bei der Neubelegung von Ladengeschäften auch auf eine marktübliche Sortimentsmischung, „demzufolge kann es vorkommen, dass ein Ladengeschäft etwas länger nicht vermietet werden kann.“ Zu allen aktuell leerstehenden Gewerbeeinheiten würden allerdings derzeit Gespräche mit Interessenten stattfinden, teilte Neuwoges-Sprecher Trenn mit.